Rishi Sunak benötigte gleich mehrere Anläufe, um britischer Premierminister zu werden. Zwischendurch hatte ihn seine eigene konservative Partei hängen lassen, womöglich auch, weil die Tories keine Person mit Migrationshintergrund an die Spitze der Regierung wählen wollten. Dann war Sunak, Sohn reicher indischstämmiger Einwanderer aus Ostafrika, nach einem turbulenten Auf und Ab endlich an seinem Ziel. Genau genommen saß er auf dem Sitz des Regierungschefs im britischen Unterhaus. Vor ihm stand Keir Starmer, sein Kontrahent von der Labour-Partei. Der Oppositionsführer sprach, begleitet von beifälligem Gemurmel seiner Parteigenoss*innen, sehr freundliche Worte: „Der erste britisch-asiatische Premierminister ist ein wichtiger Moment in der Geschichte unseres Landes. Dies erinnert uns daran, dass Großbritannien trotz aller Herausforderungen ein Ort ist, an dem Menschen jeglicher Herkunft und Religion ihre Träume verwirklichen können (…). Das macht uns alle stolz, britisch zu sein.“

Sunak lächelte, bedankte sich höflich-britisch für diese nette Begrüßung und beschrieb daraufhin eines seiner wichtigsten Vorhaben: „Meine Innenministerin wird sich darauf konzentrieren, Kriminelle zu verfolgen, unsere Grenzen zu verteidigen, während die Opposition Kriminellen locker gegenübersteht und unbegrenzte Einwanderung fördert.“ Eindrucksvoller hätte Sunak diese romantische, wie in Watte gepackte Szene der Vielfalt nicht aufsprengen können. Diversity kann rassistische, rechtsnationale und polemische Politik mit sich bringen – so könnte die Moral dieser Geschichte lauten.

Seit mehreren Jahren nun spielt Diversitätspolitik in vielen, mehrheitlich weißen Ländern Europas (aber auch in Nordamerika) eine zentrale Rolle im Rahmen eines neuen Wir-Projekts. Auch in Deutschland hat sich Diversität langsam als politischer Standard verfestigt. Zumindest würde jede demokratische Partei in deutschen Parlamenten diesen Begriff unterschreiben. Von rechts bis ganz links hat sich das politische Spektrum darauf geeinigt: „Bunte Teilhabe“ ist ein gesellschaftliches Ziel, in das wir als Gemeinschaft kräftig investieren sollten.

Kamala Harris und Cem Özdemir

Leider verbirgt diese Vielfaltspolitik strukturelle Probleme, die somit hinter einer Fassade weiterwirken und ironischerweise die Leben von verletzbaren Minderheiten und Gruppen bedrohen. Wie kann das sein?

Beispiele dafür gibt es zuhauf: Kamala Harris, die erste Schwarze Vizepräsidentin der USA, reiste gleich zu Beginn ihrer Amtszeit nach Mittelamerika und begegnete Schutzsuchenden, vor Krieg und Gewalt flüchtenden Menschen dort trocken mit: „Don’t come!“ Auch im US-Verteidigungsministerium regiert nun die erste Schwarze Person: der ehemalige General Lloyd James Austin. Der neue Chef des Pentagons überließ 2021 in Afghanistan die Frauen und queeren Menschen der talibanischen Terrorherrschaft. Vielfalt ist auf jeden Fall Ansichtssache.

In Deutschland sind die Beispiele weniger spektakulär, aber nicht unpolitisch: Cem Özdemir ist das Gesicht der zelebrierten Vielfalt der Grünen. Bevor er sich bei der Postenvergabe der Ampel-Parteien unter anderem dank einer etablierten Vielfaltspolitik das Landwirtschaftsministerium schnappte, tingelte er gerne durch Talkshows und sagte das, was Weiße von ihm hören wollten. So monierte er zum Beispiel die Diskriminierung von weißen Deutschen. Vielfalt wirkt, und das nicht immer im Sinne derjenigen, die sie eigentlich fördern soll.

