Holz Ob in den Bauernkriegen oder bei der Revolution von 1848: Energiearmut war schon immer ein Ausgangspunkt für Aufstände und soziale Kämpfe. Was heute Strom und Gas ist, war damals Holz


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Ausgabe 51/2022

Gemeinschaftliches Aufwärmen: Frierende Menschen haben in der Vergangenheit schon den ein und anderen sozialen Aufstand geprobt

Gemeinschaftliches Aufwärmen: Frierende Menschen haben in der Vergangenheit schon den ein und anderen sozialen Aufstand geprobt

Foto: Diptendu Dutta/AFP via Getty Images

Der arme Poet, der in einer Dachkammer unterm Regenschirm und mit Zipfelmütze gegen die Kälte im Bett liegt, neben sich einen Stapel Bücher und Manuskripte: Das Bild des Malers Carl Spitzweg ist fest im kollektiven Gedächtnis verankert. Ob Holz im Ofen bullert, ist nicht erkennbar, doch die Bildgeschichte steht ikonografisch für das lange Zeitalter, das der Ökonom Werner Sombart das „hölzerne“ nannte. Es begann im Mittelalter und endete, so seine nicht unwidersprochen gebliebene These, mit der Erschöpfung der Holzvorräte und dem Furor der Steinkohle, die den Aufstieg des kapitalistischen Zeitalters begünstigte.

Bis ins 19. Jahrhundert stellte Holz den gängigsten Grundstoff dar, liest man beim Alltagshistoriker Fernand Braudel: Es war wichtigste Energiequelle, diente als Material für den Haus-, Schiffs-, Maschinen- sowie Werkzeugbau und fand Verwendung als Heizmaterial. Um das Holz gab es jahrhundertelang Auseinandersetzungen, viele soziale Interessenkonflikte wurden in den Wäldern ausgetragen – und das gilt bis heute. Seit dem Ausbruch der Energiekrise und dem Preisauftrieb auch für Brennholz überschlagen sich die Schlagzeilen über tatsächlichen oder angeblichen Holzklau, werden „machtlose Waldbesitzer“ bedauert, begleitet von der Warnung, dass Holzdiebstahl „kein Kavaliersdelikt“ sei. Es ist, als würde der lange vergessene „Waldfrevel“ Wiederauferstehung feiern.

Unbestreitbar waren es die ausgedehnten Rodungen seit dem Mittelalter, die die Holzkonflikte in den späteren Jahrhunderten beförderten. Das Bevölkerungswachstum ab 1200 erforderte die Neuerschließung von Ackerland, das der Wald hergab. Eigentum am Wald im modernen Sinn gab es nicht, noch besaß er nur Gebrauchs- und keinen Tauschwert. Die Waldnutzung als Waldweide für Schweine, Rinder oder Ziegen und als Ressource an Früchten und Holz war seit Ausgang des späten Mittelalters genossenschaftlich in den Beschlüssen der Holz- und Forstgerichte (Holting/Holzdinge) geregelt und sicherte gegen die Risiken des Ackerbaus ab.

