Interview Peter Wohlleben ist „Deutschlands bekanntester Förster“. Kritiker:innen werfen ihm vor, den Wald zu romantisieren. Haben Bäume wirklich etwas Menschliches? Das hat Jakob Augstein im Gespräch mit dem „Medienförster“ erfahren


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Ausgabe 29/2023

Peter Wohlleben im Interview: „Bäumen beim Trinken zuhören? Das geht mit dem Stethoskop“

Peter Wohlleben im Interview: „Bäumen beim Trinken zuhören? Das geht mit dem Stethoskop“

Ist nur ein unberührter Wald ein guter Wald? Und sind Bäume wirklich soziale Wesen, die sich um ihre Kinder „kümmern“ und uns Menschen daher gar nicht so unähnlich sind? Mit solchen Aussagen polarisiert Peter Wohlleben die Fachkreise. Forstwirte werfen ihm vor, den Wald zu romantisieren. Jakob Augstein hat den „Medienförster“ Wohlleben getroffen. Was ist dran am mitfühlenden Baum?

Jakob Augstein: Lieber Herr Wohlleben, wieso haben Sie ein Buch über „Waldwissen“ geschrieben? Gibt es nicht schon genug Literatur über Bäume?

Peter Wohlleben: Die Idee für das Buch hatten wir, als mich der Chefredakteur von Geo gefragt hat: Wenn du noch einen großen Wunsch zum Wald hättest, welcher wäre das? Da hab