An dieser Stelle ist es wichtig, zu betonen, dass Repräsentation natürlich eine legitime Sache sein kann. Vor allem für Kinder und Jugendliche ist es wichtig, sich in Entscheidungsräumen und generell überall wiederzuerkennen. Es ist die einfachste Art und Weise, ihnen vorzuleben, dass sie alles werden und machen können im Leben. Unzählige Kurzvideos von begeisterten und berührten Kindern machen im Netz die Runde, seitdem der Disney-Konzern seine bekannten Märchengeschichten vielfältig neu erzählt, mit Charakteren, die vor allem die US-Gesellschaft repräsentieren: Schwarze, südamerikanischstämmige oder indigene Held*innen inspirieren die Kinder, und das hat auch seine Berechtigung. Doch bleibt es gefährlich, wenn Vielfaltspolitik als pure Repräsentation verstanden wird, die grundsätzlich nichts an den Strukturen ändern möchte.

Der britische Kolonialismus ist teilweise auf der Erzählung der Vielfalt entstanden. Das Commonwealth trägt dieses vielfältige „Wir“ sogar im Namen. Diese sprachliche Einbettung macht es allerdings nicht besser, dass die britische Gewaltanwendung andere Völker ausgebeutet und entmenschlicht hat. Und das bis heute: In Großbritannien, dem Mutterland des Neoliberalismus, haben in den vergangenen Jahren zwei indischstämmige konservative Innenministerinnen maßgeblich dafür gesorgt, dass das Asylrecht eingeschränkt wurde und bald faktisch abgeschafft werden könnte. Priti Patel und ihre von Rishi Sunak so gelobte Nachfolgerin Suella Braverman arbeiteten und arbeiten weiterhin hart daran, Schutzsuchende ohne geordnetes Asylverfahren nach Ruanda abschieben zu können. Man kann es nicht oft genug betonen: Diversity kann rassistische, rechtsnationale und polemische Politik mit sich bringen.

Die Auffassung, dass jede*r rassifizierte Entscheider*in automatisch progressive, inklusive und solidarische Ansichten mit sich bringt, ist schlicht falsch und an sich rassistisch. Natürlich sind rassifizierte Menschen keine politischen Monolithen, sie können ebenso ausbeuterische und entmenschlichende Ansichten mit sich bringen – gegen die vermeintlich eigene Gruppe oder andere verletzbare Minderheiten. Deswegen ist es rein logisch betrachtet fatal, davon auszugehen, dass Vielfalt die Lösung für Ausbeutung, Rassismus und Unterdrückung ist.

Eine Kritik lautet: Aber vielleicht wollen Menschen wie Rishi Sunak gar nicht in diesen Kategorien denken? Vielleicht wollen sie einfach nur gute Politik machen und sich von der eigenen Herkunft lösen? Gegen dieses Argument sprechen allerdings die Verhaltensweisen der bunten Unterdrücker*innen: Wenn man den Namen Rishi Sunak in eine Suchmaschine eingibt, tauchen Bilder auf, die ihn stolz dabei zeigen, wie er zum hinduistischen Fest Diwali Kerzen anzündet oder in traditionellen Trachten seine eigene Herkunft zelebriert. Denn Diversity ist für solche Machtmenschen so lange gut, wie sie ihnen nützt. Der Begriff „Token“ taucht zwangsläufig auf und beschreibt von Menschenfeindlichkeit betroffene Individuen, die erfolgreich sind und sich in den Dienst von menschenfeindlichen Strukturen begeben. Diversität ist zur Oberkategorie dieses Phänomens geworden.

Vielfalt im Förderantrag

Auch auf andere Kategorien gemünzt, sorgt das Schlagwort „Diversität“ für Irritationen. Als die faschistische neue Ministerpräsidentin Italiens, Giorgia Meloni, im Amt vereidigt wurde, gratulierte ihr die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter: „Glückwunsch an Giorgia Meloni zur Wahl zur Ministerpräsidentin Italiens, die erste Frau, die diese Rolle einnimmt.“ Ist es Feminismus, einer dezidierten Rechtsextremistin zur Wahl zu gratulieren? Kann man sich über diese demokratisch legitimierte weibliche Machtübernahme freuen? Aus queer-feministischer Sicht lautet die Antwort: Nein. Eine der ersten Amtshandlungen Melonis bestand darin, ein „Ministerium für Geburtenrate“ zu gründen, das die Körper von Frauen als Geburtsmaschinen versteht.