Kampf um den WaldzugangDer Technikhistoriker Joachim Radkau beschreibt in seinem quellenreichen Buch Holz. Wie ein Naturstoff Geschichte schreibt das fragile Gleichgewicht innerhalb dieser Markgenossenschaften, den Vollbauern auf der einen und den Grundherren auf der anderen Seite, die zunehmend Hand auf den Wald zu legen und ihre Jagdrechte durchzusetzen versuchten. Während die Bauern Frondienste im Wald zu verrichten hatten, profitierten sie gleichzeitig von der Instandhaltung und Nutzung des Waldes. Für die Versorgung ihrer Hintersassen waren die Grundherren verantwortlich, in den Städten kümmerten sich die Stadtoberen um die Holzversorgung und regelten die Zuteilung nach Bedarf. Diese richtete sich, wie die Quellen etwa aus der frühneuzeitlichen Reichsstadt Augsburg zeigen, allerdings nach den jeweiligen Holzressourcen der Städte und ihren Lagermöglichkeiten. Doch die Sicherung der Holzversorgung stiftete sozialen Frieden und Ruhe.Die in Zusammenhang mit der „kleinen Eiszeit“ beginnenden Versorgungskrisen im 16. Jahrhundert führten zu einer beträchtlichen Zunahme der um Almosen suchenden Menschen. In einem Bericht über die Zustände in Straßburg beispielsweise heißt es: „So möchte man frogen: was tribt die armen lüt uns allen landen hierhär? Antwurt: die groß not und thürung.“ Missernten und Teuerung führten in den Wintermonaten 1565/66, 1571/74 und 1594/95 zu Hungersnöten und einem neuen Umgang mit den Armen, der sich in vielfältigen Bettelverordnungen und -verboten in den Städten niederschlug.Schon anlässlich der Bauernkriege Anfang des 16. Jahrhunderts reklamierten die Bauern die „Freiheit des Waldes“, was auch den Zugang zu Holz bedeutete. Holz galt wie der Wald als natürliche Ressource, die jedermann naturrechtlich und aus Gewohnheit zustand. Das Blattgrün und die Waldfrüchte wurden an das Vieh verfüttert, die Nadelbäume lieferten Streu, Reisig und Holz häusliches Brennmittel. Der von den Adligen bevorzugte Hochwald mit seinen überhegten Wildbeständen dagegen war des Bauern Feind. Umgekehrt setzte damals die bis ins 19. Jahrhundert reichende Klage über das angeblich waldschädigende Verhalten der Landbewohner:innen ein, die „traurigen Waldbestände“, „entblößten Bergrücken“ und „öden Heiden“ beleidigten das Auge manch gebildeter Reisender.Placeholder infobox-1Im 18. Jahrhundert dann rückten in den ärmeren Schichten drei oder vier Haushalte in einer einzigen Hütte zusammen, weil die notleidenden Menschen sich kein Brennholz mehr leisten konnten. Schulen wurden geschlossen, weil es an Heizmaterial fehlte. In dieser Zeit häufen sich auch die Erzählungen von den armen Poeten, die, wie der Berliner Literaturwissenschaftler Christian Luckscheiter in seiner demnächst erscheinenden Studie Dachkammergeschichten zeigt, bei Eiseskälte in ihren Dachstuben zittern und die „heißesten Träume“ der Literatur ausbrüten. Manchmal sind sie von „unheftigem, duldsamem Geist“, wie in Honoré de Balzacs Verlorenen Illusionen, ein andermal von fiebernd-wahnsinniger mania ergriffen – jedenfalls stiftet die Thermodynamik unterm First eine „Thermopoetik“ des Holzes. Bei Ludwig Tieck verbrennen die beiden Glücklichen unterm Dach sogar die Treppe, die zu ihnen hinaufführt, um sich von der Welt abzuriegeln. Und in Henry Murgers Szenen aus dem Pariser Künstlerleben verheizen die Bohemiens ihre Möbel oder schreiben, um Holz zu kaufen, Handbücher über den „vollkommenen Ofenfabrikanten“ – ein Verweis auf die aufkommenden Ofenratgeber, von denen noch die Rede sein wird.Boom der HolzsparliteraturAber war es, um auf den Wald zurückzukommen, tatsächlich der rücksichtslose Kahlschlag der Bauern, der zur „Holznot“ führte, wie der damalige und von Historikern wie Braudel übernommene Diskurs nahelegt? Oder wurde der Wald- und Holzmangel nicht vielmehr von interessierter Seite lanciert, wie Radkau vermutet? Immerhin ging es den adligen Waldbesitzern um die vollständige Kontrolle über den Wald, sei es, um ihrem Jagdinteresse zu frönen, oder weil sie das Holz für ihre Hütten und Bergwerke nutzen wollten. Für die Hofjagd von Herzog