Reproduktion Zeit für Reformen: Bei In-vitro-Fertilisationen entstehen oft „überzählige“ Embryonen, die nicht geboren werden dürfen. Das sollten wir ändern und die deutschen Bestimmungen zum Embryonenschutz in diesem Sinne überarbeiten

Eine In-vitro-Befruchtung, betrachtet durch das Mikroskop

Eine In-vitro-Befruchtung, betrachtet durch das Mikroskop

Foto: Panthermedia/Imago Images

Menschenfabriken fast á la Frankenstein, vorgeburtliche Optimierung wie bei Aldous Huxley, Designerbabies für die Upper Class durch Ausbeutung von Frauenkörpern in der Peripherie? Debatten über Reproduktionsmedizin sind heikel. Doch die Auseinandersetzung mit Leihmutterschaft, Eizellspende und Embryonentransfer – also mit den drei Reproduktionsbehandlungen, bei denen befruchtete Eizellen in „fremde“ Gebärmütter eingesetzt werden – ist bei aller berechtigten Skepsis oft zu klischeelastig und realitätsfern.

Nun aber besteht die Möglichkeit, sich diesem Thema noch einmal neu zu nähern. Die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP will die betreffenden Regeln überprüfen; die Einsetzung einer entsprechenden Ko

chenden Kommission steht kurz bevor. Endlich, muss man sagen. Denn die bisherige Regelung schafft Graubereiche. Sie fügt schon jetzt wohl Zehntausenden und in ein paar Jahren einer sechsstelligen Zahl an Kindern in Deutschland vermeidbaren biografischen Schaden zu.Einer der Kurzschlüsse, die zumindest für die öffentliche Debatte um diesen Problemkreis nicht untypisch sind, klingt auch in dem lesenswerten Beitrag „Entbindet nicht von Diskussion“ von Barbara Mitscherlich-Schönherr (der Freitag 39/2022) an: Geht es um diese medizinisch ähnlichen, aber sozial höchst unterschiedlichen Verfahren, verengt sich die Diskussion viel zu oft auf die Leihmutterschaft.Der Popanz LeihmutterschaftAuch Mitscherlich-Schönherr nennt dieselbe nämlich zuerst. Sie denkt dabei an Frauen mit arbeitenden Eierstöcken, aber ohne funktionsfähige Gebärmutter, die sich den Wunsch nach einem biologischen Kind erfüllen können, indem eine ihnen entnommene und in vitro befruchtete Eizelle einer anderen Frau eingesetzt wird, die den Embryo dann austrägt. Anderswo stehen beim diesem Schlagwort aber auch misogyne Klischees im Raum: die „Karrierefrau“, die sich die Laufbahn nicht durch eine Schwangerschaft erschweren wolle, das Model, das um seine Figur fürchte.Verständlicherweise taugt ein Verfahren zum Aufreger, bei dem ein Kind gleich nach Geburt von der Gebärenden entfernt wird. Doch obwohl es hierzulande zu dem ganzen Komplex um diese Verfahren kaum verlässliche Zahlen gibt, lässt sich annehmen, dass die Leihmutterschaft den seltensten Fall einer Eizell-Übertragung darstellt – und sich das auch nach einer Reform nicht ändern würde.In der Regel ginge und geht es in der Praxis längst um das sozusagen Gegenteilige: In vitro befruchtete – das steigert die Chancen – Eizellen werden Frauen mit eingeschränkter „Fruchtbarkeit“ eingesetzt, die das Kind dann auch behalten wollen. Um sich nun hierzu eine Meinung zu bilden, hilft es, sich zunächst die konkreten Konstellationen zu vergegenwärtigen, in deren Rahmen es zu einem solchen Prozedere kommt. Vielleicht denkt man zuerst an das Hetero-Paar, bei dem der Mann zeugungsfähig ist, die Frau aber nicht. Es ist für die Diskussion aber wichtig, auch die anderen drei Möglichkeiten im Blick zu haben, die längst nicht mehr exotisch sind: erstens Singles mit Eizell-Problem und Kinderwunsch, zweitens das gleichgeschlechtliche Paar, bei dem die Gebärwillige unzureichend ausgestattet ist – und nicht zuletzt das Hetero-Paar, bei dem das für beide gilt, was bei Männern häufiger vorkommt, als Männer gerne glauben.Für die Debatte ist das wichtig, weil nur im ersten Fall des Hetero-Paares mit „unfruchtbarer“ Frau eine Eizellspende im