Die Demokratie ist in Gefahr. Eine Truppe um einen von der Familie verstoßenen Prinzen, ein paar AfD-Politiker und zahlreiche aktive und ehemalige Soldaten sowie Polizisten habe einen Staatsstreich geplant. Ob die Gruppe tatsächlich in der Lage gewesen wäre, in einem politischen Umsturz das gesamte Staatssystem der BRD zu zerstören, darf getrost bezweifelt werden. Gefährlich sind derlei Aktivitäten aber selbstverständlich dennoch. Denn bewaffnete Gruppen, die sich zu einem großen Teil aus erfahrenen Personen aus den Sicherheitsorganen zusammensetzen, können auch unterhalb der Stufe eines erfolgreichen Staatsstreiches erheblichen Schaden anrichten. Nun ist eine Debatte entbrannt, wie der Gefahr durch Reichsbürger, noch dazu solche im Staatsd
Innenpolitik Nach der Reichsbürger-Razzia mit großer medialer Berichterstattung will Innenministerin Nancy Faeser ihre Pläne schnell umsetzen, um gegen verfassungsfeindliche Beamte vorzugehen. Doch was sie vorhat, ist fragwürdig
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Innenministerin Nancy Faeser (SPD)
Foto: John MacDougall/AFP/Getty Images
haden anrichten. Nun ist eine Debatte entbrannt, wie der Gefahr durch Reichsbürger, noch dazu solche im Staatsdienst, zu begegnen ist.Es gibt vernünftige Forderungen wie die grundsätzliche Verschärfung des Waffenrechts. Doch die Umsetzung dürfte schwer werden, denn SPD und Grüne sind dafür, die FDP ist dagegen. Einig sind sich die Ampel-Koalitionspartner aber darin, stärker gegen vermeintlich verfassungsfeindliche Beamte vorzugehen. Insbesondere Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zeigt sich nach der Großrazzia entschlossen, ihre Pläne endlich umsetzen zu können. Bereits Anfang des Jahres hatte sie verkündet, das Disziplinarrecht für Beamte und Soldaten zu verschärfen. Beamte sollen bei einem begründeten Verdacht auf „extremistische Bestrebungen“ per Verwaltungsakt entlassen werden können. Betroffene hätten dann nur noch die Möglichkeit, vor Gericht dagegen vorzugehen. Die Beweislast wäre also umgekehrt.Michael Stübgens Pläne in BrandenburgZudem wurde zuletzt häufig auf die Pläne des brandenburgischen Innenministers Michael Stübgen (CDU) hingewiesen. Er plant, ähnlich wie in den 1970er und 1980er-Jahren beim sogenannten Radikalenerlass, sämtliche angehende Beamte vor der Einstellung durch Polizei und Verfassungsschutz überprüfen zu lassen. Mutmaßliche Verfassungsfeinde sollen hierdurch von vornherein vom Staatsdienst abgehalten werden.Beiden Maßnahmen ist gemeinsam, dass sie eine Misstrauensbekundung des Staates gegenüber der Bevölkerung darstellen. „Jeder ist verdächtig“ – einmal ins Visier geraten, sollen Bewerber erst einmal ihre Unschuld beweisen, um in den Staatsdienst zu gelangen bzw. nicht aus diesem entfernt zu werden. Ob dies mit der doch angeblich hierdurch präventiv geschützten freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar ist, erscheint fraglich. Politisch ist es auf jeden Fall fatal, da es sämtliche Beamte und Beamtenanwärter dazu verleiten dürfte, bloß keinen Verdacht zu erregen, bloß nicht aufzufallen, bloß nicht zu kritisch zu sein.Betroffene von Berufsverboten aus den 1970er- und 1980er-Jahren weisen seit Jahren darauf hin, wie sich auch Jahrzehnte nach dem „Radikalenerlass“ eine Atmosphäre der Angst, etwas Falsches zu sagen, unter Beamt*innen, allen voran Lehrer*innen ausgebreitet habe. Der einst von Stübgen „Verfassungstreue-Check“ getaufte Vorstoß wurde in Potsdam gerade im Innenausschuss behandelt – und war bei der Anhörung von Sachverständigen stark umstritten, auch weil – ähnlich wie bei Faesers Plänen – die Beweislast umgekehrt wäre. Zuerst die Tat, dann die Verurteilung: Was im Strafrecht gilt, soll hier keine Anwendung finden. Beamtenanwärtern soll auf Grundlage einer Prognose des Verfassungsschutzes der Zugang zum Staatsdienst verwehrt werden.Regelanfrage durch VerfassungsschutzDoch es ist zu befürchten, dass 50 Jahre nach dem Radikalenerlass das Instrument der Regelanfrage durch den Verfassungsschutz wieder eingeführt wird – nicht zuletzt wegen der entbrannten Diskussion nach der