A-Z Laut Statistischem Bundesamt lernt nicht einmal jedes siebte Kind in der Schule noch Französisch. So what, denken Sie? Wir finden: Das ist ein Malheur, kein Kinkerlitzchen. Aber dank Lehnwörtern kann jeder parlieren. Unser Lexikon
Alla! Die Frankophilie ist am Oberrhein zwar historisch gewachsen, war nach dem Krieg aber auch ein bisschen unfreiwillig, denn es waren die Besatzungssoldaten, die das Französische in meine Freiburger Heimat gespült haben. In meiner Kindheit war die Sprache überall präsent, man ging auf dem Trottoir, nutzte den Paravent oder ließ sich kujonieren. Die ins Alemannische eingefärbten Wörter hießen dann Schässlonk (Chaiselongue) oder fladdieren (flatter), wenn man jemand Honig ums Maul schmierte. Alla! ruft meine Schwester heute noch, wenn sie uns zum Aufbruch antreibt, was dem französischen Verb aller (gehen) entlehnt ist. Als kleines Kind war sie diesbezüglich übrigens recht kreativ. Aus dem für sie unaussprechbaren Portemonna
s dem für sie unaussprechbaren Portemonnaie machte sie ein Nehmerport, was wir in ein assoziationsreiches Nehmerfort überführten. Das Port war bei uns nämlich notorisch leer. Ulrike BaureithelBBlümerant So zärtlich wie vielgestaltig ist dieses Wort, das sich laut Duden herleitet aus den französischen Wörtern „bleu“ für „blau“ und „mourant“, „sterbend“. Wem blümerant zumute ist, dem stirbt oder verblasst also etwas, dem ist flau, unwohl oder vielleicht auch ein bisschen schlecht wie von einem verdorbenen Essen oder dem einen Glas zu viel. Vielleicht macht sich Aufregung breit wie vor einer Prüfung, der sprichwörtliche Boden unter den Füßen beginnt zu zittern. Wenn ich das schöne Wort gebrauche, dann denke ich auch einen falschen Freund mit: ein zartes Blümchen, das Wind und Wetter nicht gut leiden kann. Und ich denke an ein Gedicht von Paul Celan, eines seiner ulkigen – die gibt es! – mit dem Titel Großes Geburtstagsblaublau mit Reimzeug und Assonanz. Das Gedicht, formal nachempfunden dem Kindergedicht Es war einmal ein Mann, erzählt von einem blauen Pagen und schließt mit den Versen: „Er hockt auf der Kante / Und schwört aufs Blümerante“. Beate TrögerDDrogerie Die französische Schreibweise ist „la droguerie“, wobei es einen Bezug zum niederländischen „droog“ (trocken) gibt. In Drogerien wurden früher nämlich vor allem getrocknete Gewürze und Heilkräuter verkauft, was in Deutschland bis 1872 nur Apotheken vorbehalten war. Drogisten stellten auf Wunsch sogar selbst Zahncreme, Zahnpulver, Backpulver, Hautcreme, Schuhputzcreme oder Blechputzmittel her, sodass diese Produkte von Ort zu Ort unterschiedlich waren. Als Kind kannte ich noch so ein Etablissement, wo die Drogistin in weißem Kittel im Halbdunkel hinterm Ladentisch stand. Der Duft begleitet mich bis heute. Was alles Geheimnisvolles hatte sie wohl hinter sich in den Regalen?Selbstbedienung unter Neonlicht ist nüchtern dagegen, dafür kann man alles in die Hand nehmen und anriechen: Eau de Toilette und Eau de Parfum in glitzernden Flakons, Cremes für Gesicht und Körper, Deodorants, Rouge und Mascara. Dessous und Accessoires, Servietten und Pinzetten, Konfitüre und Likör, Nougat und Pralinés, Tampons und Präservative. Die Gallizismen schwirren nur so um einen herum. In einer Drogerie brauchen Frauen Muße zum Amusement. Männer mögen derweil in den Baumarkt (➝ Vasistas) gehen. Irmtraud GutschkeFFeuilleton Hier wimmelt es von Gallizismen. Schriftsteller erarbeiten vom Exposé (!) bis zum Roman (!) ein Œuvre (!). Und von diesem Werk ist im Feuilleton zu lesen, dessen Name sich vom französischen