Malerei Malen sei im Prinzip wie Ragout kochen, sagt die Malerin Nadine Lohof. Wie das funktioniert, hat unsere Freitag-Autorin bei einem Besuch in ihrem Atelier in Berlin-Prenzlauer Berg erfahren
Barocke Anmutung: „Ankunft des Besuchers“ (2020, l.) und „How to be Saved“ (2021, r.) von Nadina Lohof
Mitten auf dem Boden im Atelier der Malerin Nadine Lohof liegt ein offenes Paket voller salamiähnlicher Würste. Daneben stehen Farbtuben, über den Boden verteilt sind offene Kataloge und Bücher. Großformatige Bilder lehnen an den Wänden, darüber hängen kleine. Durch das Fenster dringt gräuliches Februarlicht. Ich treffe Lohof in ihrer verwinkelten Atelierwohnung in Berlin-Prenzlauer Berg. Zu dem Zeitpunkt unseres Gesprächs sind es noch zwei Tage bis zur Eröffnung der Gruppenausstellung Father’s Chariot/THE FALL der Galerie von Racknitz + Baer, die Arbeiten von Lohof in Berlin zeigt.
„Die Ahle Wurst haben mir meine Eltern aus Kaufungen zugeschickt.“ Diese luftgetrocknete nordhessische Wurscht oder Worscht wird tradition
scht wird traditionell aus Schweinefleisch hergestellt. „Ahle“ heißt sie, weil sie „alt“ ist, also lange gereift. Die Würste liegen bereit für ihre Performance Mental Ragout x Bistro Bernstein des Hauses Ehr’ ist Gastlichkeit, die Lohof vor der Eröffnung in den Räumen der Galerie im privaten Kreis aufführt. Zusätzlich zu ihren Bildern werden Reste der Performance in der Ausstellung gezeigt.Lohof ist ab Mitte der 1980er Jahre zwischen Wald und Fachwerkhäusern, eine halbe Autostunde von der documenta-Stadt Kassel entfernt, aufgewachsen. Auf einem Bild, das hinter mir an der Wand lehnt, prangt in Schreibschrift der Name ihres Heimatorts. In ihren jüngeren Arbeiten ist Kaufungen vermehrt Sujet. „Ich finde es dort eigentlich ziemlich unheimlich“, sagt sie. Lohof ist als Kind einer Handwerkerfamilie in einer ehemaligen Mühle aufgewachsen, umgeben von Äckern und Bauernhöfen. Ihre Oma wohnte nebenan. „Ich habe mich dort immer beobachtet gefühlt.“ Mit 18 zieht sie aus, fliegt als Model um die Welt und kommt 2003 der Liebe wegen nach Berlin. Letztes Jahr hat sie ihr Studium der Malerei in Hamburg bei Jutta Koether abgeschlossen. Seit anderthalb Jahren ist sie nicht nur Künstlerin, sondern auch alleinerziehende Mutter einer Tochter, die seitdem den Rhythmus ihres Arbeitens bestimmt.Kann auch Unheil seinIhre Bilder erzählen. Urheber eines Übels (2019) zeigt ein Treffen von fünf Charakteren, das – der Zirkustrommel und der Kleidung nach zu urteilen – vor oder nach einer Aufführung stattzufinden scheint. Eine zweisame Flötenspiel-Szene in Rosa, Grün und Rot ist Vater und Sohn II (2019). Die Kleidung ihrer Figuren referiert oft auf Szenen aus Kabarett oder Zirkus, ihre Schuhe haben Absätze oder Schleifen. Die Hände sind oft angespannt, wie zum Tanz – oder zum Ernten. Denn oft befinden sich ihre Charaktere in ländlichen Umgebungen. Meist sind sie wohlgenährt, auf manchen Bildern trinken sie aus vollen Weinkrügen, umgeben von Baguette, und vergnügen sich bei musikalischer Untermalung durch Flöte, Akkordeon oder Trommel.Dann wiederum kommt es vor, dass sie Zwiebeln ernten, im Hintergrund matschige Äcker und Grün. Lohofs Bilder wirken oft, als spielte sie mit einem der Barockzeit entlehnten Kontrast zwischen Völlerei und erdiger Kargheit des Landlebens. Beim Betrachten ihrer Bilder meine ich jedenfalls derartige Referenzen, Geschichten und Gesichter zu erkennen. Der Versuch, die Narrationen eindeutig festzumachen, schlägt jedoch fehl. Immer wieder öffnen sich Lohofs Bilder für neue Sichtweisen. Warum tragen all ihre Figuren diese ausladenden Schuhe? Was bedeutet die Leiter? Und auch das Motiv der Trommel verweist auf mehr als eine Form der gesellschaftlichen Zusammenkunft. Getrommelt wird bei Zirkusvorstellungen, Militärparaden, beim Karneval, religiösen Zeremonien oder bei Sportveranstaltungen. „Sie ist für mich interessant“, sagt Lohof, „weil sie etwas ankündigt – und das kann auch Unheil sein.