Über diese Beispiele aus der Politik hinaus strukturiert Diversity mittlerweile nicht nur die Art und Weise, wie Gesellschaften organisiert sind, sondern auch, wie Unmengen an öffentlichen Geldern ausgegeben werden. Früher waren es in Deutschland Begriffe wie „Integration“, die für die Zivilgesellschaft als Parameter bei Förderanträgen dienten. Heute ist es das Wort „Vielfalt“, das auf diesen Anträgen auftaucht, und wie bei jedem Projektmanagement ist es an der Zeit für eine kritische Zwischenbilanz. Nicht in der reaktionären Tradition von „Multikulti macht unsere Gesellschaft kaputt“, die von rechts identitätspolitisch gepflegt wird, sondern eher mit Blick auf eine zentrale Frage: Macht Diversity (allein) die Gesellschaft wirklich gerechter, inklusiver, solidarischer? Wenn nicht: Was braucht es eigentlich (zusätzlich), um dieser Utopie näher zu kommen?

Becoming Blue: Die Cop-Culture

In vielen deutschen Verwaltungen werden zum Beispiel Diversity-Strategien umgesetzt. Der Staat und vor allem viele Kommunen bemühen sich, ihre Belegschaft vielfältig aufzustellen. Die bisherigen, meist weißen Mitarbeitenden werden geschult, nicht mehr zu diskriminieren. Das ist an sich gut, aus queer-feministischer Perspektive allerdings zu kurz gedacht. Wie kann man eine Ausländerbehörde inklusiv gestalten? Genau: Indem man sie ganz abschafft. Ein anderes Spielfeld von Diversitätspolitik ist die Polizei. Unter anderem in Berlin, Hamburg oder Frankfurt verfolgen Polizeibehörden Vielfaltsstrategien, um mehr Akzeptanz in multikulturellen Stadtgesellschaften zu erlangen. Es werden Workshops durchgeführt, Schwarze oder als muslimisch gelesene Menschen werden eingestellt, gerne auch in repräsentativen Funktionen wie Pressesprecher*innen oder Botschafter*innen für Vielfalt. Mittlerweile gilt die Diversifizierung der Polizei als Antwort auf jegliche Kritik an den Strukturen.

Trotz dieser Entwicklung ist es aber keineswegs so, dass die Polizeigewalt zurückgeht. Im Gegenteil: Der Begriff „becoming blue“ aus der kritischen Polizeiforschung beschreibt die Einbettung von rassifizierten Menschen in die sogenannte „Cop Culture“, die überhaupt den Nährboden für polizeilichen Machtmissbrauch bietet. „Becoming blue“ ist vor allem in den USA und Großbritannien gut erforscht worden und falsifiziert die Ansicht, durch Vielfalt könnte das Polizeiproblem eingedämmt werden. Wenn man so will, wird die Hautfarbe von Polizist*innen von der (meist blauen) Farbe der Uniform überlagert. Dabei sind diese Farbkategorien aus antirassistischer Sicht wie immer als politische Kategorien zu verstehen: konstruiert, erdacht und menschengemacht. Und so gibt es Fälle, in denen nichtweiße Polizeibeamt*innen härter zuschlagen und damit ihre Macht missbrauchen, um sich im System zu behaupten.

Das alles macht deutlich, dass kritische Öffentlichkeiten unbedingt hinter Diversity-Fassaden blicken sollten – auch wenn das anstrengend sein mag und damit eine naheliegende, komfortable angebliche Lösung für komplexe Probleme wegfällt. Was bringt ein divers besetztes Moderationsteam im Fernsehen, wenn hinter den Kameras weiterhin Entscheidungen wie in den 1980er Jahren gefällt werden? Welchen Wert hat eine Vielfalt feiernde Uni-Hochglanzbroschüre, wenn in den Hörsälen das Wissen und der Kanon weiterhin nicht dekolonisiert werden? Was bringt der Regenbogen als Symbol von Diversität bei Fußballturnieren, die queerfeindliche Fans versammeln und darüber hinaus Arbeiter*innen aus dem globalen Süden ausbeuten, ja sogar tödlich für sie enden? Können sich Banken mit Antirassismus-Workshops freikaufen, wenn sie wie gehabt in die Zerstörung der Lebensräume von Menschen in Afrika investieren?