Wort für „Blättchen“ ableitet. Der Kulturteil einer Zeitung gilt vielen Lesern und noch mehr Journalisten (!) als der wichtigste Bestandteil. Denn hier finden die schönen Dinge statt, werden die klugen Gedanken geschmiedet und Abstraktion geübt vom Klein-Klein des politischen, ökonomischen und sportlichen Tagesgeschäfts. Den Boulevard (!) überlässt man den Illustrierten (!). Neben Porträts (!) und Besprechung von cineastischer (!) Kunst, von Vernissage (!) und Varieté (!) kann man sich hier in der höchsten Form, dem Essay (!), in Eleganz (!) und Esprit (!) üben. Aber auch diese Profession (!) hofft wie die ganze Branche (!) auf Abonnenten (!). Tobias PrüwerJJalousie Oma verschlug es als früh verwaistes Bauernkind in die Stadt, mit wenig im Portemonnaie (➝ Alla). Ihr Platt ließ sie zurück auf dem Land. Durch Heirat mit einem Ingenieur avancierte sie in ein schickes Haus mit Jalousien, die sie Rollläden nannte und mit Verve kurbelte. Das Alter brachte sie in die Bredouille. Für ihre Gedanken brauchte sie nun eine Lupe, und die Jalousie ratterte Schwung in Erinnerungen, die in der Luft staubten. Da betete sie nur noch diskret, vor dem Essen, als wolle sie Gott nicht mit ihrem Kleinkram behelligen. Katharina KörtingKKinkerlitzchen (➝ ) Napoleon ist schuld. Es sollen nämlich amourös gestimmte französische Besatzungssoldaten gewesen sein, die junge deutsche Damen aufforderten, sie in ihrem Zelt zu besuchen. Aus „Visitez ma tente“ wurden später angeblich die Fisimatenten, vor denen Mütter ihre Töchter warnten. Schließlich wären die möglichen Konsequenzen keine Kinkerlitzchen gewesen. Auch dieses hübsche Wörtchen entstammt dem Französischen. La quincaillerie ist der Handel mit Eisen- und Kurzwaren. Kleinigkeiten halt, wie der kreative deutsche Volksmund meinte. Leider sind die Kinkerlitzchen im täglichen Sprachgebrauch selten geworden und überleben vor allem als Name für Geschenkartikelläden und Cafés. Joachim FeldmannMMetrolekt „Du siehst schon wieder todschick und etepetete aus, nun mach ma’ keene Fisimatenten und komm her mit einem Zislaweng, die Boulette ist fertig!“ Man hört es wie viele Mundarten immer seltener, aber das Berlinerische ist ein besonderer Dialekt. Ein Metrolekt, wie er sich in großstädtischen Räumen unter Einfluss von Zuwanderung herausbildet. Besonders einflussreich war dabei das Französische, das die Preußenkönige und die eingewanderten Hugenotten sprachen. Doch während manche Wörter leicht herzuleiten sind – tout chic, être peut-être, boulette –, beißen sich (Hobby-)Linguisten an anderen die Zähne aus. Ob der Zislaweng von „ainsi cela vient“ (so kommt es) oder von „c’est le vent“ (das ist der Wind) kommt, ist ungeklärt. Legenden ranken sich auch um die Fisimatenten, denen wohl weder ein Tantenbesuch noch eine Aufforderung, ins Zelt zu kommen (➝ Napoleon), zugrunde liegt. Aber wer gewieft (vif) genug ist und proper (propre) auftritt, dem glaubt man in Berlin alles, auch Legenden. Leander F. BaduraNNapoleon Von der Adresse zum Bonbon, bis zur Courage, der Garantie oder dem Debakel – ob nun unter der Girlande oder hinter der Jalousie; als Napoleon am 27. Oktober 1806 durch das Brandenburger Tor defilierte, brachte er ein ganzes Bouquet an französischen Lehnwörtern mit. An den deutschen Höfen liebte man es bereits seit Jahrzehnten, Französisch zu parlieren, ob nun elegant oder radebrechend. Das ist durchaus vergleichbar mit den heutigen Granden der Wirtschaft, die zwecks Distinktion mit englischen Wörtern und Abkürzungen um sich werfen.Im napoleonischen Berlin hat die seit je gewitzt bodenständige Bevölkerung die französischen Wörter umstandslos in den Alltag eingemeindet (➝ Metrolekt). Die Bulette ist der berühmteste Zuzug. Sehr hübsch auch die blümerante Gemütslage. Während die Fisimatenten fälschlicherweise der Aufforderung französischer Grenadiere „Visitez ma tente!