“Die Künstlerin berichtet, wie ein Betrachter ihres Gemäldes Cooking the Same Soup in der Geste, mit der einer Frau an die Brüste gefasst wird, Misogynie zu erkennen gemeint habe. Und sagt: „Ich sehe hier keine Brüste, sondern ein Kleidungsstück, und dieser Charakter ist für mich auch keine weibliche Person.“ Ihre Figuren haben eng zusammenstehende Augen, Nasen und Münder. Sie lassen sich nicht eindeutig als Mann, Frau, Baby oder gar Tier identifizieren. Stattdessen entziehen sie sich einer klaren Zuordnung. Gerade in der Fragilität dieses Dazwischen liegt die Stärke von Lohofs Bildern. Absatzschuhe, die fast all ihre Figuren anhaben, wurden im 17. Jahrhundert zunächst nur von Männern getragen. Und das ursprünglich nicht auf Festen, sondern um bei Militäreinsätzen im Stehen reitend schießen zu können.Lohof erzählt, dass sie meist mit den Gesichtern beginnt. Eine Begriffsschöpfung, die nicht nur im Titel ihrer Performance für die Ausstellung, sondern immer wieder in ihrem Werk auftaucht, lautet „Mental Ragout“: „Im Prinzip ist das Malen wie Ragout kochen. Ich habe Zutaten, aber kein Rezept. Das Malen mit dem Pinsel auf der Leinwand fühlt sich fast wie Rühren an. Und dann rühre ich so rum und irgendwann kommt ein Gericht zum Vorschein.“ Ein Gericht oder eben ein Gesicht.Seit ihrer ersten Einzelausstellung 2017 bei aesthetik01 in Berlin lässt sich eine Entwicklung ausmachen. Waren ihre Bilder damals in Grautönen gehalten und ließen an die Bildwelt einer Käthe Kollwitz denken, bedient sich die Malerin heute einer breiteren Farbpalette, oft pastellig, wobei ein erdiges Braun wie ein Basso continuo meist den Grundton angibt. Während sie die Körper in ihren frühen Arbeiten streng geradlinig konturierte, vergegenwärtigen ihre Linien nun eher die dynamischen Rundungen barocker Zeichnungen eines Guercino. Und so ergibt es auch Sinn, dass sich für Lohof das Malen wie das runde Rühren mit dem Löffel im Topf anfühlt.Auch der Löffel ist ein wiederkehrendes Element in ihren Arbeiten. Das Bild Pas Wagner, Beethoven, das neben uns lehnt, zeigt Lohofs Großvater, wie er mit einem besonders großen Exemplar in den Händen in der Familienküche sitzt. Mit dem Löffel führt man sich Speisen zum Mund und einverleibt sich das, was vorher außerhalb war. Der Löffel als Verbindung zwischen Innen und Außen also. Und andersrum denkt Lohof diesen Weg auch: „Verdauung spielt in meinen Arbeiten eine Rolle. Deshalb mag ich Pieter Bruegel.“ In Schlaraffenland (1567) zeigt Bruegel einen Ritter, einen Bauern und einen Gelehrten, die mit dicken Bäuchen um eine Art Tischlein-deck-dich-Baum liegen. Eine gebratene Gans ist fertig zum Schmaus, der Kaktus besteht aus Broten und der Zaun aus Würsten. Und so wie das Gespräch zwischen Lohof und mir begonnen hat und die Ausstellung ihren Anfang nehmen wird, so endet dieser Text. Mit der Wurst. Nadine Lohofs reichhaltige Arbeiten zu sehen, sollten sich aber vegetarisch oder vegan lebende Menschen nicht entgehen lassen.Placeholder infobox-1