Hardblues vom Feinsten: Die Legende lässt sich vom Malzhaus Plauen oder dem St. Barbara in Lichtentanne sowie einem fantastischem Publikum zu herausragenden Konzerten inspirieren

Bluesrock.

Das wird viele der Gäste an ihre Jugend erinnert haben; als Bands wie Monokel, Wind, Sand & Sterne, Kerth und eben auch Engerling durch die Dörfer tingelten: kleine Säle, übervoll mit Menschen und Begeisterung. Denn so war es am Samstag in Lichtentanne: Eine Menschentraube vor der kleinen Dorfkirche St. Barbara, die jetzt einer der Veranstaltungsorte des Vereins “Liederbuch Zwickau” ist. Dicht an dicht stehen sie, dennoch respektvoll, viele kennen sich seit Jahrzehnten. Kaum eine oder einer ist unter 50; und manche waren auch einen Tag zuvor im Malzhaus Plauen, noch so eine Kult-Spielstätte des Genres, wo Engerling ebenfalls zum Jahresauftakt spielte.
“Freude am Beruf” klebt seit Jahrzehnten auf Wolfram “Boddi” Bodags Keyboard, und die hat Engerling, inzwischen seit 47 Jahren auf der Bühne, nicht verloren. Eine neue Studioplatte hat man schon lange nicht mehr produziert, stattdessen gibt es Liveaufnahmen, auch mit Uschi Brüning oder Mitch Ryder, der sie als Begleitband erkor. Aber Engerling braucht keine neuen Songs, man bedient sich in der Schatzkiste eigener Lieder und in der Musikgeschichte. Mit den Zeiten und den Menschen, verändern sich die Lieder und werden so nie alt. Wenn die Band nach dem Rolling-Stones-Song “Little Red Rooster” ihr Stück “Der Zug oder die weiße Ziege” folgen lässt, klingt das wie ein Plädoyer für Demut; ein Bekenntnis dazu, nicht auf den Zug der Zeit aufzuspringen und sich lieber ums selbstbestimmte Leben zu kümmern. Auch, wenn das ein paar Songs später einsam macht: “Er kommt nicht mehr mit.” Und: “Good bye, Corona, schön war die Zeit.”

Es genügen die alten Lieder, um die Welt von heute zu beschreiben. “The Eastern world, it is explodin‘”, zitiert Bodag “Eve Of Destruction”, den Song von P. F. Sloan aus dem Jahr 1965, mit dem Barry McGuire berühmt wurde, der sich gegen den Vietnamkrieg, atomare Bedrohung, den Terror in China, Rassendiskriminierung in den USA, christliche Heuchelei und sinnloses Töten wandte. Bodag schreit den Refrain wütend heraus: “Tell me over and over again …”. Auch Engerlings “Herbstlied”, das ein Wende-Hit hätte werden können, hat nichts von seiner Eindringlichkeit verloren: “Hört das hohe Kampfgericht / Riesenwelle ist jetzt Pflicht / Jeder turnt für sich allein / Aufgelöst der Turnverein. / War das nicht ne herrliche Zeit / Jeder war zum Aufruhr bereit”. Und dazu passt auch eines von Engerlings ältesten Liedern: “Da hilft kein Jammern”. Und eins der etwas jüngeren, “Legoland”: “Ihr kriegt meine Sehnsucht nicht zurück / Ich lasse mich nicht zwingen zum Glück”.

Heiner Witte, mit seiner Gitarre verwachsen, spricht mit dem Instrument, liebkost es, umschmeichelt es, entlockt ihm Phrasierungen, die kongenial mit Wolfram Boddags Klavier oder Orgel kommunizieren. Bassist Manne Pokrandt und Bodags Sohn Hannes Schulze am Schlagzeug sind die rhythmischen Felsen in der Brandung. Ihnen allen ist die Freude am Beruf anzusehen, anzuhören. Und damit laufen sie im zweiten Teil des Konzerts zu Höchstform auf. Wie Engerling aus dem Doors-Klassiker “Riders On The Storm”, vor allem aber aus dem eigenen “Narkose-Blues” und später bei den Zugaben aus Dylans “Like A Rolling Stone” minutenlange kleine philosophische Opern über das Leben baut und dabei Tom Petty, Peter “Cäsar” Gläser, Johnny Cash oder Donovan zitiert – das ist poetischer Bluesrock in höchster, mitreißender und ergreifender Perfektion. Dann fügen sich Melodien zusammen, die nie voneinander gehört haben, braucht es fast keine Worte mehr, nur noch diesen endlos wiegenden, tanzenden Sound und das allerletzte Lied: “Du bringst mich besser nach Haus heut Nacht … / Hat nichts gebracht”, bei dem die Band nach und nach die Bühne verlässt, bis nur noch der Sohn Wolfram Bodags, Schlagzeuger Hannes Schulze, übrig ist – auch dies eine schöne Geste: Die nächste Generation steht bereit, mit der Ehrlichkeit und Geradlinigkeit der vorigen. Ein herzzerreißender Abschluss. Einige Gäste sagten auf dem Heimweg: “Eines der schönsten Engerling-Konzerte überhaupt.” Es war fast so wie früher, nur besser. Hat was gebracht!



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Von Veritatis

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