Männer fühlen sich gesünder als Frauen, obwohl diese Eigenwahrnehmung mit der statistisch erfassten Häufigkeit von Krankheitsbildern nicht übereinstimmt. In ihrer „Selbstfürsorge“ seien Männer „nicht sonderlich sensibel“, resümiert Sabine Wolfert, Projektleiterin des Münchener Insituts Kantar Public. Das Forschungsteam befragte repräsentativ mehr als 2.000 Männer zwischen 16 und 28 Jahren, parallel wurden 1.000 Frauen im gleichen Alter interviewt. Die Daten flossen in den fünften Männergesundheitsbericht, den die regierungsunabhängige, durch Spenden finanzierte Stiftung Männergesundheit herausgibt. Hauptthema sind diesmal junge Männer, im Kontrast zur Vorgängerstudie von 2020, die s

2020, die sich auf ältere Männer in der Übergangsphase vom Beruf zur Rente konzentrierte.Als wichtigste Erkenntnis konstatiert die Untersuchung, dass „Gesundheitsbewusstsein, Gesundheitsverhalten und Gesundheitsstatus der jungen Männer mit ihrer jeweiligen Vorstellung von der männlichen Geschlechtsrolle verbunden ist“. Diesen Befund belegen zahlreiche Details: etwa die viel ausgeprägtere Spielsucht, den Mangel an Achtsamkeit nach Sport oder Partys für körperliche Erholungsphasen sowie den erheblich höheren Konsum von Alkohol und Cannabis. Beim Rauchen liegen die Geschlechter dagegen inzwischen nahezu gleichauf. 70 Prozent der Befragten qualmen gar nicht (mehr), ein im Vergleich zu früheren Erhebungen deutlich gestiegener Wert. Frauen haben in der jüngeren Generation „bei negativen, sie schädigenden Verhaltensweisen aufgeholt“, sagt Kurt Miller, früher Direktor der Urologischen Klinik an der Berliner Charité und medizinischer Vorstand der Stiftung Männergesundheit.Nach dem Vorbild der von Rainer Volz und Paul Zulehner verfassten Männerstudien im Auftrag der großen christlichen Kirchen bedient sich der Bericht einer Typologie. Vier Varianten von Männlichkeit sollen die Vielfalt der Rollenbilder beschreiben. Unterschieden werden maskulin dominante (24 Prozent der Befragten), auf Gleichberechtigung fokussierte (30 Prozent), partnerschaftlich orientierte (28 Prozent) sowie rollenambivalente Männer (19 Prozent). Mit höherer Qualifikation und steigendem Alter wächst die Unterstützung für egalitäre Vorstellungen im Geschlechterverhältnis.Gesundheit als SchulfachDoch „auch junge Männer folgen teilweise alten Mustern“, betont Mitherausgeber Klaus Hurrelmann von der Hertie School of Governance, der vor seiner Emeritierung Jugendforschung an der Universität Bielefeld gelehrt hat. Das Bildungsniveau habe großen Einfluss darauf, ob Anzeichen für mögliche Erkrankungen überhaupt wahrgenommen würden. Der Wissenschaftler fordert daher einen „Gesundheitsunterricht“ an den Schulen.Einstellungsuntersuchungen beruhen auf Selbsteinschätzungen der Befragten. Das schmälert die Aussagekraft, weil das faktische Verhalten erheblich davon abweichen kann. Dem empirischen Dilemma wirken die Herausgeber zum einen entgegen, indem sie der Studie eine fundierte Literaturübersicht über den bisherigen Stand der Forschung voranstellen. Diese Zusammenfassung stammt von der Gütersloher Gesprächstherapeutin Heidrun Bründel, die mit Klaus Hurrelmann kooperiert und mit ihm mehrfach zur Männergesundheit publiziert hat. Zum anderen kommentieren Fachleute in eigenständigen Beiträgen die ermittelten Daten. So haben Online-Spiele unter den jungen Männern eine erhebliche Bedeutung. Der Aussage „Ab und zu zocke ich die ganze Nacht am Bildschirm und bin am nächsten Tag völlig gerädert“ stimmen sie deutlich häufiger zu als Frauen. Noch größer ist das Gender-Gefälle bei der Nutzung pornografischer Angebote: Während das Pornogucken im Netz für die befragten Männer zu einem integrierten Teil ihrer Sexualität geworden ist, liegt das Interesse weiblicher Zuschauerinnen signifikant niedriger. Hoffnung macht eine Aussage von Mitherausgeber Kurt Miller: Junge Männer seien im Umgang mit ihrer Gesundheit „nicht so schlecht, wie wir zuvor gedacht haben“. Ein Teil der Daten lasse ein langsam wachsendes Bewusstsein für die in traditionellen Settings verpönte Selbstsorge erkennen, das sei ermutigend.Auch der Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Lebenserwartung ist gesunken, im Durchschnitt auf 4,8 Jahre. In der von Industriearbeit und althergebrachten Rollen geprägten Periode nach dem Zweiten Weltkrieg betrug der sogenannte Gender Life Expectancy Gap noch acht Jahre. Prognosen für das Jahr 2060, die wegen der langen Zeitspanne mit Vorsicht zu betrachten sind, sagen einen weiteren Rückgang auf lediglich 3,4 Jahre voraus.Zu selten beachtet wird das durch Lohnniveau und psychosoziale Lage bedingte Gefälle unter den Männern selbst. Zwischen dem ärmsten und dem reichsten Einkommenssegment liegen alarmierende 10,8 Jahre. Kurt Miller fordert vor diesem Hintergrund eine klare Fokussierung. Die größten Probleme hätten diejenigen, die „man am schwierigsten erreicht“, daher müsse man sich bei der Prophylaxe um diese Gruppe am meisten kümmern.Der geschlechtsspezifische Blick auf die Medizin ist nicht überall selbstverständlich. Zwar wurde in den Nullerjahren viel geredet über die von der EU angeregte Strategie des Gender Mainstreaming. In sämtlichen Politikfeldern sollten Akteur:innen auf die Auswirkungen für Frauen wie Männer achten. Beim Thema Gesundheit führt das zumindest aus weiblicher Sicht inzwischen auch zu Erfolgen. Der Deutsche Bundestag debattierte in den vergangenen Monaten mehrfach darüber, dass Frauen häufiger an Long Covid erkranken oder unter dem verwandten chronischen Fatigue-Syndrom leiden. Über Männer tangierende Probleme hingegen, so der SPD-Abgeordnete und Arzt Herbert Wollmann bei der Präsentation der aktuellen Studie, habe man bisher weder im Parlament noch im zuständigen Fachausschuss gesprochen.Placeholder infobox-1



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Von Veritatis

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