Kunst 200 Metallplatten: Das Wandbild „Produktivkraft Mensch“ des Künstlers Hans-Hendrik Grimmling, das 1981 in der DDR für einen Chemieanlagenbau entstand, taucht jetzt in Leipzig an einem neuen Ort wieder auf. Und es ist nicht das einzige


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Ausgabe 09/2023

„Produktivkraft Mensch“ zierte das Bürogebäude eines Chemieanlangenbauers

„Produktivkraft Mensch“ zierte das Bürogebäude eines Chemieanlangenbauers

Ausgerechnet ein Rebell gegen die DDR-Kunst erlebt in Leipzig ein zweites Leben seines alten Wandbilds. Während viele Objekte architekturbezogener Kunst aus der DDR-Zeit nach der Wende entsorgt wurden, hat das Bild Produktivkraft Mensch von Hans-Hendrik Grimmling auf wundersame Weise überlebt. 1981 aus 200 Metallplatten mit gebrannter Industrieemaille für das damalige Bürogebäude des KIB Chemieanlagenbau entstanden, landete es nach mehrfachem Eigentümerwechsel schließlich bei einem Bauunternehmen, das es frisch restauriert an der Stirnseite eines Wohnkomplexes im Leipziger Norden wieder anschrauben ließ.

Was tut sich da im Osten? Waren bisher Kommunen und Neueigentümer von Immobilien zumeist bemüht, Kunst, die aus der DDR-Zeit als Kunst am B

