Das Statement Franziska Giffeys zum geborstenen Aquadom in Berlin ist symptomatisch für den politischen Umgang mit Tieren in diesen Tagen. Es sei, so ihre erste Botschaft, „Glück im Unglück“ gewesen, dass sich die tsunamiartigen Wassermassen des Großaquariums bereits in den frühen Morgenstunden über die Straße ergossen hätten und dadurch nur zwei Menschen leicht verletzt worden seien.

Erst nach den Sachschäden kommt sie auf die eigentliche, aber von ihr so nicht bezeichnete Katastrophe zu sprechen: 1500 Fische starben. Anstatt für diese Tragödie an sich geeignete Worte zu finden, redet sie dann über die Kinder, die nun ihre Attraktion verloren hätten. Diese insbesondere auf Freizeitzwecke gemünzte Äußerung dürften dem Betreiber des Komplexes, das schon häufig in der Vergangenheit durch fragwürdige Haltungsbedingungen in Verruf geratene SeaLife-Imperium, sicherlich gefallen haben. Aber im Ernst, solcherlei Kommentierungen, die man im Übrigen regelmäßig nach Stallbränden oder Massenkeulungen vernimmt und allem voran die wirtschaftlichen Folgen in den Vordergrund rücken, zeigen anschaulich, dass animale Wesen in unserer Gesellschaft über keine Lobby verfügen.

Bestätigt wird dieser Eindruck aktuell vor allem mit Blick auf die Bundesebene. Wurde Cem Özdemir nach 16 Jahren lobbygeleiteter Agrarpolitik der Merkel-Ära als der Erlöser in Sachen „Tierwohl“ gepriesen, gibt sein neustes Gesetzesvorhaben Anlass zu Ernüchterung. Schon lange ist es im Gespräch, bald soll es kommen: ein für alle verpflichtendes Label für Fleischprodukte, das Aussagen über die Haltungszustände der „verarbeiteten“ Tiere treffen soll. Fünf Stufen sind vorgesehen, alles andere wäre auch zu einfach. Durchaus klingt dieses Reförmchen nach einem Fortschrittchen, zumal es bislang ja nur freiwillige Zertifizierungen gab. Aber was ändert es wirklich? Die Tücken liegen wie so oft im Detail.

So weisen Tierschutzverbände zurecht darauf hin, dass jenes System vieles ausklammert. Weder werden die Transporte der Lebewesen, noch die Art und Weise ihrer Schlachtungen darin abgebildet – zwei gigantische Graufelder behördlicher Kontrollen, wie Recherchen der Soko Tierschutz immer wieder dokumentieren! Erfasst wird ebenso wenig das Schicksal von Kühen in der Milchwirtschaft, denen mitunter die Kälber entzogen werden, oder dasjenige von Hühnern in der Eierproduktion. All ihre Krankheiten, an denen sie krepieren, all der Kannibalismus, der aus Stress resultiert – nichts davon dürfte Özdemirs vermeintliches Glanzwerk ändern.

Schmerz der Tiere

Aber der Fehler dieses Vorhabens ist zudem fundamentaler Natur. Denn erneut setzen die Entscheidungsträger damit auf die Vernunft der VerbraucherInnen. Sie sollen richten, was in der industrialisierten Landwirtschaft falsch läuft. Manche SupermarkteinkäuferInnen mögen mit den Siegeln überfordert sein, andere dürften schlichtweg das Leid hinter den Verpackungen verdrängen oder ignorieren. Dabei sollte das Gebot des Tierschutzes, das als Staatsziel grundgesetzlichen Schutz genießen müsste, keine Frage der Wahlfreiheit sein.

Wir wissen, dass, wie Robert Garner in seiner Studie A Theory of Justice for Animals von 2012 schreibt, „wir keinen Grund zu der Annahme haben, dass der Schmerz eines Tieres geringer ist als der Schmerz eines Menschen unter ähnlichen Umständen“. Außerdem wissen wir, dass sie deswegen moralischer Beachtung bedürfen und „in die Kategorie der ‚Personen‘ im Rechtssinne aufgenommen werden“ sollten, wie Anne Peters in ihrem Aufsatz Die Rechtsstellung von Tieren argumentiert. Eine Änderung der faktischen Lage in der Mast können wir zumindest von Özdemirs gegenwärtigem Entwurf nicht erwarten. Er zielt allein auf Transparenz und scheut vor einer dringend notwendigen ordnungspolitischen Vision zurück.

Jenseits der Agrarwirtschaft verhält sich der Minister noch auf weiteren Feldern des Tierschutzes zurückhaltend. Kein Vorstoß zur steigenden Anzahl von Tierversuchen in der universitären Forschung, kein Mut bei der Reform von Zooeinrichtungen, keine Bemühungen gegen Exoten in der Heimhaltung, nahezu kaum nennenswerte Vorstöße in der Eingrenzung und Beschränkung der in vielen Wäldern völlig aus dem Ruder gelaufenen Jagdpraxis. Selbst denen, die sich trotz oder gerade wegen dieser eklatanten Passivität auf der politischen Bühne engagieren, werden derzeit noch Steine in den Weg gelegt. Die Rede ist insbesondere von der besorgniserregenden Lage der Tierheime und Gnadenhöfe.

Die Grünen lösen Tierschutz bisher nicht ein

Sieht man von dem erheblichen Arbeitszuwachs beispielsweise durch abgegebene Hunde und Katzen nach der Pandemie ab, macht sich steigender Kostendruck in allen Segmenten bemerkbar. Zu den hohen Energiepreisen kommen etwa die im Zuge jüngster Gesetzesreformen massiv gestiegenen Tierarzthonorare hinzu. Nun fällt die Finanzierung solcher Einrichtungen, die zumeist größtenteils über Spenden getragen werden, zunächst zwar in den Zuständigkeitsbereich der Kommunen. Aber sollte auf diese bundesweiten Herausforderungen nicht ebenso ein Bundesminister reagieren? Mit einem Maßnahmenkatalog oder Hilfspaketen, wie sie derzeit auch für andere Gruppen in der Gesellschaft geschnürt werden?

Obwohl sich die Grünen nach außen als die Tierschutzpartei verkaufen, haben sie diesen Anspruch bisher nicht eingelöst. Ihn ernst zu nehmen bedeutet, sich auch gegen mächtige Interessensverbände durchzusetzen und – ähnlich dem Belohnungssystem des Emissionshandels – eine ökonomische Struktur anzustreben, die Tierwohl belohnt. Nicht nur klima-, sondern auch tiergerecht sollten sie werden.

Dieser Weg erfordert viel Kraft und lässt sich Tierethikern zufolge mit dem Kampf vergleichen, den die Feministinnen der frühen Moderne auf sich nahmen, die gegen binäre Machthierarchien zwischen den Geschlechtern auf die Straße zogen. Nun verlaufen die Auseinandersetzungen eben entlang der Grenzen zwischen den Spezies. Viele in der Zivilgesellschaft haben diese Zeichen der Zeit längst erkannt. Nur leider stellt sich kein Minister vor sie oder diejenigen, die ihre Stimme nicht selbst erheben können.

Björn Hayer (Dr. phil.), geb. 1987, ist Kulturwissenschaftler, Literaturkritiker und Essayist. Zu seinen Schwerpunkten zählen die germanistischen Medienwissenschaften, Gegenwartsliteratur, klassische und ästhetische Moderne sowie die Human-Animal Studies. Zusammen mit Klarissa Schröder ist er Herausgeber des Sammelbandes Tierethik transdiziplinär



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Von Veritatis

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