Es stellen sich sehr viele, unangenehme Fragen. Wenn wir aber weiter an der Dekonstruktion historisch gewachsener und normalisierter Verhältnisse arbeiten, die aktiv die Existenz von verletzbaren Gruppen bedrohen, kommt das wirklich allen zugute.

Mohamed Amjahid hat nach Unter Weißen: Was es heißt, privilegiert zu sein und Der weiße Fleck: Eine Anleitung zu antirassistischem Denken gerade sein neues Buch Let’s talk about sex, Habibi. Liebe und Begehren von Casablanca bis Kairo veröffentlicht

Geschichte unseres Landes. Dies erinnert uns daran, dass Großbritannien trotz aller Herausforderungen ein Ort ist, an dem Menschen jeglicher Herkunft und Religion ihre Träume verwirklichen können (…). Das macht uns alle stolz, britisch zu sein.“Sunak lächelte, bedankte sich höflich-britisch für diese nette Begrüßung und beschrieb daraufhin eines seiner wichtigsten Vorhaben: „Meine Innenministerin wird sich darauf konzentrieren, Kriminelle zu verfolgen, unsere Grenzen zu verteidigen, während die Opposition Kriminellen locker gegenübersteht und unbegrenzte Einwanderung fördert.“ Eindrucksvoller hätte Sunak diese romantische, wie in Watte gepackte Szene der Vielfalt nicht aufsprengen können. Diversity kann rassistische, rechtsnationale und polemische Politik mit sich bringen – so könnte die Moral dieser Geschichte lauten.Seit mehreren Jahren nun spielt Diversitätspolitik in vielen, mehrheitlich weißen Ländern Europas (aber auch in Nordamerika) eine zentrale Rolle im Rahmen eines neuen Wir-Projekts. Auch in Deutschland hat sich Diversität langsam als politischer Standard verfestigt. Zumindest würde jede demokratische Partei in deutschen Parlamenten diesen Begriff unterschreiben. Von rechts bis ganz links hat sich das politische Spektrum darauf geeinigt: „Bunte Teilhabe“ ist ein gesellschaftliches Ziel, in das wir als Gemeinschaft kräftig investieren sollten.Kamala Harris und Cem ÖzdemirLeider verbirgt diese Vielfaltspolitik strukturelle Probleme, die somit hinter einer Fassade weiterwirken und ironischerweise die Leben von verletzbaren Minderheiten und Gruppen bedrohen. Wie kann das sein?Beispiele dafür gibt es zuhauf: Kamala Harris, die erste Schwarze Vizepräsidentin der USA, reiste gleich zu Beginn ihrer Amtszeit nach Mittelamerika und begegnete Schutzsuchenden, vor Krieg und Gewalt flüchtenden Menschen dort trocken mit: „Don’t come!“ Auch im US-Verteidigungsministerium regiert nun die erste Schwarze Person: der ehemalige General Lloyd James Austin. Der neue Chef des Pentagons überließ 2021 in Afghanistan die Frauen und queeren Menschen der talibanischen Terrorherrschaft. Vielfalt ist auf jeden Fall Ansichtssache.In Deutschland sind die Beispiele weniger spektakulär, aber nicht unpolitisch: Cem Özdemir ist das Gesicht der zelebrierten Vielfalt der Grünen. Bevor er sich bei der Postenvergabe der Ampel-Parteien unter anderem dank einer etablierten Vielfaltspolitik das Landwirtschaftsministerium schnappte, tingelte er gerne durch Talkshows und sagte das, was Weiße von ihm hören wollten. So monierte er zum Beispiel die Diskriminierung von weißen Deutschen. Vielfalt wirkt, und das nicht immer im Sinne derjenigen, die sie eigentlich fördern soll.An dieser Stelle ist es wichtig, zu betonen, dass Repräsentation natürlich eine legitime Sache sein kann. Vor allem für Kinder und Jugendliche ist es wichtig, sich in Entscheidungsräumen und generell überall wiederzuerkennen. Es ist die einfachste Art und Weise, ihnen vorzuleben, dass sie alles werden und machen können im Leben. Unzählige Kurzvideos von begeisterten und berührten Kindern machen im Netz die Runde, seitdem der Disney-Konzern seine bekannten Märchengeschichten vielfältig neu erzählt, mit Charakteren, die vor allem