hat: Wenn du noch einen großen Wunsch zum Wald hättest, welcher wäre das? Da habe ich wie aus der Pistole geschossen geantwortet: einen Studiengang in Ökologischer Waldwirtschaft! Die Idee geistert seit 30 Jahren in der Szene rum, weil Forstwirtschaft sehr konservativ gelehrt wird. Demnächst werden Professuren ausgeschrieben, nächstes Jahr fangen die ersten Studierenden an. Dann haben wir gemerkt: Dafür brauchen wir ein neues Grundlagenbuch. Also habe ich mit Pierre Ibisch angefangen, daran zu schreiben.Wie geht es dem deutschen Wald aktuell?Schlecht. Das hat vor allem mit der Forstwirtschaft und ihrer Präferenz für nichtheimische Nadelbäume zu tun. Die kühles, feuchtes Wetter gewöhnten nordischen Fichten und Kiefern kränkeln hier seit Jahrzehnten, der Klimawandel beschleunigt nun das Ende rapide. Sogar das erzkonservative Thünen-Institut, das dem Bundeslandwirtschaftsministerium untersteht, sagt mittlerweile: Die Fichte wird aus Deutschland verschwinden. Die Kiefer wird kurz dahinter folgen – das sind keine guten Nachrichten für Brandenburg. Insgesamt wird Deutschland 50 Prozent seiner Forstfläche verlieren.„Vom Wald her die Welt verstehen“ lautet der Untertitel Ihres Buches. Wieso?Weil der Wald so organisiert ist, dass wir uns selbst in ihm spiegeln können. Ein Baum arbeitet mit Tausenden Arten zusammen, die auf und in ihm leben. Das menschliche Gesicht funktioniert nicht anders: In jedem Follikel sitzen Milben – 0,4 Millimeter groß – und fressen den Talg weg. Das verhindert Pickel.Können Bäume bei der Anpassung an den Klimawandel helfen? Schließlich haben sie eine kühlende Wirkung.Man kann das gut mit Berlin vergleichen. Ursprünglich war Deutschland ein großer Wald. Mittlerweile haben wir nur noch zwei Millionen lose verbundene Waldschnipsel. Dazwischen: freie Fläche, die sich erhitzt. Aber die Schnipsel, insofern das Laubbäume sind, sorgen dafür, dass es in diesen Wäldern 15 Grad kühler ist im Sommer als in der Berliner Innenstadt. Diesen Kühlungseffekt von Bäumen kann man am eigenen Leib spüren: Wenn Sie an einem heißen Tag im Park sind, setzen Sie sich nicht unter einen Sonnenschirm, sondern unter einen Baum: Das kann bis zu sechs Grad ausmachen. Das liegt an der Wasserverdunstung. Eine Eiche zum Beispiel haut am Tag 500 Liter Wasser über ihre Blätter raus, das anschließend in der Atmosphäre landet. So entstehen über Wäldern Tiefdruckgebiete, es regnet und wird kühler.Ohne Bäume wird es heißer?Ja: Nach einem Kahlschlag ist es in den betroffenen Regionen zehn Grad wärmer als davor. Das zeigen Satellitendaten, die es mittlerweile für ganz Deutschland gibt.Die Agrar-Lobby möchte aber keine unberührte Natur, sondern Landwirtschaft und Viehzucht.Auf gut Deutsch sagen die immer: Wir verhungern, wenn wir Flächen abgeben für die Renaturierung. Ich habe das mal ausgerechnet: Wenn wir den Fleischkonsum reduzieren auf den Sonntagsbraten, wie das noch vor ein paar Jahrzehnten der Fall war, könnten wir in Deutschland 87.000 Quadratkilometer Wald zurückbekommen.Sie sind Vegetarier …Aber kein ideologischer! Der Punkt ist: So geht es nicht weiter. Jahrhundertelang hat es geklappt mit der Abholzung, weil die Zerstörungen lokal begrenzt waren. In den letzten 50, 60 Jahren ist die Zerstörung der Wälder exponentiell angestiegen. Nicht nur auf der Südhalbkugel. Denken Sie auch an die schrumpfenden sibirischen Wälder. Hinzu kommen die Folgen des globalen Handels: Wir beobachten seit einigen Jahren ein Eschen-Massensterben in unseren Breiten. Man wusste lange nicht, was der Grund dafür ist. Dann war klar: Es ist ein eingeschleppter Pilz aus Ostasien namens „Falsches Weißes Stängelbecherchen“.Wissen wir noch zu wenig über den Wald?Viel zu wenig. Letzten Sommer haben norwegische Forscher eine Studie veröffentlicht: In zwei Esslöffeln Buchenwald-Erde hatten sie 40.000 verschiedene Bakterienarten entdeckt. Davon sind uns längst nicht alle bekannt.Placeholder infobox-1Ich habe mal ein Buch gelesen, wo Helmut Schreyer beschreibt, wie er in einer regnerischen Nacht im Januar ‘92 einen Baum trinken hört. Ist das vorstellbar?Nach dem Winterschlaf pumpen sich Bäume tatsächlich mit Wasser voll. Aber das kann man eigentlich nur mit einem Stethoskop hören. Da müsste er schon sehr gute Ohren gehabt haben. Außerdem passiert das nur an wenigen Tagen im Frühjahr, meistens im März.Auch Ihnen werfen Kritiker vor, Bäume zu vermenschlichen.Ist doch schön, dieser Anthropomorphismus. Wissenschaftliche Sprache entmenschlicht viel zu stark. Wie wäre es zum