„Früher wurde aus dem Sommer Regen und aus dem Regen unsere Ernte – Tomaten, Gurken, Weizen. Doch das ist lange her.“ Abdirahman Ahmed schreitet über ein ausgetrocknetes Feld, er scheucht sich die Fliegen aus dem Gesicht, bleibt stehen, zeigt auf ein totes Schaf vor seinen Füßen. Der 35-jährige Viehhirte lebt in der Togdheer-Region 150 Kilometer östlich von Hargeisa, der Hauptstadt von Somaliland, einer autonomen Entität in Ostafrika. Völkerrechtlich gehört sie zu Somalia, beharrt aber auf ihrer Selbstbestimmung.

Seit Jahren herrscht Dürre in dieser Region. Drei Dutzend Schafe und Ziegen sind alles, was Abdirahman Ahmed noch besitzt. Er wird sie schon bald auf den Märkten in Hargeisa unter Wert verkaufen müssen. N

„Früher wurde aus dem Sommer Regen und aus dem Regen unsere Ernte – Tomaten, Gurken, Weizen. Doch das ist lange her.“ Abdirahman Ahmed schreitet über ein ausgetrocknetes Feld, er scheucht sich die Fliegen aus dem Gesicht, bleibt stehen, zeigt auf ein totes Schaf vor seinen Füßen. Der 35-jährige Viehhirte lebt in der Togdheer-Region 150 Kilometer östlich von Hargeisa, der Hauptstadt von Somaliland, einer autonomen Entität in Ostafrika. Völkerrechtlich gehört sie zu Somalia, beharrt aber auf ihrer Selbstbestimmung.

Seit Jahren herrscht Dürre in dieser Region. Drei Dutzend Schafe und Ziegen sind alles, was Abdirahman Ahmed noch besitzt. Er wird sie schon bald auf den Märkten in Hargeisa unter Wert verkaufen müssen. Nicht auszuschließen, dass es ihn demnächst dorthin verschlägt, um nach Arbeit zu suchen. Er ist in Sorge um seine drei Kinder. Seine Frau Saeda fragt ihn oft, ob all das die Strafe Gottes sei. Dann sagt er bloß: „Nein, es ist der Hunger.“

Alle 13 Sekunden

Der Hunger. Als sei er etwas Abstraktes und nicht der Hunger derer, die an ihm zugrunde gehen. Als gehöre er zu niemandem, eine Naturgewalt, die von außen hereinbricht, die man fürchtet, bekämpft und in Zahlen zwängt: 193 Millionen Hungernde gab es 2021 weltweit, so viele wie noch nie. Sie sind akut unter- oder chronisch mangelernährt, es fehlt ihnen an Vitaminen, an Eiweiß, Jod und Zink. Vielfach sind es Kleinkinder, auch hierzu gibt es Zahlen. Auf fünf Hungernde kommt ein Kind unter fünf Jahren, das waren im Vorjahr 38 Millionen Kinder. 2,5 Millionen sind daran gestorben. Das heißt, alle 13 Sekunden ein totes Kind. Auch Abdirahman Ahmed hat eine Tochter verloren, das war vor vier Jahren. Kaum auf der Welt, hatte die kleine Shukri ständig Durchfall, sie musste viel erbrechen. Fast zwei Jahre ging das so. „Sie konnte kaum schlucken, sie wimmerte Tag und Nacht, ihre dürren Arme zuckten und zappelten, irgendwann sagte meine Frau: Es ist kein Leben mehr in ihren Augen.“

Die Familie des Viehhirten Abdirahman Ahmed

Ein Arzt meinte, das Kind sei einseitig ernährt worden, weswegen es nicht habe wachsen und zu Kräften kommen können. „Damals begannen unsere Felder zu verdorren, wir hatten kaum Gemüse, kein Obst, die Ziegen gaben wenig Milch“, so Ahmed. Die Hälfte des Geldes habe er für sauberes Trinkwasser ausgegeben, das mit Tankwagen in die Region gebracht wurde, erzählt er. Und dann, vor ein paar Monaten, schnellten die Preise für Lebensmittel in die Höhe, von einem Tag auf den anderen. „Die Leute redeten von einem Krieg, irgendwo in Europa, der schuld an allem sei.“ In all den Jahren der Dürre musste Somaliland stets Nahrungsmittel importieren, darunter Weizen, der zu 90 Prozent aus der Ukraine kam. Seit dort Krieg ist, landet kaum noch Ware am Horn von Afrika. Dabei ist der Krieg in der Ukraine nicht der Auslöser der derzeitigen Lage, sondern allenfalls ein Katalysator.

