Interview Repariert mehr! Auf der kommenden Biennale in Venedig wird der Deutsche Pavillon zur Werkstatt gemacht. Anne Femmer und Florian Summa erzählen im Gespräch, warum es wichtig ist, Reparaturen auch in der Architektur mehr zu wertschätzen
Wir müssen viel mehr über Reparaturen nachdenken, so die Prämisse des Deutschen Pavillons Wegen Umbau geöffnet auf der kommenden Architekturbiennale in Venedig. Anne Femmer und Florian Summa aus dem Kurator*innenteam sprechen über die soziale Dimension von Maintenance, der Instandhaltung also, und das Bauen jenseits klassischer Familienmodelle.
der Freitag: Frau Femmer, Herr Summa, beginnen wir mit zwei zentralen Begriffen für den Pavillon: Was verstehen Sie unter Umbau und Maintenance?
Florian Summa: Der Architekt Hermann Czech sagte ja, alles sei Umbau. Wenn wir etwas verändern, bauen wir um. Maintenance hingegen fokussiert auf den Moment: Es ist die Aufgabe in der Architektur, die dafür sorgt, dass Vorhandenes nicht zerfällt. Das ist viel mit v
der Architektur, die dafür sorgt, dass Vorhandenes nicht zerfällt. Das ist viel mit versteckter Arbeit verbunden. Reparieren ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Begriff.Anne Femer: Wir betonen, dass Reparaturen auch Entwurfsaufgaben sein können, wie kleine Umbauten. Die Grenzen zwischen Umbau und Maintenance sind fließend.Summa: Hier spüren wir Widerstände. Die Ansammlung von kleinen Eingriffen – manchmal eher Reparaturen als Umbauten – ist für viele noch keine Architektur. Uns hingegen interessieren diese lokalen Sachen sehr.Hat es damit zu tun, dass das Augenmerk auf Reparatur Architekt*innen entmachtet?Femmer: Es geht eher um die klassische Entwerfer*in. Wenn es kein Programm und keine vorgezeichnete Aufgabe gibt, wenn man im kleinen Maßstab anfängt und mehrere Lösungen vorschlägt, die fast unabhängig voneinander funktionieren, dann muss man das erst mal erläutern.Summa: Wir haben Freude daran, mit Studierenden in bestehende Häuser zu gehen und kleine Umbauten oder Reparaturen zu machen, die manchmal eine Verbesserung sind oder eine Vision geben, was sich verändern könnte. Man lässt sich dabei auf mehr Unwägbarkeiten ein. Die Architektur mit großem A muss sich plötzlich mit viel mehr auseinandersetzen.Der Begriff Maintenance hat auch eine soziale Dimension, und es berührt Diskurse über Care-Arbeit. Wie erklären Sie sich die Faszination für diesen Begriff?Femmer: Es ist ein Phänomen unserer Zeit. Solche Gedanken sind notwendig, um etwas zu ändern.Summa: Wenn man sich mit diesen Begriffen beschäftigt, nimmt man eine beobachtende Funktion ein. Uns interessiert, wie wir das für unser tägliches Tun fruchtbar machen können. Wir glauben nicht, dass man nichts mehr bauen darf. Das wäre zu einfach gedacht. Aber die Frage ist, was es für den Architekt*innenberuf bedeutet, wenn wir uns mehr mit Maintenance beschäftigen.Wie fließt diese Spannung in den Pavillon ein, den Sie gemeinsam mit Juliane Greb, Petter Krag und dem Magazin „ARCH+“ kuratieren?Femmer: Wir beschäftigen uns intensiv mit all dem, was bereits vorhanden ist: mit Materialien beispielsweise, die wir auf der vergangenen Kunstbiennale gesammelt haben und nun für Reparaturarbeiten weiterverwenden. Aber auch mit venezianischen Initiativen, die sich seit Langem der Pflege ihrer Stadt widmen. Die ökologische Frage ist für uns untrennbar mit der sozialen Frage verbunden.Summa: Wir können Kritiken vorwegnehmen, die sagen: Ihr seid nur am Analysieren und baut nichts mehr. Denn es gibt Eingriffe in den Pavillon, die sich architektonisch damit beschäftigen. Alles, was wir im Pavillon machen, soll einen Nutzen haben.Femmer: Eine Werkstatt im Pavillon ist der Ausgangspunkt. Auszubildende und Studierende werden dort gemeinsam den ganzen Sommer und Herbst physisch arbeiten. In der Werkstatt werden Dinge gefertigt, mit denen wir lokale Initiativen in ihrer Maintenance-Arbeit unterstützen. Wir schwärmen vom Pavillon aus und hoffen, voneinander lernen zu können.Placeholder image-1Vorab wurde viel über Bruchstücke der Kunstbiennale gesprochen, die Sie antiken Spolien gleich weiterverwenden wollen. Was haben Sie damit vor?Femmer: Wie das dann aussieht, möchten wir noch nicht verraten. Es ist schön, zu zeigen, wo die Sachen herkommen, dass sie eine Geschichte haben – und damit auch zu entwerfen.Summer: Der Begriff Spolie deutet schon über den reinen Materialwert auf Dinge, die einen kulturellen Wert haben. Da gab es zum Beispiel eine blaue Säule aus dem israelischen Pavillon der Kunstbiennale. Das ist einfach angesprühtes Dämmmaterial. Aber es ist eben mit Gestaltungswillen in diesem tollen Yves-Klein-Blau