“ zugeschrieben werden (➝ Kinkerlitzchen). Sie gehen auf das Lateinische „visae patentes“ zurück und verballhornen bereits 1499 überflüssige Bürokratie. Marc OttikerSSelbstbewusstsein Jeanne Moreau, Catherine Deneuve, Audrey Tautou oder Léa Seydoux. Wären wir nicht alle gerne wie sie? Mit Französinnen verbinden wir Anmut und Würde, dabei geht es nicht nur um die äußere Erscheinung, sondern auch um die innere Haltung, sowie die Art aufeinander zuzugehen und Gespräche zu führen. Oder, etwas französischer gesagt: Es geht um die richtige Attitüde. Ratgeber wie How to be Parisian Wherever You Are suggerieren, dass jede Frau in egal welchem Land dieses Selbstbewusstsein ausstrahlen kann, wenn sie sich nur ausreichend anstrengt. Was für ein Klischee. Liz JacobsVVasistas Es gibt nicht viele deutsche Lehnwörter im Französischen, und es sagt einiges aus, dass das bekannteste der „Kitsch“ ist. Kein Wunder, dass es auch „trinken“ über den Rhein geschafft hat, und zwar als Verb fürs Anstoßen: „trinquer“. Doch das kurioseste und lustigste deutsche Lehnwort ist „vasistas“. Es bezeichnet ein Oberlicht über Türen und Fenstern oder eine Dachluke und kommt tatsächlich von der Frage „Was ist das?“. Über den französischen Umweg schaffte es das „vasistas“ sogar ins Türkische.Wie so oft gibt es verschiedene Ursprungstheorien. Manche behaupten, es komme von den Luken in U-Booten. Dagegen spricht, dass es schon 1798 in einem Wörterbuch der Académie Française auftauchte. Einer anderen Theorie zufolge sollen Deutsche im 18. Jahrhundert in Frankreich zum ersten Mal solche Oberlichter gesehen haben und, na ja, gefragt haben, was das ist. Das würde immerhin den bis heute kursierenden Witz erklären, auf die deutsche Frage „Was ist das?“ zu antworten: „une petite fenêtre“. lfbZZweite Fremdsprache Französisch oder Englisch? Russisch war Pflicht. Wir wollten alle Englisch lernen. Um Kashmir von Led Zeppelin zu verstehen. Unser stalinistischer Direktor wünschte mangelnder Nachfrage wegen die Französischklasse aufzufüllen. Ich wurde also in sie eingewiesen, ging aber einfach nicht hin. Ein nonkonformer Englischlehrer gewährte mir Asyl. Der Direktor war besiegt. Diesmal. Viele Jahre später bereute ich es. Bei einem Konzert mit Georges Moustaki in der Molière-Stadt Pézenas sang ein Publikum zwischen neun und 90 jedes Chanson mit und beklatschte und kommentierte die Ansagen des weißhaarigen Sängers. Ich verstand nichts und hätte doch gern dazugehört. Michael SuckowSpitze „Spitze“ ist die Avantgarde schon länger nicht mehr. Denn genauso wie die Idee des Fortschritts unter Beschuss geraten ist, wurde auch der Avantgarde-Begriff obsolet, weil, so heißt es seit postmodernen Dekaden, es keine ästhetischen Normen mehr gibt. Die Vorkämpfer sind müde, die Vorhut hat keine Feindberührung. Nicht der Avantgardist, sondern der eklektizistische Trendsetter oder der assimilierende Mainstream geben heute den Ton an. Mehr noch: „Spitze“ hat einen schlechten Ruf: Das avantgardistische Meisterwerk gilt heute als autoritär. Wer die ganze Geschichte noch mal nachlesen will, der greift zum Klassiker, zu Peter Bürgers heute schon historischer Theorie der Avantgarde (Suhrkamp 1974), und erinnert sich an Zeiten, als die Avantgarde noch echt spitze war. Marc Peschke