die US-Gesellschaft repräsentieren: Schwarze, südamerikanischstämmige oder indigene Held*innen inspirieren die Kinder, und das hat auch seine Berechtigung. Doch bleibt es gefährlich, wenn Vielfaltspolitik als pure Repräsentation verstanden wird, die grundsätzlich nichts an den Strukturen ändern möchte.Der britische Kolonialismus ist teilweise auf der Erzählung der Vielfalt entstanden. Das Commonwealth trägt dieses vielfältige „Wir“ sogar im Namen. Diese sprachliche Einbettung macht es allerdings nicht besser, dass die britische Gewaltanwendung andere Völker ausgebeutet und entmenschlicht hat. Und das bis heute: In Großbritannien, dem Mutterland des Neoliberalismus, haben in den vergangenen Jahren zwei indischstämmige konservative Innenministerinnen maßgeblich dafür gesorgt, dass das Asylrecht eingeschränkt wurde und bald faktisch abgeschafft werden könnte. Priti Patel und ihre von Rishi Sunak so gelobte Nachfolgerin Suella Braverman arbeiteten und arbeiten weiterhin hart daran, Schutzsuchende ohne geordnetes Asylverfahren nach Ruanda abschieben zu können. Man kann es nicht oft genug betonen: Diversity kann rassistische, rechtsnationale und polemische Politik mit sich bringen.Die Auffassung, dass jede*r rassifizierte Entscheider*in automatisch progressive, inklusive und solidarische Ansichten mit sich bringt, ist schlicht falsch und an sich rassistisch. Natürlich sind rassifizierte Menschen keine politischen Monolithen, sie können ebenso ausbeuterische und entmenschlichende Ansichten mit sich bringen – gegen die vermeintlich eigene Gruppe oder andere verletzbare Minderheiten. Deswegen ist es rein logisch betrachtet fatal, davon auszugehen, dass Vielfalt die Lösung für Ausbeutung, Rassismus und Unterdrückung ist.Eine Kritik lautet: Aber vielleicht wollen Menschen wie Rishi Sunak gar nicht in diesen Kategorien denken? Vielleicht wollen sie einfach nur gute Politik machen und sich von der eigenen Herkunft lösen? Gegen dieses Argument sprechen allerdings die Verhaltensweisen der bunten Unterdrücker*innen: Wenn man den Namen Rishi Sunak in eine Suchmaschine eingibt, tauchen Bilder auf, die ihn stolz dabei zeigen, wie er zum hinduistischen Fest Diwali Kerzen anzündet oder in traditionellen Trachten seine eigene Herkunft zelebriert. Denn Diversity ist für solche Machtmenschen so lange gut, wie sie ihnen nützt. Der Begriff „Token“ taucht zwangsläufig auf und beschreibt von Menschenfeindlichkeit betroffene Individuen, die erfolgreich sind und sich in den Dienst von menschenfeindlichen Strukturen begeben. Diversität ist zur Oberkategorie dieses Phänomens geworden.Vielfalt im FörderantragAuch auf andere Kategorien gemünzt, sorgt das Schlagwort „Diversität“ für Irritationen. Als die faschistische neue Ministerpräsidentin Italiens, Giorgia Meloni, im Amt vereidigt wurde, gratulierte ihr die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter: „Glückwunsch an Giorgia Meloni zur Wahl zur Ministerpräsidentin Italiens, die erste Frau, die diese Rolle einnimmt.“ Ist es Feminismus, einer dezidierten Rechtsextremistin zur Wahl zu gratulieren? Kann man sich über diese demokratisch legitimierte weibliche Machtübernahme freuen? Aus queer-feministischer Sicht lautet die Antwort: Nein. Eine der ersten Amtshandlungen Melonis bestand darin, ein „Ministerium für Geburtenrate“ zu gründen, das die Körper von Frauen als Geburtsmaschinen versteht.