Tatsächlich standen Somaliland und Somalia schon lange vor dem Ukrainekrieg ganz zuoberst beim globalen Hungerindex; sieben Millionen Menschen sind akut von schwerer Not betroffen, fast die Hälfte der Bevölkerung in diesem Gebiet. Hinzu kommt die unsichere politische Lage. Somaliland spaltete sich 1991 nach einem blutigen Bürgerkrieg und dem Sturz des Diktators Siad Barre vom übrigen Somalia ab, wird bis heute aber von der internationalen Gemeinschaft nicht als unabhängiger Staat anerkannt.

„Alle denken, bei uns herrschen Zustände wie in Mogadischu: Diktatur, Bürgerkrieg ohne Ende, islamistischer Terror. Das Gegenteil ist der Fall, wir haben Frieden und Demokratie. Doch niemand glaubt uns. Es gibt kaum Investoren und nur wenige Hilfsorganisationen“, sagt Guuleed Ahmad und schnippt mit den Fingern durch die Luft. Der 38-jährige Somaliländer, der seine Jugend in Deutschland verbracht hat, ist ein „Großmaul mit Visionen“, wie er von sich sagt. Er will sein Land retten, vor Armut, Hunger und Elend. Und er kennt die Lösung, die zwar kompliziert klingt, aber ganz simpel sein soll: Prosopis juliflora.

Der lateinische Name steht für ein tropisches Mimosengewächs, auch Mesquite genannt, das ursprünglich aus Mexiko stammt. Der holzige, mit Dornen besetzte Strauch wächst rasch zu einem stattlichen Baum von bis zu zwölf Meter Höhe heran. Weil sich die schnell wachsenden Wurzeln 30 Meter in die Tiefe graben, kommen sie auch in unwirtlichen Gegenden und während Dürrezeiten noch an Grundwasser heran, während andere Pflanzen längst verdorren. Weil anspruchslos und dürreresistent, wurde die Prosopis bewusst auch in anderen Teilen der Welt angepflanzt, in Somaliland ab Mitte der 1980er Jahre. Der neue Baum, von den Einheimischen „granwaa“ genannt – der Unbekannte –, sollte Schatten spenden, Wüstenwinde brechen, Versteppung und Erosion aufhalten, Brennholz liefern, vor allem aber: Schafe, Ziegen und Kamele ernähren.

Doch anders als vor 40 Jahren ist die Prosopis inzwischen zur Bürde geworden. Weil die Tiere deren Samen nicht verdauen können und mit dem Kot wieder ausscheiden, hat sich die invasive Pflanze in rasantem Tempo ausgebreitet. Sie überwuchert Weideflächen, saugt Wasser ab, verdrängt einheimische Arten. Allein in Somaliland nimmt die Prosopis nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO) inzwischen 550.000 Hektar Land ein.