Karl Eugen von Württemberg etwa wurden 6.000 Stück Edelwild und 2.600 Wildschweine zusammengetrieben, täglich mussten 1.000 Bauern Dienste verrichten, berichtet der Freiburger Forsthistoriker Uwe Eduard Schmidt. Das barg allerhand sozialen Sprengstoff. Aber auch Sägewerke und Möbelmanufakturen fragten zunehmend Holz nach. Mit den verbesserten Transportmöglichkeiten wurde Holz zu einem Produkt, das sich weit vermarkten ließ. Der aufstrebenden Forstwissenschaft wiederum ging es darum, ihre Deutungs- und Handlungshoheit über den Wald zu etablieren. Viele widerstreitende Interessen profitierten also von einer herbeigeredeten „Holznot“. Da boten sich die kurzsichtig wirtschaftenden „dummen“ Bauern als Buhmann geradezu an.Tatsache jedenfalls ist, dass die sogenannte Holzsparliteratur wie Pilze aus nassem Waldboden schoss. Seinen Höhepunkt erreichte der „Holznotalarm“ um 1790, nicht zufällig gleichzeitig mit der Französischen Revolution und dem mit ihr einhergehenden Krisenbewusstsein, meint Radkau. Jeder, der auf sich hielt, verfasste ein Holzspar-Brevier, das sich vornehmlich um die häuslichen Öfen und Herde drehte. Die Ratgeber sollten, wie die Historikerin Karin Hausen in einem aufschlussreichen Aufsatz belegt, die Hausmütter dazu veranlassen, „wenigstens ein kleines Scherflein zu der so nothwendigen Holzsparung beizutragen“. Das Übel erblickten die Sparfüchse im damals üblichen Kochen auf offenem Feuer, das sie gerne von geschlossenen Herden und gezielter „Holzsparkunst“ abgelöst sehen wollten. In einer Zeit, in der die Hauswirtschaft noch nicht als privat, sondern als Teil des öffentlichen Wirtschaftens betrachtet wurde, wurde den Frauen dabei eine wichtige Rolle zugeschrieben.Ihren Höhepunkt erreichte der Holzkampf jedoch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und wurde sogar zu einem Ausgangspunkt der Revolution von 1848/49. Mit dem Aufkommen der Waldwissenschaft und neuen Forstordnungen, die die bäuerliche Nutzung immer stärker einschränkten, verschärften sich auch die Mittel der Auseinandersetzung. Es kam häufig zu Schießereien, die Gefängnisse waren überfüllt von Holzdieben. 1830 verhängten die Gerichte 55.000 Gefängnisstrafen und 800.000 Gulden an Bußgeldern, zählt Forsthistoriker Schmidt auf. Am Vorabend der Revolution, im Hungerwinter 1843/44, wurden allein im pfälzischen Raum 180.000 Forstdelikte aktenkundig.So entwickelte sich die unnachsichtige „Forstpolizey“ zum gefürchteten und verhasstesten Gegner der Bauern und „kleinen Leute“. Die Waldkonflikte bildeten die sozialen Unruhen ab, die sich schließlich in der Revolution entluden. „Waldfrevel“ war nicht nur überlebensnotwendig, die unteren Schichten empfanden Holz- und Wilddiebstahl auch als gerecht und Ausdruck revolutionärer Gesinnung. In vielen Petitionen sind Wald, Holz und alte Forstberechtigungen Gegenstand der Forderungen. Nach deren Scheitern wanderten viele verunglimpfte „Holzfrevler“ nach Übersee aus.Mit dem Siegeszug der Steinkohle verlor das Holz als Feuerungs-, Betriebs- und Fertigungsmittel an Bedeutung. Erst nach dem Ende der beiden Weltkriege präsentierte sich der Wald noch einmal leergefegt oder gar völlig abgeholzt wie der Tiergarten nach 1945, dessen 200.000 Bäume in die Öfen der Berliner:innen wanderten und dessen Boden als Gemüsebeet genutzt wurde. Frierend in ihrer Kammer beneidet die Schriftstellerin Ethel Schwirten 1946 Spitzwegs „armen Poeten“, der, so schreibt sie, immerhin noch einen Ofen, Flauschrock und Mütze habe und einen Schirm, der ihn vor Regen schütze.Der Mann aber, der der Legende nach als Holzdieb von der Fee auf den kalten Mond verbannt wurde, könnte bald Gesellschaft bekommen, wenn sich globale Energie- und Klimakrise bündeln. An den Voraussetzungen für ein Leben im All wird gerade gewerkelt. Wir könnten uns angesichts der „Holznot“-Geschichten natürlich auch fragen, ob es sich bei der Energiekrise auch um ein ökonomisch ausbeutbares Spekulationsprodukt handelt.



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Von Veritatis

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