Großrazzia vom 7. Dezember, über die von Zeit bis Spiegel, von NDR bis SWR exklusiv und ausführlichst berichtet wurde. Die breite mediale Rezeption kommt den Plänen der Innenminister*innen gelegen, denn wer will angesichts eines geplanten Staatsstreichs u.a. von Richtern, Soldaten und Polizisten denn keine der schon lange angepeilten Verschärfungen? Die FAZ stimmt in ihrem Leitkommentar auf der Titelseite mit ein und fordert eine verpflichtende Sicherheitsüberprüfung für alle Beamtenanwärter. Stimmen der Vernunft fanden sich ausgerechnet in der Bild-Zeitung, die – wahrscheinlich zum Wohle der ihnen gesonnenen Polizeigewerkschaften – mehrere Juristen auffuhr, die sich gegen Faesers geplante Beweislastumkehr aussprachen.Was in der Bild nicht kritisiert wird, aber umso mehr Linke und auch tatsächliche Liberale skeptisch machen sollte: Sowohl beim „Verfassungstreue-Check“ in Brandenburg als auch bei Faesers Beweislastumkehr bei Verdacht auf Demokratiefeindschaft ist zentrale Prämisse das umstrittene Extremismuskonzept. Entscheidend ist ausschließlich eine angenommene Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Definitionshoheit über Abweichungen hiervon üben in erster Linie die Verfassungsschutzbehörden aus. Sie bestimmen, was extremistisch ist und was nicht. Der Kampf gegen Faschismus kann das sein, Klima-Aktivismus und selbst das Sammeln von Unterschriften zur Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen können unter Extremismus-Verdacht stehen. Oder der Einsatz für den Erhalt einer Stadtteilbibliothek – wie im Fall von Matthias Wietzer. Der inzwischen pensionierte Lehrer war selbst jahrelang von einem Berufsverbot betroffen. Wietzer, seit Jahrzehnten aktiv in der DKP, hatte vor einigen Jahren eine Anfrage zu seinen persönlichen Daten beim Verfassungsschutz gestellt. In der Antwort wurden ihm im Zusammenhang mit linksextremistischen Aktivitäten vorgeworfen, Sprecher einer Bürgerinitiative gewesen zu sein, die sich für den Erhalt der Stadtteilbibliothek Limmerstraße in Hannover einsetzt.Fragwürdige Definitionen von ExtremismusIm Zuge der Corona-Proteste hat der Verfassungsschutz eine neue Form des Extremismus erfunden: die „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Was darunter zukünftig zu verstehen sein wird, dürfte von jeweiligen politischen Konjunkturen abhängen. Heute sind es Reichsbürger, morgen vielleicht jene, die gegen Sanktionen gegen Russland sind, übermorgen vielleicht Klima-Aktivisten.Mit Gewalt und Umsturz muss das alles jedenfalls nichts zu tun haben. Statt bewaffnete rechtsradikale Elitesoldaten dürften wie in der Vergangenheit die Mehrzahl der Betroffenen völlig gewaltfrei Handelnde sein. In den 1970ern und 1980ern durften ca. 2.500 Menschen keine Beamten werden bzw. wurden aus dem Staatsdienst entfernt. Lehrer, Universitätsangestellte, Richter und sogar Lokführer sowie Briefträger. Nahezu vollständig kamen sie aus dem linken politischen Spektrum, und genauso nahezu vollständig wurde keinem von ihnen eine gewalttätige Durchsetzung der politischen Ziele vorgeworfen. Wegen des Extremismuskonzepts könnten auch dieses Mal wieder Linke ins Visier geraten, auch wenn sämtliche Verschwörergruppen der vergangenen Jahre ausschließlich aus Rechten und Rechtsradikalen bestanden.Statt erneut auf fragwürdiger Prognose hin den öffentlichen Dienst von diffus definierten „Extremisten“ freihalten zu wollen, sollte sich auf konkrete Gefahren der Gewaltausübung fokussiert werden. Gruppen wie die jetzt aufgeflogene müssen erkannt und zerschlagen werden. Und wenn sich das Bild verfestigt, dass bei den Personengruppen, die aus Berufswaffenträgern bestehen, eine besonders große Affinität zu radikalen, insbesondere rassistischen Weltbildern besteht, worauf einiges hindeutet, können Überprüfungen von Anwärtern auf diese Berufe durchaus angemessen sein. Pläne zur Überprüfung sämtlicher Beamtenanwärter auf angebliche Verfassungsfeindschaft und eine Beweislastumkehr bei Entlassungen hingegen dürften eher das Gegenteil von dem bewirken, worauf diese Maßnahmen abzielen: Man kann eine Demokratie auch zu Tode schützen.