Der Sieg bei der Regionalwahl in Niederösterreich bringt den Freiheitlichen fast 25 Prozent, während ÖVP und SPÖ krass verloren haben

FPÖ-Chef Herbert Kickl: Beliebtester und unbeliebtester Politiker zugleich

Aufgewachsen ist der 1968 geborene Herbert Kickl als Kind einer Arbeiterfamilie in der Kärntner Industriegemeinde Radenthein. Später studierte er Philosophie und schrieb eine Diplomarbeit über Hegels Phänomenologie des Geistes. „Die wunderbare Dialektik von Hegel hat fast etwas Spielerisches, ganz was Leichtes“, sagte er der Zürcher Weltwoche im Sommer 2019. Und die Kronen Zeitung ließ er wissen: „So ist das dialektische Prinzip Hegels ein Teil von mir geworden, ich habe es verinnerlicht, es wurde zu einer Konstante in meinem Leben.“

Mitte der 1990er Jahre hat ihn Jörg Haider so fasziniert, dass er vom Studium in die Politik wechselte. Lange stand er in der FPÖ jedoch in der zweiten Reihe, gehörte weder zu Haiders aufgeputzter Buberlpartie noch kam er aus den schlagenden Burschenschaften, die vor allem die oberen Ränge des Parteiapparats besetzen. Letzteres sei nicht unbedingt seine Welt, ließ er einmal verlauten. Kickl wurde jedenfalls Haiders Adlatus, auch sein Redenschreiber, einige markige Sprüche sind von ihm. So bezeichnete er nach den Sanktionen gegen die erste Regierungsbeteiligung der FPÖ 2000 unter Wolfgang Schüssel (ÖVP) den damaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac als „Westentaschen-Napoleon“. Als Jörg Haider in einer Mischung aus Größenwahn und Depression 2005 die Partei spaltete und das „Bündnis Zukunft Österreich“ gründete, zog Kickl nicht mit, sondern konsolidierte mit Heinz-Christian Strache die verbleibende FPÖ.

Anders als seine Vorgänger Haider und Strache ist der Herbert ein Asket, kein Gierschlauch und kein Hasardeur, so etwas wie Ibiza könnte ihm nie passieren, auch kein Autounfall im Vollrausch wie Haider. Da ist er einfach zu intelligent und zu berechnend. Seinen Kick holt Kickl sich beim Klettern. Und wohl auch bei seinen Auftritten, denn zweifellos gehört er zu den besten und schärfsten Rednern des österreichischen Nationalrats. Er sagt viel Dummes, aber es ist nicht alles dumm, was er sagt.

Bisher war die FPÖ vor allem als ausländerfeindliche Bewegung in Erscheinung getreten. „Festung Österreich“ lautet das neue alte Schlagwort. Auch als Autofahrer-Partei war sie über viele Jahre verhaltensauffällig. Die „Klimaterroristen“ genannten Klimaaktivisten sollte man, sofern sie sich ankleben, am besten gleich einsperren. Natürlich steht Kickl am rechten Rand des politischen Spektrums. Aber sollte man dabei nicht übersehen, dass die Partei mittlerweile breit aufgestellt ist. Die eifrige Dechiffrierung rassistischer oder antisemitischer Essentials greift (wie schon immer) zu kurz, um diese Strömung adäquat zu erfassen. Wer die FPÖ darauf reduziert, analysiert dürftig. In gar nicht so wenigen Fragen repräsentiert sie heute entweder die Stimmung der Mehrheit oder die einer großen Minderheit, die jeweils weit über ihr angestammtes Potenzial hinausreicht. Neben Asyl und Auto wäre auch die Pandemie zu nennen, die Haltung zu Putin, die österreichische Neutralität, das Gendern.

Herbert Kickl zwischen blanker Hetze und seriöser Kritik

Sanktionen gegen Russland lehnt Kickl dezidiert ab, vehement verteidigt die einstige Pro-NATO-Partei nunmehr die Neutralität. So wildern die Freiheitlichen inzwischen auch in Gebieten, die man eher für ein Terrain der Linken hält, doch die gibt es in Österreich nicht in nennenswertem Umfang.

Sowohl in ihrer beharrlichen Kritik der Corona-Maßnahmen als auch bezüglich des Ukraine-Kriegs positionierte sich die FPÖ entschieden gegen den öffentlichen Mainstream. „Und die Schwurbler hatten doch recht …“, lässt Kickl nun selbstbewusst in Zeiten der auslaufenden Pandemie plakatieren. Methodisch versucht er einmal mehr einen negativen Begriff positiv umzupolen. Und das gelingt vorzüglich. Besonders weil er den Angriffen offensiv begegnet und gar nicht erst meint, sich verteidigen oder entschuldigen zu müssen. Schon den Populismus-Vorwurf hat man in ein Kompliment transformiert und somit völlig desavouiert. Aktuell liegt der spröde Kickl sowohl im Ranking des beliebtesten als auch des unbeliebtesten Politikers auf Platz eins.

Von der blanken Hetze bis zur seriösen Kritik zieht einer hier sämtliche Register. Und während der Mainstream, idealtypisch vertreten durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen, nicht einmal ahnt, dass und wie er polarisiert, weiß Kickl sehr wohl, dass er das tut und wie er es einsetzt. Während die FPÖ das Feindbild-Spiel beherrscht, beherrschen es jene, die nicht wissen, dass sie es ebenfalls spielen, nicht.

Strategische Kompetenz und taktisches Geschick sind Herbert Kickl nicht abzusprechen. Die Gesamtkonstellation ist für die FPÖ so günstig wie noch nie. Das zeigte auch die Wahl am Sonntag in Niederösterreich, einem Flächenland, in dem sich die FPÖ früher immer sehr schwertat. Da hat die ÖVP fast zehn Prozent verloren, auch die SPÖ ihr schlechtestes Wahlergebnis nach 1945 eingefahren. Die FPÖ hingegen hat über neun Prozent zugewonnen und liegt fast bei 25.

Der Cordon sanitaire wird zusehends löchrig und immer wieder erstaunt, wer da alles in den Tross der FPÖ wechselt beziehungsweise ihr heimlich zuarbeitet. Die äußeren Projektionsflächen der medialen Apparate und ihr Untergrund sind eben alles andere als deckungsgleich. Viele halten sich bedeckt. Aber es köchelt. Worauf es ankommt: Die Kickl-Partei ist derzeit die einzige, die wenig zu vorauseilendem Gehorsam und obligaten Unterwerfungsgesten neigt. Sie weigert sich konsequent, den Kotau vor den etablierten Medien zu machen. Und das kommt gut an, nicht nur im eigenen Lager. Die FPÖ wird wählbarer. Reale Distanz und relative Autonomie wirken als Surplus, und Herbert Kickl erscheint aktuell als dessen Mastermind.

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Von Veritatis

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