Niederlande Von Alt-Right bis zu Alt-Hippies: Das rechtsradikale Forum voor Democratie liebt Verschwörungstheorien und Drohungen, bei denen es bis zum Sturm auf das Parlament geht


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Ausgabe 49/2022

Den Namen des Mannes, der sich als „Gründer der energetischsten Antiglobalisierungsbewegung unserer Zeit“ sieht, sprechen die meisten Niederländer „Cherry Baudette“ aus

Den Namen des Mannes, der sich als „Gründer der energetischsten Antiglobalisierungsbewegung unserer Zeit“ sieht, sprechen die meisten Niederländer „Cherry Baudette“ aus

Plötzlich wirkt der Rechtspopulist Geert Wilders wie ein Waisenknabe. Auf jeden Fall als das kleinere Übel im Vergleich zu Thierry Baudet, Frontmann und Sprachrohr der Partei Forum voor Democratie (FvD). Teile der niederländischen Öffentlichkeit fragen sich, ob der 39-jährige Baudet, von Haus aus Historiker und Jurist, den Verstand verloren hat, wenn er in einem Interview erklärt: „Ich bin ein Verschwörungstheoretiker. Ich glaube, dass wir von einer globalen Verschwörung bösartiger Reptilien regiert werden. Meiner Meinung nach ist der einzige globale Akteur, der dem entgegentritt, Wladimir Putin. Ich bin ein Fan von ihm. Er ist der Held, den wir brauchen, um die Globalisten zu entlarven.“ Allerdings ist Baudet, anders als Wilders in