Beispiel, wenn wir Sämlinge ab sofort als Baumkinder bezeichnen würden? Dann wären da mehr Emotionen drin. Als ich mich mit Wissenschaftlern der Uni Bonn darüber unterhalten habe, kam als Antwort: Viele Begriffe sind leider für Menschen und Tiere reserviert. Dabei weiß man aus der Forschung, dass Mutterbäume ihre Sämlinge mit einer Zuckerlösung versorgen. Das ist uns Menschen nicht so unähnlich.Wächst ein Wald von alleine nach, wenn er abgeholzt wurde?Oft klappt das noch. Ein römischer Schreiber hat mal geschrieben: Ein spanisches Eichhörnchen kann von Gibraltar bis zu den Pyrenäen von Baum zu Baum springen, ohne auch nur einmal den Boden zu berühren. Spanien bestand früher zu 85 Prozent aus Laubwald. Das ist heute nicht mehr so.Ich frage mich nur: Sizilien soll mal bewaldet gewesen sein, bis die Römer kamen und alles für ihre Schiffe abgeholzt haben. Und jetzt wächst da seit zweitausend Jahren kein Baum mehr?Die älteste Buche, die wir kennen, ist über 700 Jahre alt und steht auf Sizilien. In Südeuropa gibt es schon noch Bäume. Aber eben vor allem künstlich angepflanzte Pinien und Eukalyptus. Im Mittelmeerraum gibt es mehrere Probleme. Erstens: Es wird viel gezündelt. Auch Naturschützer beteiligen sich mittlerweile daran, weil sie sagen, ach, fackelt das doch regelmäßig ab, dann wird es beim nächsten Brand nicht so schlimm. Dadurch wird verhindert, dass der ursprüngliche Laubwald zurückkommt. Zweitens: Die Viehhaltung ist ein Problem. Meine Tochter hat eine Uni-Exkursion in die Sierra Nevada gemacht, um sich die Nationalparks anzusehen. In den Böden stecken noch die alten Wurzeln von Eichen. Aber sie können nicht wachsen, weil Schafe sie sofort wieder abweiden.Sie kriegen echt die Krise, wenn Wälder nicht in Ruhe gelassen, sondern bewirtschaftet werden.Nö, gar nicht. Ich habe auch Bücher geschrieben, die auf Papier gedruckt sind. Das sind auch geschredderte Bäume. Ich habe nichts gegen Holznutzung. Ich habe nur etwas dagegen, wenn es heißt, man muss einen Wald bewirtschaften, weil der sonst stirbt. Jürgen Bauhus hat kürzlich gesagt: „Die Selbstheilungskräfte der Natur sind ein evidenzfreies Narrativ.“ Bitte!? Bäume gibt es seit 300 Millionen Jahren. Aber die letzten 300 Jahre Forstwirtschaft sollen die Wälder jetzt besonders fit gemacht haben? War der noch nie in Brandenburg oder im Sauerland? Es ist genau andersrum: Der schönste Urwald kehrt erst dann zurück, wenn man die Flächen in Ruhe lässt. Und im besten Fall stoppt die Forstwirtschaft diesen Prozess nur, statt den Wald kaputtzumachen. Trotzdem wurde Bauhus in den wissenschaftlichen Beirat für Waldpolitik berufen.Das Forstwesen ist aus dem Militär entstanden. Merkt man das?Und wie. Viele bringen sogar ihre Hunde mit in die Uni. Wenn es regnet und da vierzig Köter im Hörsaal sind, sagen viele, oh Gott, das stinkt ja wie Sau! Bis 1922 gab es in Eberswalde eine sanftere Lehre der Forstwirtschaft, begründet von Alfred Möller. Der hatte als Erster die Idee des Dauerwaldes. Das ist eine Form der nachhaltigen Forstwirtschaft. Aber Möller ist damals aus Eberswalde so hart weggemobbt worden, dass er gestorben ist. Er liegt heute im Wald an der Hochschule begraben. Sein Nachfolger wurde Alfred Dengler. Das war ein Hardliner, der gesagt hat, alles schön in Reih und Glied pflanzen! In seinem Sinne wird teilweise noch heute Forstwirtschaft gelehrt.Was können wir tun, um den Wald zu retten?Wir müssen Flächen freimachen für Wildnis. Dadurch würden wir auch die Trockenheit bekämpfen: Unter künstlich angelegten Kiefernplantagen in Mecklenburg-Vorpommern fällt der Grundwasserspiegel, unter natürlich gewachsenen Buchen steigt er. Außerdem müssen wir den Anbau nichtheimischer Nadelhölzer verbieten, weil das die Ursachen für Waldbrände sind. Und ist Ihnen eigentlich klar, dass in Deutschland mittlerweile größere Kahlschläge erlaubt sind als im riesigen Kanada? Unsere Forstwirtschaft hat viel zu viele Rechte: Wieso darf ein Förster im Wald auch in der Brutzeit einen Baum mit Nestern darin fällen, während ich eine Strafe von 50.000 Euro kriege, wenn ich das in der Hamburger City mache? Es wird Zeit, dass wir neue Standards setzen und den Wald stärker demokratisieren.Haben Sie da Hoffnung?Natürlich habe ich Hoffnung. Die Naturlandschaften, für die Deutsche in andere Länder fliegen, könnten wir auch hier haben. Wisente und Elche inklusive! Wir könnten morgen damit anfangen.



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Von Veritatis

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