Nein, der abgebrochene Marsch auf Moskau, den Jewgeni Prigoschin mit seiner schwer bewaffneten Soldateska am 24. Juni bis 200 Kilometer vor die russische Hauptstadt führte, war kein versuchter Staatsstreich. Er ist nicht vergleichbar mit dem Coup Napoleon Bonapartes, der sich am 9. November 1799 zur Alleinherrschaft putschte und anschließend fast ganz Europa eroberte. Er ist auch nicht vergleichbar mit dem Staatsstreich seines Neffen Lous Bonaparte, der sich 1851 als gewählter Präsident mit diktatorischen Vollmachten ausstatten und ein Jahr später zum Kaiser krönen ließ. Dieses Ereignis nahm Karl Marx zum Anlass, im Einleitungssatz seiner berühmten Schrift Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte zu konstatieren: „Hegel bemerkt irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich so zu sagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce.“
Sicherheit als Ware
Die weltgeschichtliche Tragödie baut sich möglicherweise gerade im Ukrainekrieg auf. Sie dürfte spätestens dann sichtbar werden, wenn dieser Krieg sich geografisch ausdehnt und Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden. Was hingegen der Unternehmer und Söldnerführer Prigoschin vorgeführt hat, war eine Farce. Die Welt blickte gefesselt auf den vermeintlichen Staatsstreich, der das Zeug haben sollte, die Machtstatik des Kreml zu erschüttern, um dann nach 48 Stunden feststellen zu müssen, dass es sich bloß um eine Posse gehandelt hat. Die erklärte Absicht, nach Moskau zu marschieren, „um dem Chaos ein Ende zu bereiten“, entpuppte sich als der klägliche Versuch eines zu stark gewordenen Kriegsunternehmers, der Eingliederung seines Unternehmens in die russischen Streitkräfte zuvorzukommen.
Eigentlich sind Privatarmeen oder private militärische Sicherheitsdienste in Russland verboten. Gleichwohl existieren mehr als zwei Dutzend davon unbehelligt und gehen ihrer Tätigkeit in- und außerhalb des Landes nach. Die Versuche, sie gesetzlich zu regulieren, sind bislang am Widerstand aus Militär-, Geschäfts- und Geheimdienstkreisen gescheitert. Sei es, weil man keine Konkurrenz haben, unreguliert den profitablen Geschäften nachgehen oder die politisch nützliche operative Grauzone wahren wollte.
Das Geschäft mit der Sicherheit startete in Russland in den wilden 1990er Jahren durch. Nach dem Zerfall der Sowjetunion fielen große Teile der Bevölkerung in große Armut. Wenige andere wurden dermaßen reich, dass sie sich Schutz kaufen mussten. Die völlig unterfinanzierte Armee war nur noch eine bloße Hülle. Die schlecht bezahlten Sicherheitskräfte hatten die Wahl auszuharren und auf Besserung zu warten, ins kriminelle Milieu zu wechseln oder zu einer Sicherheitsfirma zu gehen.
Private Militärdienstleister in 27 Ländern aktiv
Mit Wladimir Putin kam die Besserung. Der zweite Tschetschenienkrieg ab 1999 ermöglichte ihm den Aufstieg an die Staatsspitze und sicherte den Vertretern des Sicherheitsapparats ihre dominante Rolle im zunehmend autoritären Staat. Demokratie stand für einen Großteil der Bevölkerung für Chaos – Putin für ein lange vermisstes Maß an Sicherheit und Ordnung. Die privaten Sicherheits- und Militärdienste zerfielen, bildeten sich neu oder orientierten sich um. Seit 2014 intensivierte Moskau seinen Rückgriff auf private Militärdienstleister. Sie unterstützen die verdeckten Militäroperationen in der Ostukraine und operieren in Konfliktgebieten des postsowjetischen Raums. Darüber hinaus sind sie in 27 Ländern aktiv, hauptsächlich in Afrika und dem Nahen Osten.