Zeit als Kunst am Bau herüberreichte, abzutragen, wird sie jetzt gepflegt und restauriert. Was bis vor Kurzem noch zur Altlast und Peinlichkeit erklärt wurde, weil es unter das Fatum des Sozialistischen Realismus fiel, wird jetzt wiederentdeckt.Hans-Hendrik Grimmling, 1947 in Zwenkau bei Leipzig geboren, ist einer von denen, die in der DDR nicht gerade leise gegen Fremdbestimmung rebellierten. Er gehörte 1984 zu den Initiatoren des Leipziger Herbstsalons. Sechs Künstler hatten die Kühnheit besessen, im Messehaus am Markt in Eigenregie ihre Werke der Zensur zu entziehen. Ein Jahr später war sein Konflikt mit dem Land auf eine Größe angewachsen, dass er es verließ. Fortan suchte er in West-Berlin seinen Weg und – was er im Schatten von Heisig, Mattheuer und Tübke an Leipzigs Kunstakademie nie hätte werden können – wurde zum Professor für künstlerische Grundlagen an der Berliner Technischen Kunsthochschule berufen.„Ich hatte“, sagt Grimmling über Produktivkraft Mensch, „die Arbeit, wie so vieles, auf meiner Festplatte löschen wollen … soundso ist solche Verdrängungsarbeit nicht sehr gesund und auch nicht heilsam. Nun bedrängt mich diese frühe Arbeit.“Die DDR hatte 1950 Bauherren per Gesetz verpflichtet, einen kleinen Prozentsatz – erst zwei Prozent, ab 1982 nur noch ein halbes – der Bausumme für Kunst zu verwenden. Das Geld lockte auch Opportunisten, unterm Strich bleibt dennoch viel „einzigartiger Kunstbestand übrig, der von Bedeutung ist für die Kulturgeschichte Deutschlands“. So formulierte es die Einladung zum Symposium „Kunst am Bau in der DDR“, das 2020 in der Berliner Akademie der Künste stattfand. Der Leipziger Kunstwissenschaftler Peter Guth schrieb in seinem Buch Wände der Verheißung den denkwürdigen Satz: „Architekturbezogene Kunst in der DDR war eine merkwürdige Melange aus Apologetik und Trotzdem, aus Hoffnung und Enttäuschung, aus gebücktem und aufrechtem Gang.“Teil einer Retro-WelleWas davon trifft auf Grimmlings Wandbild zu? Wie konnte er, der Rebell in der Leipziger Kunstszene, überhaupt zu einem solchen Auftrag kommen? Er hatte 1981 an einem Wettbewerb teilgenommen und den Zuschlag erhalten. Bei allem Aufbegehren gegen die, die ihn noch im vierten Studienjahr an Leipzigs Kunsthochschule als Bedingung fürs Diplom mit Arbeiterporträts erpresst hatten, wollte er immer Angebote nutzen: „Mich nicht im Hinterstübchen, sondern im möglichst offenen Gelände zu äußern, sah ich als Herausforderung, und so nahm ich diesen Auftrag an.“Es ging Grimmling um Konfrontation durch unmittelbare Öffentlichkeit, was letztlich auch das Grundmotiv des Leipziger Herbstsalons 1984 war. Als Selbstermächtigung von sechs Künstlern war er für sie ein Schiss auf bürokratische Genehmigungsverfahren. Gemessen an dieser Rolle, war die Annahme des Auftrags vier Jahre zuvor ungewöhnlich. Womit wir wieder bei der „Melange aus Apologetik und Trotzdem“ wären. Grimmling, dem es wichtig war, dass seine Bilder „vor den Kulissen arbeiten können, nicht hinter ihnen“, stellte sich zu den Aufrechten, die hinter der Trotzdem-Fahne standen: „Mit dem Wandbild wollte ich testen, ob sich meine Bildauffassungen in monumentalere Dimensionen dehnen lassen, ohne dass die Form sich der propagandistischen Nutzbarkeit eines sozialistischen Realismusbegriffs verfügbar macht.“ In dieser Beschreibung liegt nicht nur sein Programm, sondern das vieler Kollegen, die sich in der DDR an architekturbezogener Kunst beteiligt haben. Grimmling sagt, er wollte in seiner baugebundenen Kunst „ähnliche Bildauffassungen und Formulierungen wie sonst in meiner Malerei und Grafik beibehalten“. Seiner reduzierten figurativen Bildsprache blieb er in Produktivkraft Mensch treu: Er zwängte die Figuren in das Rohr eines Wärmeaustauschers ein. In Bildidee und Formensprache blieb er sich nichts schuldig: Dem damaligen Zeitgeist folgend bestimmt die Technik den Bewegungsstrom des Menschen, Grimmlings Bildmetapher macht aber auch auf den Konfliktfall Mensch–Technik aufmerksam. Für ihn schmälerte die Beteiligung an einem staatlichen Auftrag nicht seinen künstlerischen Anspruch, sondern forderte ihn heraus. Sich kritisch zu äußern und subversiv zu bewegen, widersprach es nicht.Zwölf Jahre, sagt man, hatte ein Künstler Anspruch darauf, dass man seine „Kunst am Bau“ unbeschädigt lässt und erhält. Danach war es nur noch eine Frage des Glücks, ob sie überlebte. Erst musste das Kunstwerk den Untergangs eines Staates überleben und dann – viel wichtiger – den neuen Eigentümer. Glaubt der, dass ein Wandbild seine neue Wohnanlage schmücken könnte, wird er es erhalten. Andernfalls Daumen runter wie bei dem Leipziger Bildhauer und Plastiker Otto Berndt Steffen. Seine Skulpturengruppe Frau und Technik, die er für einen großen Spinnereibetrieb drei Jahre vor der friedlichen Revolution in Leipzig erst in Bronze, dann in Marmor geschaffen hatte, fiel der Treuhand zum Opfer. Die hatte nicht die Liquidierung angeordnet, wohl aber die Säuberung des Geländes, um es an einen neuen Investor verkaufen zu können. Plötzlich stand den Bulldozern die zweiteilige Plastik im Weg. Vielen Künstlern erging es wie ihm. Den Jugendklubs, die Detlef Lieffertz und Heinz-Jürgen Böhme in Leipzig-Grünau als Gesamtkunstwerk ausgestaltet hatten, etwa. Ein Objekt, dem der neue Eigner das Aussehen eines Münchner Biertempels geben wollte, brachte den Künstlern nachträglich noch Geld. Zerstören ist nicht justiziabel, aber das Ummodeln nach dem Geschmack eines Paulanerwirts dann doch. Auf die Kunstaffinität des neuen Eigentümers hofft hingegen noch Günter Huniat, der bisher nicht weiß, in wessen Hände der einstige Speisesaal fällt, für den er ein 24 Meter langes Wandbild mit dem Titel Freizeit und Erholung geschaffen hat.Grimmlings Wandbild ist nicht das einzige Beispiel einer Retro-Welle, die Kunst aus DDR-Tagen in Leipzig gerade erlebt. Die Sächsische Aufbaubank zeigt seit 2021 in ihrem neuen Domizil die restaurierten sogenannten Robotron-Reliefs von Künstlern der ersten Generation der Leipziger Schule. Anders als bei Grimmling setzen die recht affirmativen Wandreliefs von Arno Rink, Frank Ruddigkeit und Klaus Schwabe unter dem gemeinsamen Arbeitstitel Leben im Sozialismus – Datenverarbeitung keine künstlerischen Glanzpunkte, sind aber unersetzbare Zeugnisse der Zeitgeschichte.Vieles von dem, was einst im parteieigenen Fördersystem in Auftrag gegeben wurde, hat der ästhetische Anspruch ihrer Schöpfer der politischen Nutzung entzogen. Dafür ist Grimmlings Wandbild nur ein Beispiel. Beurteilen lässt sich die Kunst nicht ohne ein Verständnis für die wechselvolle Zeit ihrer Entstehung.



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Von Veritatis

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