Über diese Beispiele aus der Politik hinaus strukturiert Diversity mittlerweile nicht nur die Art und Weise, wie Gesellschaften organisiert sind, sondern auch, wie Unmengen an öffentlichen Geldern ausgegeben werden. Früher waren es in Deutschland Begriffe wie „Integration“, die für die Zivilgesellschaft als Parameter bei Förderanträgen dienten. Heute ist es das Wort „Vielfalt“, das auf diesen Anträgen auftaucht, und wie bei jedem Projektmanagement ist es an der Zeit für eine kritische Zwischenbilanz. Nicht in der reaktionären Tradition von „Multikulti macht unsere Gesellschaft kaputt“, die von rechts identitätspolitisch gepflegt wird, sondern eher mit Blick auf eine zentrale Frage: Macht Diversity (allein) die Gesellschaft wirklich gerechter, inklusiver, solidarischer? Wenn nicht: Was braucht es eigentlich (zusätzlich), um dieser Utopie näher zu kommen?Becoming Blue: Die Cop-CultureIn vielen deutschen Verwaltungen werden zum Beispiel Diversity-Strategien umgesetzt. Der Staat und vor allem viele Kommunen bemühen sich, ihre Belegschaft vielfältig aufzustellen. Die bisherigen, meist weißen Mitarbeitenden werden geschult, nicht mehr zu diskriminieren. Das ist an sich gut, aus queer-feministischer Perspektive allerdings zu kurz gedacht. Wie kann man eine Ausländerbehörde inklusiv gestalten? Genau: Indem man sie ganz abschafft. Ein anderes Spielfeld von Diversitätspolitik ist die Polizei. Unter anderem in Berlin, Hamburg oder Frankfurt verfolgen Polizeibehörden Vielfaltsstrategien, um mehr Akzeptanz in multikulturellen Stadtgesellschaften zu erlangen. Es werden Workshops durchgeführt, Schwarze oder als muslimisch gelesene Menschen werden eingestellt, gerne auch in repräsentativen Funktionen wie Pressesprecher*innen oder Botschafter*innen für Vielfalt. Mittlerweile gilt die Diversifizierung der Polizei als Antwort auf jegliche Kritik an den Strukturen.Trotz dieser Entwicklung ist es aber keineswegs so, dass die Polizeigewalt zurückgeht. Im Gegenteil: Der Begriff „becoming blue“ aus der kritischen Polizeiforschung beschreibt die Einbettung von rassifizierten Menschen in die sogenannte „Cop Culture“, die überhaupt den Nährboden für polizeilichen Machtmissbrauch bietet. „Becoming blue“ ist vor allem in den USA und Großbritannien gut erforscht worden und falsifiziert die Ansicht, durch Vielfalt könnte das Polizeiproblem eingedämmt werden. Wenn man so will, wird die Hautfarbe von Polizist*innen von der (meist blauen) Farbe der Uniform überlagert. Dabei sind diese Farbkategorien aus antirassistischer Sicht wie immer als politische Kategorien zu verstehen: konstruiert, erdacht und menschengemacht. Und so gibt es Fälle, in denen nichtweiße Polizeibeamt*innen härter zuschlagen und damit ihre Macht missbrauchen, um sich im System zu behaupten.Das alles macht deutlich, dass kritische Öffentlichkeiten unbedingt hinter Diversity-Fassaden blicken sollten – auch wenn das anstrengend sein mag und damit eine naheliegende, komfortable angebliche Lösung für komplexe Probleme wegfällt. Was bringt ein divers besetztes Moderationsteam im Fernsehen, wenn hinter den Kameras weiterhin Entscheidungen wie in den 1980er Jahren gefällt werden? Welchen Wert hat eine Vielfalt feiernde Uni-Hochglanzbroschüre, wenn in den Hörsälen das Wissen und der Kanon weiterhin nicht dekolonisiert werden? Was bringt der Regenbogen als Symbol von Diversität bei Fußballturnieren, die queerfeindliche Fans versammeln und darüber hinaus Arbeiter*innen aus dem globalen Süden ausbeuten, ja sogar tödlich für sie enden? Können sich Banken mit Antirassismus-Workshops freikaufen, wenn sie wie gehabt in die Zerstörung der Lebensräume von Menschen in Afrika investieren?Es stellen sich sehr viele, unangenehme Fragen. Wenn wir aber weiter an der Dekonstruktion historisch gewachsener und normalisierter Verhältnisse arbeiten, die aktiv die Existenz von verletzbaren Gruppen bedrohen, kommt das wirklich allen zugute.Placeholder infobox-1



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Von Veritatis

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