Sie befinden sich in „guter Gesellschaft“, denn private Militärfirmen gibt es mittlerweile in mehr als 100 Ländern. Von den Top-30 haben die meisten ihren Sitz in den USA (13) und Großbritannien (6). Die Sicherheitskräfte werden in Konfliktgebieten eingesetzt oder in instabilen Staaten. Sie übernehmen meist logistische, Ausbildungs- und Schutzaufgaben, seltener Kampfaufträge. Die meisten großen Sicherheitsfirmen pflegen enge Beziehungen zum Staat und werden von diesem mehr oder minder kontrolliert. Der Vorteil für den Staat liegt darin, dass er mittels dieser Kräfte verdeckte Operationen durchführen kann, ohne offiziell beteiligt zu sein.
Das Vorgehen spart Geld, verschafft Einfluss, schont das Leben der eigenen Soldaten und umgeht politische und öffentliche Kontrolle. Weil diese Praxis vor allem für eine demokratische Gesellschaft höchst problematisch ist, haben 54 Staaten auf Initiative des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz 2008 das Montreux-Dokument unterzeichnet, das 70 Best-practice-Empfehlungen umfasst, die den Einsatz von privaten Militärunternehmen zu regulieren versuchen. Russland gehört nicht dazu, da solche Unternehmen ja offizielle verboten sind.
Soziale Basis fehlt
Die Wagner-Gruppe ist mittlerweile die wohl bekannteste Söldnertruppe der Welt. Das Unternehmen beschränkt sich nicht nur auf Militärdienstleistungen. Es beutet auch Gold- und Diamantenminen sowie andere Rohstoffvorkommen aus.
Dennoch: Die Wagner-Gruppe mag reich und mächtig sein, doch ist sie offenbar nicht mächtig genug, um die privaten Profitinteressen ihres Chefs zu sichern und seinen politischen Ambitionen ausreichend Nachdruck zu verleihen. Sein Marsch auf Moskau ist verpufft und seine Zukunft trotz zugesicherter Straffreiheit schlecht. Was ihn zur plötzlichen Kehrtwende getrieben hat, wissen wir noch nicht. Klar ist aber, dass ihm die soziale Basis für einen Umsturz fehlte. Die russische Bourgeoisie will ihre Ruhe haben, das einfache Volk auf dem Land schätzt den starken Mann Putin, und das Prigoschin unterstützende Lumpenproletariat aus den russischen Gefängnissen und ehemaligen Armeeangehörigen war letztlich nicht stark genug. Eine lumpige Farce eben!
Brumaire des Louis Bonaparte zu konstatieren: „Hegel bemerkt irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich so zu sagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce.“Sicherheit als WareDie weltgeschichtliche Tragödie baut sich möglicherweise gerade im Ukrainekrieg auf. Sie dürfte spätestens dann sichtbar werden, wenn dieser Krieg sich geografisch ausdehnt und Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden. Was hingegen der Unternehmer und Söldnerführer Prigoschin vorgeführt hat, war eine Farce. Die Welt blickte gefesselt auf den vermeintlichen Staatsstreich, der das Zeug haben sollte, die Machtstatik des Kreml zu erschüttern, um dann nach 48 Stunden feststellen zu müssen, dass es sich bloß um eine Posse gehandelt hat. Die erklärte Absicht, nach Moskau zu marschieren, „um dem Chaos ein Ende zu bereiten“, entpuppte sich als der klägliche Versuch eines zu stark gewordenen Kriegsunternehmers, der Eingliederung seines Unternehmens in die russischen Streitkräfte zuvorzukommen. Eigentlich sind Privatarmeen oder private militärische Sicherheitsdienste in Russland verboten. Gleichwohl existieren mehr als zwei Dutzend davon unbehelligt und gehen ihrer Tätigkeit in- und außerhalb des Landes nach. Die Versuche, sie gesetzlich zu regulieren, sind bislang am Widerstand aus Militär-, Geschäfts- und Geheimdienstkreisen gescheitert. Sei es, weil man keine Konkurrenz