„Insomnia“ ist das bisher persönlichste Werk des Chemnitzer Rappers: Mit der schmerzhaft großartigen Platte kratzt er sich selbst von der schwarzen Wand, gegen die er seinen Daseinstraum in den letzten Jahren gefahren hatte.
K.I.Z. scheinen die rauschenden Erfolgsjahre des Chemnitzer Rappers Trettmann seit dessen grandiosen „D.I.Y.“-Debüt aus dem Jahr 2017 im Song „Lifehack“ letzthin ganz gut zusammengefasst zu haben: „Bier haben statt keins / Pimmel lang statt klein / Nicht arm, besser reich sein / Parts schreiben, danach in die Hook Henning May rein“. Ja, der Sänger von Annenmaykantereit, dessen gänsehäutige Stimme den K.I.Z.-Hit „Hurra die Welt geht unter“ einst auf ein höheres Level hob, hat auch auf dem neuen Trettmann-Album „Insomnia“ ein Feature, gleich im zweiten Song „Kalte Welt“. Doch der Trick funktioniert hier nicht, May röchelt wie ein Fremdkörper aus einer anderen Welt in den Vocoder und steht im Refrain wie ein Business-Move.
Das mag erst einmal nach einem Fehler klingen. Doch in Wirklichkeit illustriert es nur einen solchen. und das ist einer der vielen Reibungsmomente, mit denen diese Platte dem Hörer die Nackenhaare aufstellt: „Insomnia“ zeichnet ebenso schonungslos wie sinnlich das Scheitern Trettmanns in den letzten Jahren nach, vor allem das Ende seiner langjährigen Beziehung auf dem Höhepunkt seines musikalischen Mainstream-Erfolges. Was besonders tragisch ist, da der Chemnitzer, der im Oktober bereits 50 wird, quasi Karriere-Spätzünder ist und die Implosion seiner Familie nicht nur in dem Moment erfolgte, in dem er sie endlich von seiner Kunst absichern konnte – dieser so mühsam erarbeitete Glücksfall war es, der die Ehe des Rappers letztlich zerstörte.
Nun ist die Popwelt voll von Platten, auf denen derlei Herzschmerz ausführlich geschildert wird. Selten aber ist eine davon so ergreifend und klar. Was vielleicht daran liegt, dass „Insomnia“ nie larmoyant wird: Trettmann hält sein Schicksal nicht für einmalig und ist weit entfernt vom Selbstmitleid. Genau das macht aber seine selbstkritisch-reflektierten Schilderungen vom Ende, den Phasen der Trauer und seiner Quasi-Wiedergeburt so berühren – weil er sie trotzdem hoch poetisch zu verpacken versteht in seinen knappen Lines, die immer erst einmal so beiläufig gewöhnlich klingen, dann aber mit jeder Wiederholung mehr von ihrer Lebenstiefe preisgeben. Inhaltlicher Höhepunkt ist der Track „Stefan Richter“, versehen mit dem bürgerlichen Namen des Rappers, in dem er an der Seite von Feature-Gast Herbert Grönemeyer zurück zu sich selbst findet.
Spätestens an der Stelle wirkt die Platte wie ein Stein, der Trettmann vom Herzen fällt: Er findet zurück in seinen „Loop“, wo er, wie er in der neuen Folge des Podcasts „Etwas Kultur muss sein“ schildert, eben auch als Mann seines Alters einfach nur tanzen und die Musik dort feiern will, wo sie zelebriert gehört: im Club. Ohne sich dabei auf eine ziemlich deutsche Debatte über „Berufsjugendlichkeit“ einlassen zu wollen.
Musikalisch ist „Insomnia“ dabei zu einem so organischen Meisterwerk geraten, dass selbst eingangs erwähnter „Stolperer“ viel Sinn ergibt. Das Berliner Produzententeam Nicole Schettler, Christoph Erkes und Christian Yun-Song Meyerholz alias Kitschkrieg hat sich mit den Beats übertroffen und seinen an sich schon markant reduzierten Stil nochmals frappierend skelettiert. Bereits im Opener „6 Nullen“ packt nur eine karge, stylisch zu Bruch modulierte Bassfigur den Hörer am Gemüt. Und solche Stellen kommen auf dem Album immer und immer wieder – man höre nur die unfassbar schöne Superminimal-Gitarrenfigur, welche das Stück „Timeline“ neben einem weh pfeifenden Atem-Bass über einen restbitter-zittrigen Aufbruchsbeat trägt – bis zur nadeltiefen Featurestimme von Lena, die den Tränenschleusen dann den Rest gibt, und zwar ohne das Trettman dazu auf entsprechende Drüsen drücken muss.
Die nun bereits erwähnten Features sind allerdings längst nicht die einzigen – in dem Punkt geht Trettmann in die Vollen mit Bilderbuch (noch so ein Gitarren-Wunderstückchen), Nina Chuba oder Levin Liam. Und: Paula Hartmann! Wobei deren Song „Gekreuzte Finger“ nicht nur einer der besten des Albums ist, sondern eigentlich auch eher einer von ihr, in dem Trettmann zu Gast sein darf. (Warum das gar nicht abwegig ist, erklärt er auch im Podcast!). Dass das dennoch wie ein zwingendes Puzzleteil auf „Insomnia“ passt, zeigt die Größe Trettmanns, der hier Kunst wegen sein Ego souverän zunimmt: Hartmann schlägt dabei mit der Line vom „Flugzeugwrack im Bauch“ die Brücke zum erwähnten Grönemeyer-Stück.
Das dritte Album des Chemnitzers nach „D.I.Y.“ (2017) und „Trettmann“ (2019) ist damit nicht einfach sein bestes – es schließt einen Kreis, beendet eine Trilogie: Die Platte ist die letzte Zusammenarbeit mit Kitschkrieg, Stefan Richter sucht neue Ufer am Horizont.
Der Podcast In der neuen Folge von „Etwas Kultur muss sein“ spricht Trettmann unter anderem über seine Verbindung zu Herbert Grönemeyer, die ungeahnten Mühen des Vaterseins, frühe Chemnitz-Jahre und seine Rolle beim Klassiker „Palmen aus Plastik“. » freiepresse.de/ekms