engen Sinn das Mittel sein muss: Spenderinnen werden Eizellen entnommen, die man mit Spermien des Mannes befruchtet, der die Vaterrolle übernimmt – sodass das Kind mit dem Vater, nicht aber der Mutter biologisch verwandt ist. In den anderen drei Konstellationen besteht im Erfolgsfall keine biologische Verwandtschaft zwischen den Kindern und denen, die sie gebären und aufziehen. Es werden Eizellen transferiert, die mit dem Samen eines Mannes jenseits der Familienkonstellation befruchtet wurden. Obwohl also stets eine „fremde“ Eizelle befruchtet und eingesetzt wird, besteht in sozialer Hinsicht ein erheblicher Unterschied zwischen der Eizellspende im engen Sinn – Konstellation eins – und den Konstellationen zwei bis vier, in denen jeweils ein „ganzer“ Embryo „gespendet“ wird.Dabei geht es aber nicht nur um das biologische Verwandtschaftsverhältnis zwischen Kindern und Eltern, sondern auch um die ethische Dimension der „Herstellung“ der Embryonen. Lassen wir nämlich die überdiskutierte Leihmutterschaft einmal beiseite, besteht nur bei der Eizellspende im engen Sinn zwingend die Gefahr der kommerziellen Ausbeutung von Frauenkörpern durch einen „Reproduktionshandel“, von dem auch Mitscherlich-Schönherr schreibt. Denn nur, wenn Paare lediglich die Eizellen brauchen, das Sperma aber selbst mitbringen, muss in jedem Fall eine Frau bereit sein, sich für eine andere – also ohne eigenes Reproduktionsinteresse – der Eizellentnahme zu unterziehen. Diese belastende Prozedur wirft tatsächlich die Frage der Entlohnung der Spenderin auf. Und durchaus auch die, ob eine Gesellschaft solche Geschäfte zulassen will.In den anderen Konstellationen aber, in denen die Eltern ohnehin auf eine biologische Verwandtschaft mit den erhofften Kindern verzichten – müsste sich eigentlich niemand ohne eigenes Reproduktionsinteresse der Eizellentnahme unterziehen. Denn es gibt diese potenziellen Kinder bereits. Nicht nur in den einschlägigen Staaten, die stets genannt werden, wenn es um „Babyfabriken“ geht, sondern auch hierzulande – in unbekannter, mutmaßlich aber sehr erheblicher Zahl. Wir müssten sie nur zur Welt kommen lassen.Diese Embryonen entstehen quasi als Nebenprodukte bei In-vitro-Befruchtungen, die in westlichen Ländern längst ein Massenphänomen sind. Bei der Intracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) etwa werden Frauen in der Regel hormonell stimuliert, sodass mehrere Eizellen entnommen werden können. Diese werden dann gezielt mit dem Samen eines Partners oder Spenders befruchtet und wieder eingesetzt. Obwohl pro Versuch mehr als eine befruchtete Eizelle verwendet wird (wodurch vermehrt Mehrlinge entstehen) bleiben häufig Embryonen „übrig“ – weil eine Schwangerschaft herbeigeführt werden konnte oder die Gebärwilligen aufgegeben haben. Diese werden in einem frühen Stadium eingelagert, bis die Behandelten erklären, keine weiteren Einsetzungsversuche mehr unternehmen zu wollen. Dann werden die „Eisfach-Kinder“ abgetötet. Das ist die Realität, von der die Diskussion heute ausgehen sollte.Adoption vor der GeburtLäge es da nicht nahe, eine vorgeburtliche Adoption – nichts anderes ist die Embryonenspende – dieser „übrig gebliebenen“ potenziellen Kinder zu ermöglichen? Das wird vom deutschen Embryonenschutzgesetz strikt ausgeschlossen. Ärztinnen und Ärzte, die sich darüber womöglich hinwegsetzen, gehen hohe Risiken ein. Bis heute dürfen die Eisfach-Kinder zu nichts „verwendet“ werden außer zur Einsetzung in genau den Körper, der die befruchtete Eizelle auch produziert hat.Nun liegen dieser Regelung ernst zu nehmende Motive zugrunde. Ein kommerzieller Handel mit potenziellen Menschen soll vermieden werden – und medizinische Versuche mit Embryonen verhindert. Aber schon letzterer Grundsatz ist nicht unhinterfragbar: Wenn sich eine Gesellschaft