haben, unreguliert den profitablen Geschäften nachgehen oder die politisch nützliche operative Grauzone wahren wollte.Das Geschäft mit der Sicherheit startete in Russland in den wilden 1990er Jahren durch. Nach dem Zerfall der Sowjetunion fielen große Teile der Bevölkerung in große Armut. Wenige andere wurden dermaßen reich, dass sie sich Schutz kaufen mussten. Die völlig unterfinanzierte Armee war nur noch eine bloße Hülle. Die schlecht bezahlten Sicherheitskräfte hatten die Wahl auszuharren und auf Besserung zu warten, ins kriminelle Milieu zu wechseln oder zu einer Sicherheitsfirma zu gehen. Private Militärdienstleister in 27 Ländern aktivMit Wladimir Putin kam die Besserung. Der zweite Tschetschenienkrieg ab 1999 ermöglichte ihm den Aufstieg an die Staatsspitze und sicherte den Vertretern des Sicherheitsapparats ihre dominante Rolle im zunehmend autoritären Staat. Demokratie stand für einen Großteil der Bevölkerung für Chaos – Putin für ein lange vermisstes Maß an Sicherheit und Ordnung. Die privaten Sicherheits- und Militärdienste zerfielen, bildeten sich neu oder orientierten sich um. Seit 2014 intensivierte Moskau seinen Rückgriff auf private Militärdienstleister. Sie unterstützen die verdeckten Militäroperationen in der Ostukraine und operieren in Konfliktgebieten des postsowjetischen Raums. Darüber hinaus sind sie in 27 Ländern aktiv, hauptsächlich in Afrika und dem Nahen Osten. Sie befinden sich in „guter Gesellschaft“, denn private Militärfirmen gibt es mittlerweile in mehr als 100 Ländern. Von den Top-30 haben die meisten ihren Sitz in den USA (13) und Großbritannien (6). Die Sicherheitskräfte werden in Konfliktgebieten eingesetzt oder in instabilen Staaten. Sie übernehmen meist logistische, Ausbildungs- und Schutzaufgaben, seltener Kampfaufträge. Die meisten großen Sicherheitsfirmen pflegen enge Beziehungen zum Staat und werden von diesem mehr oder minder kontrolliert. Der Vorteil für den Staat liegt darin, dass er mittels dieser Kräfte verdeckte Operationen durchführen kann, ohne offiziell beteiligt zu sein.Das Vorgehen spart Geld, verschafft Einfluss, schont das Leben der eigenen Soldaten und umgeht politische und öffentliche Kontrolle. Weil diese Praxis vor allem für eine demokratische Gesellschaft höchst problematisch ist, haben 54 Staaten auf Initiative des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz 2008 das Montreux-Dokument unterzeichnet, das 70 Best-practice-Empfehlungen umfasst, die den Einsatz von privaten Militärunternehmen zu regulieren versuchen. Russland gehört nicht dazu, da solche Unternehmen ja offizielle verboten sind.Soziale Basis fehltDie Wagner-Gruppe ist mittlerweile die wohl bekannteste Söldnertruppe der Welt. Das Unternehmen beschränkt sich nicht nur auf Militärdienstleistungen. Es beutet auch Gold- und Diamantenminen sowie andere Rohstoffvorkommen aus.Dennoch: Die Wagner-Gruppe mag reich und mächtig sein, doch ist sie offenbar nicht mächtig genug, um die privaten Profitinteressen ihres Chefs zu sichern und seinen politischen Ambitionen ausreichend Nachdruck zu verleihen. Sein Marsch auf Moskau ist verpufft und seine Zukunft trotz zugesicherter Straffreiheit schlecht. Was ihn zur plötzlichen Kehrtwende getrieben hat, wissen wir noch nicht. Klar ist aber, dass ihm die soziale Basis für einen Umsturz fehlte. Die russische Bourgeoisie will ihre Ruhe haben, das einfache Volk auf dem Land schätzt den starken Mann Putin, und das Prigoschin unterstützende Lumpenproletariat aus den russischen Gefängnissen und ehemaligen Armeeangehörigen war letztlich nicht stark genug. Eine lumpige Farce eben!