lackiert worden. Das Material in den Giardini und im Arsenale könnte man zehn Jahre lang tauschen und Ausstellungen damit machen. Sachen, die liebevoll weiterverarbeitet worden sind, erschienen uns besonders wertvoll. Messingbleche, Rohre, Kabel, Textilien, natürlich sehr viel Holz, alles ist da. Die Biennale ist wie ein kleines Dorf, ein Brennglas von dem, was eh in der Welt ist.Wird das normalerweise etwa weggeworfen?Femmer: Das Unternehmen Rebiennale/R3B kümmert sich in einzelnen Fällen schon seit mehreren Jahren darum. Von ihnen können wir sehr viel lernen. Wenn sie wissen, dass sie den nächsten Auftrag haben, verwenden sie die Sachen weiter. Abseits davon wird das meiste weggeschmissen.Summa: Wir haben sehr früh angefangen, mit dem Institut für Auslandsbeziehungen die Übernahme von Maria Eichhorns Installation 2022 abzusichern, sodass wir den Pavillon rasch übernehmen und als Lagerraum nutzen konnten. Das war auch für die Rebiennale – die uns unterstützt hat – entscheidend.Der Titel der Biennale lautet „Laboratory of the Future“, und im Statement der Kuratorin Lesley Lokko geht es um eine Erweiterung aller kreativen Disziplinen. Auch Ihr Projekt ist nicht spezifisch für deutsche Architektur.Summa: Wir können nicht mehr kolonialistisch nur mit Best-practice-Beispielen nach Venedig fahren und zeigen, wie toll die Deutschen das wieder hinbekommen.Für die Stadtgesellschaft ist die Biennale ziemlich desaströs: Massen von Kunst- und Architekturreisenden, teure Mieten. Wie binden Sie das Projekt in die Stadt ein?Femmer: Das Werkstattkonzept vor Ort ist entscheidend. Wir haben auch eine Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftler und Aktivisten Marco Baravalle, und lokale Vertreter*innen erarbeiten mit uns ein Programm. Dahinter steckt Dezentralisierung. Man muss die Biennale öffnen und in die Stadt bekommen.Was planen Sie in der Werkstatt?Summa: Wir wollen zeigen, dass es nicht nur um eine Selbstermächtigung im Sinne von do it yourself geht, obwohl das wichtig ist. Ein Problem der Linken im Allgemeinen ist vielleicht, dass sie sich schnell ins Lokale zurückziehen. Aber wie die Politikwissenschaftlerin Jodi Dean mal sagte: Goldman Sachs interessiert es nicht, ob du Hühner im Garten aufziehst. Das ist kein Aufruf, das Lokale nicht zu stärken. Gleichzeitig ist es aber zu naiv, sich nur zurückzuziehen, wenn man etwas verändern will. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns auch. Marco Baravalles Konzept „From Exhibition to Habitation“ ist ein guter Ansatz. In dem Moment, wo wir nicht mehr repräsentieren, sondern auch bewohnen, gehören wir ein Stück zu Venedig. Nur so können Allianzen entstehen.Was ist das Ziel der Werkstatt?Summa: Es geht um die Kraft des Unvorhersehbaren. Üblicherweise stehen ja die Drei-Minuten-Besucher*innen im Mittelpunkt: Was kriegen die mit, wenn die durch den Pavillon laufen? Aber vielleicht geht es auch um alles, was da einen ganzen Sommer lang entstanden ist.Wie setzen Sie Themen wie Maintenance in der eigenen Architekturpraxis um?Femmer: Wir sprechen viel darüber, wie wir das einrichten, dass wir an Universitäten lehren und Projekte machen können. Eine gleichmäßige Aufteilung, keine Spezialisierung, sodass man austauschbar ist, das hat auch viel mit Maintenance zu tun.Summa: Manchmal, wie bei San Riemo, einem genossenschaftlichen Wohnhaus in München, hatten wir Gelegenheit, das räumlich und programmatisch umzusetzen. Dort haben wir gesagt, wir wollen nicht die Wohnung für die Kernfamilie bauen. Die häusliche Sorgearbeit soll nicht an Wohnungsgrenzen gebunden sein. Die Struktur von San Riemo ist sehr porös und erlaubt, dass sich die Bewohner*innen miteinander solidarisieren: beim Kinderhüten, Wäschewaschen oder gemeinsamen Kochen.Es ist auffällig, dass Sie oft queere und feministische Denker*innen zitieren, die erst einmal nicht so viel mit Bauen und Architektur zu tun haben. Wo sehen Sie den Bezug?Femmer: Es bietet Denkanstöße. Wir haben Freude daran, ausgehend davon zu entwerfen und das ins Räumliche zu übersetzen. Wir selbst leben und arbeiten auch nicht in einem klassischen Familienmodell, das manifestiert sich auch architektonisch. Es macht Spaß, Fragen unserer Zeit gewissermaßen in Form zu bringen.Summa: Letztlich ist es die Rettung davor, dass wir uns auf Rezepte stürzen und beispielsweise über San Riemo sagen: So müssen Gebäude funktionieren. Denn es ist nur eine Lösung für diesen bestimmten Ort und diese Bauherr*innen. Ein renditeorientierter Investor würde sich auch über diese Flexibilität freuen. In der gebauten Struktur steckt kein ethischer Wert an sich.Placeholder infobox-1