darauf verständigt, dass Schwangerschaftsabbrüche bis in die zwölfte Woche vertretbar sind, warum sind dann diese wenige Tage alten Zellkulturen sakrosankt – zumal die Alternative in der Abtötung besteht? Und das Verbot, diese Eisfach-Kinder in einem „fremden“ Körper zur Geburt reifen zu lassen, ist angesichts der Realitäten schlicht nicht mehr nachvollziehbar.Noch einmal: Diese heute und hierzulande in mutmaßlich großen Zahlen existierenden Embryonen sind nicht das Produkt von kommerzieller Ausbeutung weiblicher Körper. Die Personen, von denen die Eizellen stammen, haben sich der Behandlung aufgrund eines eigenen Kinderwunsches unterzogen. Wer je auch nur in die Nähe der Reproduktionsmedizin geraten ist, weiß, wie schwer es ICSI-Behandelten fällt, die Entscheidung zum „Abschalten“ zu treffen. Den Allermeisten wäre es lieber, wenn diese möglichen Kinder eine Chance hätten, andere Eltern zu finden – ohne irgendein finanzielles Interesse.Dass eine Reform zumindest dieser Bestimmung geboten ist, zeigt der Blick auf deren real existierende Folgen. Es besteht ein massenhafter Reproduktionstourismus etwa in die Tschechische Republik, die über eine hoch entwickelte Kinderwunschmedizin verfügt. Dort kostet eine ICSI erheblich weniger und es ist erlaubt, was möglich ist. Laut den meist deutschsprachigen Webseiten der zahlreichen Kliniken lassen sich in Tschechien tatsächlich „Bestellungen“ aufgeben, ob von Eizellen, die man selbst befruchten möchte, oder „ganzer“ Embryonen. Angeboten wird aber auch die Adoption von Eisfach-Kindern, die bei all dem „angefallen“ sind. Wählbar sind dabei die Spenderinnen und gegebenenfalls Spender der Keimzellen nach äußerlichen Merkmalen und sogar Ausbildungsstatus, allerdings strikt anonym. So „erzeugte“ Kinder erfahren also nie, von wem ihre Gene stammen – oder ob sie gar, was bei Eisfach-Embryonen ja gut möglich ist, irgendwo leibliche Geschwister jenseits ihrer Familie haben.Auch wer der Meinung ist, dass Verwandtschaft eine mehr soziale als biologische Größe sei, kann das doch grausam finden. Zumal die damit verbundenen Dilemmata, die sich den Eltern solcher Kinder stellen, durch eine maßvolle und vernünftige Reform der hiesigen Bestimmungen vermeidbar wären, nämlich durch eine geregelte Legalisierung der Adoption zumindest der ohnehin existierenden Eisfach-Kinder. Es mag nicht einfach sein, eine Neuregelung so zu fassen, dass nicht doch ein kommerzieller Handel mit rein zu Verkaufszwecken produzierten Embryonen entsteht; auch ein Ausschluss von Zahlungen an die leiblichen Eltern ist dafür noch keine Garantie. Die Medizin ist heute profitorientierter als im Jahr 1990, auf die die bestehenden Bestimmungen zum Schutz von Embryonen im Kern zurückgehen – und nichts ist so findig wie der Profit.Man sollte die Reform also langsam angehen, tastend, Stück für Stück – und behutsam auf die bis dato unbekannten Dimensionen des Problems eingehen. Vielleicht zeigt sich ja, dass die ohnehin bestehenden Eisfach-Embryonen den „Bedarf“ schon decken und die Eizellspende gar nicht dringend ist – weil womöglich auch Paare, die „eigenen“ Samen hätten, nach einer Reform auf die biologische Verwandtschaft des Kindes mit dem Mann verzichten. Vielleicht reicht das auch nicht, dann wäre neu nachzudenken.Dass aber ein Embryo kategorisch nur in den Körper eingesetzt werden darf, der die Eizelle hervorgebracht hat, ist kaum noch zu begründen. Und die jetzt teils wieder anhebende Diskussion darüber, ob es „ein Recht auf ein eigenes Kind“ gebe, wirkt angesichts der Realitäten nicht nur unangemessen abstrakt – sondern auch zynisch gegenüber den heutigen wie künftigen Kindern der Reproduktionsmedizin.



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Von Veritatis

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