Überall ist Prosopis-Land

Als Guuleed Ahmad 2017 aus Deutschland nach Hargeisa zurückkehrte, begegnete ihm die Prosopis an allen Ecken und Enden, und er fragte sich: „Was zum Teufel hat es mit dieser Pflanze auf sich? Damals gab es einiges an Forschung über den Nutzen der Prosopis, aber kaum jemanden, der das in die Praxis umsetzte. Also suchte ich meine Chance.“ Guuleed Ahmad, der seinen vielen Projekten immer schon einen Schritt voraus ist, verkaufte sein Auto und investierte das Geld in die Gründung der Firma „Lander Prosopis“. Aus den reifen gelben, zu einem Halbmond gerundeten, 20 Zentimeter langen Schoten der Prosopis produzierte er Mehl, das er zu einem protein- und zuckerreichen Tierfutter mischte. Die Nachfrage war bald da. „Somaliland lebt von der Viehwirtschaft. Haben unsere Tiere nichts zu essen, sterben auch wir. Die Prosopis kann uns retten. So einfach ist das.“ Wie zum Beweis zitiert Guuleed Ahmad Organisationen wie die Welthungerhilfe, die seit Jahren in Somaliland tätig sind und eng mit Viehhirten zusammenarbeiten. Ihre Feldstudien zeigen, dass mit Prosopis-Mehl gefütterte Tiere schon innerhalb eines Monats deutlich an Gewicht zunehmen, auch die Milchproduktion steigt an.

Ein teuflisch guter Baum, so wuchert Prosopi

Doch das ist nur die eine Seite der Geschichte, die andere heißt: „geed jinni“ – der teuflische Baum. So nennt Abdirahman Ahmed, der Viehhirte und Familienvater aus Togdheer, die Prosopis. „Sie wächst auch dann noch, wenn alles andere schon tot ist, und richtet doch nur Schaden an.“ Seine Tiere würden von den grünen, bitteren Blättern krank, wegen des Zuckers der reifen Schoten fielen ihnen alle Zähne aus, die Dornen des Baums durchbohrten ihre Hufe oder blieben im Magen stecken, wenn sie an den Ästen äsen würden. Qualvoll gestorben seien schon viele seiner Schafe und Ziegen. Das Schlimmste aber sei die Gier der Prosopis, sagt Abdirahman Ahmed. „Sie nimmt uns alles Wasser, verdrängt jedes Gras und jeden Strauch.“

Die Verarbeitung der Prosopis zu Mehl wird immer wieder als Beispiel dafür genannt, wie die gezielte Nutzung der Pflanze nicht bloß dazu beitragen könne, dass Tiere und Menschen weniger hungern müssen, sondern auch dazu, dass sich der Baum nicht dermaßen rasch ausbreitet. Untersuchungen haben ergeben, dass mit einem Sack à 25 Kilogramm Prosopis-Mehl bis zu 50.000 Samen zerstört werden können. Hochgerechnet auf eine Tonne Mehl sind das zwei Millionen Sträucher, die nicht zu einem Dickicht wuchern werden.

Ob die Prosopis tatsächlich nachhaltig reguliert werden kann, ist freilich umstritten. Urs Schaffner vom Centre for Agriculture and Bioscience International (CABI) mit Sitz in der Schweiz ist auf invasive Arten spezialisiert und hat selbst Forschungen zur Prosopis vorzuweisen. „Es gibt keine fundierte Studie, die zeigt, dass aus der Nutzung eine effektive Kontrolle der Prosopis folgt.“ Bei der Prosopis stehe der Nutzen zudem oft im Konflikt mit der Kontrolle. Als Beispiel nennt Schaffner das Abschneiden der Äste. Das führe zum Wiederaustrieb der Wurzelstöcke und zu weiterer Verbuschung, da auf diese Weise weniger dicke, dafür aber mehr Stämme austreiben würden. „Mit anderen Worten, die Nutzung verdichtet die bestehenden Bestände und vergrößert das Problem.“ So bleibt die Frage: Wie einer Hoffnung begegnen, die zur Plage geworden ist? Die Antwort darauf wird auch darüber entscheiden, ob die Prosopis zum Heilmittel gegen den Hunger wird – oder doch eher ein Übel am Horn von Afrika bleibt. Guuleed Ahmad hat keinen Zweifel: Wenn er in seinem weißen Hybrid durch Hargeisa fährt, sieht er Millionen Dollar, die hier überall herumliegen, am Straßenrand, entlang der Mauern, zwischen den Häusern und auf dem Markt, unter den Brücken und in den Innenhöfen der Restaurants. „Wir werden sie nicht mehr los, diese Prosopis. Doch wir können lernen, sie für uns zu nutzen.“

Klaus Petrus ist ein Schweizer Publizist und Fotograf



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Von Veritatis

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