Unser Koch macht sich Gedanken zu ganz speziellen Erbstücken. Was er mit Sauerkrautstamper oder Sardellenzange anstellt, verrät er hier

Nostalgie im Küchenschrank: Was tun mit Mutters alten Geräten?

Irgendwann kommt für uns alle der Moment, in dem wir überlegen müssen, was wir mit den Dingen tun, die unsere Eltern ihr Leben lang zusammengetragen haben. Was geschieht mit dem Bowle-Set, dem Römertopf und dem Eierschneider, wenn sie nicht mehr sind?

Mit meinen 48 Jahren gehöre ich zu den ersten Generationen, die nach dem Ableben von Mutter und/oder Vater mit deren bürgerlich-dinglichem Wohlstand zu kämpfen haben. Denn als die meinen 1971 in den Stand der Ehe traten, lag die erste Ölkrise gefühlt noch in weiter Ferne, und die bescheidene Küche der ersten Wohnung wurde üppig ausgestattet. In den kommenden Jahren wich jene erste Euphorie des Anschaffens dann einer nahezu ekstatischen Lust am Sammeln, als wäre der Haushalt dazu bestimmt, auf ewig weiterzuwachsen.

„Darauf angesprochen, stellen nicht wenige Hausfrauen resignierend fest“, heißt es im Ratgeber Die perfekte Gastgeberin von 1977, „daß es ihnen einfach an den räumlichen Möglichkeiten, vielleicht sogar am Zubehör wie Geschirr oder Gläser, fehle, um einen größeren Gästekreis zu bewirten.“

Lückenlose, kulinarische Dokumentation

Das galt nicht für meine Eltern, die nach der Heirat erst einmal ein 24-teiliges Fischbesteck anschafften und bald in ein geräumiges Haus zogen. Die Messer und Gabeln sind bei zwei Kindern übrigens schnell verteilt –weder meine Schwester noch ich werden vermutlich jemals mehr als sechs Personen mit Karpfen blau oder Forelle Müllerin bewirten.

Es sind aber eher die kleinen, unscheinbaren Objekte, die mich beschäftigen. Unter den vielen Dingen, über die ich derzeit bei der Haushaltsauflösung nachdenken muss, finden sich etwa eine Spargelzange, ein Sardinenheber und ein Sauerkrautstampfer.

Bei genauerer Betrachtung erweist sich meine Beziehung zu ihnen als komplex. Zu den meisten Sachen im Geschirrschrank kenne ich die Geschichte, weiß, wer sie zu welchem Anlass geschenkt hat, oder kann gegebenenfalls in den Schubladen nach vergilbten Rechnungen suchen.

Das Küchengerät ist zum einen eine nostalgische Kindheitserinnerung, eine lückenlose kulinarische Dokumentation des Familienlebens, die erst durch die Herauslösung aus dem elterlichen Kontext zu einem Stück Geschichte wird. Zum anderen aber lassen sich die meisten Gegenstände nur schwer in meinen jetzigen Alltag eingliedern.

Der Anspruch, immer das passende Instrument zu besitzen

Spargel etwa gare ich meist im Wok, ich besitze keinen entsprechenden Topf, um ihn aufrecht zu garen, kein Metalltöpfchen für die zerlassene Butter und brauche daher auch kein Gerät, um ihn von der Servierplatte aus fachgerecht auf den Tellern meiner potenziellen Gäste zu verteilen.

Den Sardinenheber, einen kleinen geschlitzten Löffel, durch den der aus der Dose gehobene Fisch abtropfen kann, wurde hingegen nicht angeschafft, weil er etwas kann, was eine gewöhnliche Gabel nicht könnte. Er ist Ausdruck des Anspruchs, für jede Gelegenheit das passende Instrument zu besitzen.

Bleibt der Knüppel aus Holz, mit dem man Kohl und Salz im Steinguttopf zusammenstampft, um die Milchsäuregärung in Gang zu setzen. Einerseits weiß ich, dass er immer da war, andererseits kann ich mich nicht an selbst gemachtes Sauerkraut erinnern.

Vielleicht ist er eine Erinnerung meiner Eltern an die eigene Kindheit, vielleicht ist er aber auch schlicht ein Symbol für die anstehende Verdichtung des Nachlasses. Denn der will wie das Kraut zusammengestampft werden, um die Gärung in Gang zu setzen und etwas Neues entstehen zu lassen.

Johannes Ahrens schreibt an dieser Stelle einmal im Monat über Küche und Kulinarik

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Von Veritatis

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