in seiner Partij voor de Vrijheid (PVV), keinesfalls das einzige Aushängeschild für das „Forum für Demokratie“.Das Parlament stürmenIn Baudets Windschatten drängen junge Radikale in den Vordergrund. Der Abgeordnete Pepijn van Houwelingen etwa, der einem Mitglied der liberalen Koalitionspartei Democraten 66 wegen der Covid-Beschränkungen im Parlament drohte: „Ihre Zeit kommt schon noch, denn es wird Tribunale geben.“ Oder Baudets Kollege Gideon van Meijeren, der die Situation von Ungeimpften während der Covid-Pandemie mit der Judenverfolgung in den besetzten Niederlanden verglichen und Journalisten als „Kanalratten“ bezeichnet hat. Der gleiche van Meijeren, einer von momentan fünf FvD-Abgeordneten, fantasiert gegenüber der einschlägigen belgischen Website compleetdenkers.be über das Entstehen einer revolutionären Bewegung, die zum Parlament ziehen und erst wieder weggehen werde, „wenn die Regierung gefallen ist“. Dass es dabei, wie die Geschichte zeige, „Opfer, selbst tödliche“, geben könne, nennt van Meijeren „furchtbar“. Er hoffe, es verhindern zu können. Über ausreichende Unterstützung verfüge man.Es war im März 2019, als Thierry Baudet erstmals und – wie es schien – sehr bewusst eine Grenze überschritt. Sein Forum voor Democratie, erst zweieinhalb Jahre zuvor gegründet, hatte Provinzwahlen gewonnen. Bis dahin kannte man Baudet, dessen Namen die meisten Niederländer wie „Cherry Baudette“ aussprechen, als ambitionierten politischen Parvenü, der sich gern als konservativer Intellektueller inszenierte. Ein Schöngeist wollte er sein, der es romantisch fand, in der globalisierten Welt die Flagge des Nationalstaatlichen hochzuhalten. Als er an jenem Wahlabend vor seine Anhänger trat, gab er mit martialischen Worten den identitären Kulturkämpfer. Einer, der auszog, die Nordhalbkugel der Erde zu retten. Den akademischen Hintergrund hörte man ihm noch an. Die zwanzigminütige Rede begann mit Anspielungen auf die griechisch-römische Mythologie, indem er die „Eule der Minerva“ beschwor. Dann jedoch, fast übergangslos, wurde Baudet zum Hassprediger gegen Akademiker und Journalisten. Er warf ihnen vor, die Niederlande und den Rest der nördlichen Zivilisation zu unterwandern. Es gäbe eine das Land verwaltende „Clique“, die für „Massenzuwanderung“ und den vermeintlichen Ausverkauf an „diese schreckliche Europäische Union“ verantwortlich sei.Baudets Angriff galt einem „Nachhaltigkeits-Götzendienst“ und „säkularisierten Sintflut-Glauben“. Mit solch ressentimentgeladener Kampfansage schoss das Forum voor Democratie in ein Fahrwasser der jähen Radikalisierung, in dem Stromschnellen keine Seltenheit sind. Anfangs mehr EU-skeptischer Thinktank und zwischen der marktliberalen Regierungspartei VVD von Premier Mark Rutte und Geert Wilders PVV angesiedelt, schien sich Baudet zu häuten, um seine wahre Identität zu entblößen. Danach sprach der eloquente, Piano spielende Bildungsbürger ein größeres, vor allem anderes Elektorat an als der notorisch polternde und pöbelnde Wilders.Woraus resultierte diese Radikalisierung in relativ kurzer Zeit? Als entscheidenden Faktor benennt Gideon van Meijeren die sich wandelnde Anhängerschaft der Partei. Das FvD hat nicht nur mit Abstand die meisten Mitglieder hinzugewonnen, das Forum hält auch die Zeit der Covid-Pandemie in stets frischer Erinnerung. Man hatte es verstanden, sich als Stimme von Infektionsleugnern und Impfgegnern sowie als Fundamentalopposition gegen heftig umstrittene Lockdowns zu inszenieren. Die entstandene „Bewegung“ zog trotz ergangener Verbote regelmäßig über Straßen und Plätze. Sie ist, auch wenn unterschiedliche Akzente gesetzt werden, bis heute an Protesten gegen die liberale Regierung in Den Haag beteiligt. Die Partei reklamierte für sich, nicht nur Vorhut dieses Widerstandes zu sein, sondern zugleich neue Wählerschichten erschlossen zu haben. Es fand ein der deutschen Querdenker-Szene vergleichbares Konglomerat aus Rechtsextremen, besorgten Bürgern, Esoterikern und Parteigängern „alternativer Wahrheiten“ zueinander.Mittlerweile verzeichnet das Forum voor Democratie Zulauf aus Milieus, die der Partei ihr Aufbegehren gegen die Corona-Regeln hoch anrechnen. Die Gefolgschaft reicht von Alt-Right bis zu Alt-Hippies. Sie streift eine Klientel, die man in den Niederlanden mittlerweile als „Wellness-Rechte“ beschreibt. Auch programmatisch schlägt sich diese Entwicklung nieder. Der in rechtsextremen, identitären Kreisen zur ideologischen Grundausstattung zählende Topos einer „Umvolkung“ ist beim Forum ebenso populär wie der Anti-Eliten-Diskurs, der sich gegen das vermeintliche „Parteienkartell“ und „die Mainstream-Medien“ richtet. Stimuliert fühlen sich die Widerständler gleichfalls durch eine „globalistische Verschwörung“ unter der Regie des Weltwirtschaftsforums. „Die Tentakel des WEF müssen weltweit offengelegt werden“, twitterte Pepijn van Houwelingen vor Monaten. Baudet bespiegelte sich auf dem gleichen Medium sogar als „Gründer der energetischsten Antiglobalisierungsbewegung unserer Zeit“.Die Fundamentalopposition gegen die Corona-Politik dürfte entscheidend dazu beigetragen haben, dass sich das FvD bei den Parlamentswahlen im März von zwei auf acht Sitze verbesserte, wobei im Mai drei Parlamentarier abwanderten, nachdem ein Forum-Poster die Corona-Politik mit der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg verglichen hatte. Im Prinzip war dieser Aderlass keine allzu große Überraschung. Der Partei sind Querelen nicht fremd, ausgelöst durch den Hang, sich aus der Parteikasse selbst zu bedienen, oder durch einen programmatischen Richtungsstreit. Hin und wieder kommt eben jemand abhanden.Extremistische Tendenzen gab es unter dem Forum-Dach immer schon. 2020 wurde bekannt, dass Mitglieder der Nachwuchsorganisation JFVD in Chatgruppen rassistische, antisemitische und homophobe Statements tauschten. Zur selben Zeit wurde Baudet von mehreren Parteimitgliedern beschuldigt, er habe bei einer internen Zusammenkunft George Soros für das Corona-Virus verantwortlich gemacht. Laut der Abgeordneten Nicki Pouw-Verweij erklärte Baudet bei dieser Gelegenheit auch: „Fast jeder, den ich kenne, ist Antisemit.“Durchaus keine Einzelfälle. Schon 2017 bemängelte Thierry Baudet, die niederländische Bevölkerung werde „mit allen Völkern der Welt homöopathisch verdünnt“, sodass irgendwann kein Niederländer mehr existieren werde. Im selben Jahr traf er sich mit dem amerikanischen Alt-Right-Vertreter und White-Supremacy-Anhänger Jared Taylor, der zu einem Kongress der rechtsextremen, ethno-nationalistischen „Studiengesellschaft Erkenbrand“ in die Niederlande gereist war.Zeitgenosse TrendInsofern korrespondiert die latente Radikalisierung der Partei mit einem Prozess, der schon länger an Intensität gewonnen und einen rabiaten Anti-Regierungs- wie Anti-Eliten-Diskurs verschwörungstheoretisch aufgeladen hat. Diese Tendenz bedrängt nicht nur eine demokratische Öffentlichkeit, sie rekurriert ebenso auf Rückhalt und Gunstbeweise in einer gewaltbereiten Szene. Jüngst warnte die niederländische Behörde zur Terrorismusbekämpfung, die Verschränkung aus Extremismus und Verschwörungstheorien sei ein Nährboden für „terroristische Handlungen“.Kein Wunder, dass in diesem Herbst Stimmen laut werden, das Forum voor Democratie zu verbieten. Es lässt sich nicht bestreiten, dass innerhalb weniger Jahre neben der Freiheitspartei ein zweiter rechtsextremer Akteur an Boden gewonnen hat, dem um Wählerzuspruch nicht bange sein muss. Die Parlamentswahl Ende September in Italien hat gezeigt, dass daran auch andernorts in der EU kein Mangel herrscht. Die Stimmung in Frankreich und das Agieren der Rechtsaußen vom Rassemblement National deuten an, von Ausnahmen zu sprechen, wäre verfehlt.



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Von Veritatis

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