Jan “Monchi” Gorko ist mit seinem Bestseller “Niemals satt” auf Lesetour. Das schonungslose Buch über seinen Weg runter vom krankhaftem Übergewicht ist eigentlich eine Sensation für sich, würden nicht neue Vorwürfe die Sicht auf den Feine-Sahne-Fischfilet-Sänger trüben. In Leipzig gelingt Monchi trotz allem ein intensiver und unterhaltsamer Abend.
Manche Dinge verzeiht die Szene schwer. Dass Punksänger Monchi jahrelang als Ultra unter Rostocker Hooligans wohl nicht immer ganz genau hingeschaut hat, was rechts von ihm passiert, konnte er später durch umso aktiveres antifaschistisches Engagement wettmachen. Doch nun steht Sexismus im Raum, da gibt es bei Teilen der linksalternativen Bubble kein Pardon, ein großflächiges Graffiti gegenüber des Leipziger Kupfersaals am Donnerstagabend zeugt davon.
Nicht die beste Figur
Das Problem an den Vorwürfen war, dass sie gegen Monchi und seine Band Feine Sahne Fischfilet letztes Jahr anonym und reichlich diffus formuliert im Internet gestreut wurden und dabei vor allem ideologiegesteuert klangen, eine Masche, die normalerweise im anderen politischen Spektrum Anwendung findet. Das Problem in der Band-Reaktion war, dass sie zwar Aufklärung und Selbstreflexion gelobte, aber etwas penetrant um Konkreteres bat, was für einige nach Missachtung des Opferschutzes klang. Dass man schließlich juristisch gegen die Verbreitung der Vorwürfe vorging war auch nicht die feine Punkerart.
Am Donnerstagabend zur Lesetour von “Niemals satt” findet sich im ausverkauften Kupfersaal neben breit gestreutem Bestsellerpublikum auch der Teil der Szene, der zwischen Differenzierung und Fan-Gleichgültigkeit schwankt. Auch hier macht Monchi in einem noch sehr trockenen und auswendig gelernten Einstieg in seine Lesung nicht die beste Figur, als er die Vorwürfe nur streift und erwähnt, wie sehr die an der Band und ihm nagen. Damit ist das Thema vom Tisch. Eigentlich nicht ganz, denn das ganze Buch und damit die Lesung dreht sich im Kern um das Eingestehen von Schwächen und Fehlern und den Prozess, diese zu überwinden. Und auch um das Ausnutzen von Privilegien und die Bewusstwerdung davon.
Auch unappetitliche Details
Monchi möchte niemandem erzählen, was er für ein toller Typ ist, im Gegenteil. Und auch, wenn sein Weg von 182 runter auf 120 Kilogramm für viele motivierend wirkt, ist “Niemals satt” alles andere als ein Ratgeber. So schonungslos von Gedanken und Gefühlen bis in unappetitliche Details des Stuhlgangs geht wahrscheinlich kaum jemand mit sich öffentlich ins Gericht, Monchi gelingt es dabei obendrein noch, sehr unterhaltsam zu formulieren. Das Unterhaltsame ist auch das, was dem Abend immer besser gelingt, der fast drei Stunden lang keine Lesung im engeren Sinne wird, sich eher irgendwo zwischen schräger Motivationsshow und Punk-Comedy einpegelt. Immer weiter löst sich Monchi vom anfänglich Steifen hin zum Entertainen und springt entlang der groben Chronologie des Buches zwischen freier Nacherzählung und vorgelesenen pointierten Kapiteln. Zur Illustration hat er einige im Buch beschriebene Devotionalien dabei: Flip Flops, Kleidungsstücke, den Sessel von Oma, seine alte Hansa-Kutte und natürlich eine Badewanne, da in einer solchen große Teile des Buches entstanden sein sollen. Es dauert keine Viertelstunde, da zieht sich Monchi bis auf die Unterhosen aus und liest eine Weile in der Wanne liegend.
Im Kopf immer noch “fett”
Irgendwann wog er mehr als seine beiden Eltern zusammen und gesteht, im Kopf manchmal immer noch 182 Kilogramm zu wiegen, zu lang hat er diese gesundheitsgefährdende Alltagseinschränkung mit sich herumgeschleppt. Umso größer die Freude heute, sich einfach so in einen klassischen Garten-Plastikstuhl setzen zu können.
So oft auch das Wort “fett” fällt, Fat Shaming, also das Lustigmachen über Körperfülle, findet an keiner Stelle statt. Aber ein BMI von fast 50 ist am Ende nicht mehr nur “dick” und ebenso gefährlich wie die krankhaften Züge von Monchis Esssucht, die er längst nicht immer im Griff hat. Augenzwinkernd hat er Naschereien für das Publikum unter den Stühlen versteckt, die er sich sonst selbst manchmal kiloweise einverleibt hat. Das 5-XL-Hemd vom Filmplakat zu Charlie Hübners Doku “Wildes Herz” hängt schlaff an ihm, doch es ist ein nur augenscheinlich unterhaltsamer Moment, an dem er vorführt, dass das deutlich kleinere Hemd vom Buchcover auch nicht mehr passt und er es kaum zuknöpfen kann. Monchi zeigt damit, er ist keineswegs geläutert oder im Reinen mit sich und dem Umgang mit seiner Gesundheit. Es bleibt ein täglicher Kampf und die Angst vorm nächsten Suchtschub und Jojo bleibt. Und so sind auch im Buch der Weg bis zum Maximalgewicht, die Fragen, wie es dazu kommen konnte und die Erkenntnisse in der Jetztzeit spannender als das konkrete Wie des Abnehmens. Deswegen streift er derlei Ratgeber-Teile auch in Leipzig nur am Rande und zählt dann lieber aberwitzige Namen für Übergrößengeschäfte auf oder frotzelt über kaputte Klobrillen oder Alibifotos vor der Trampolinhalle. Er ist es selbst, den er da meist verlacht, immer in der Hoffnung, es möge ein ehrliches und reinigendes Lachen sein.