Weichenstellung Die Linkspartei sucht nach Strategien: Sie muss sich auf neue Arbeitswelten einlassen. Und muss zugleich das Feld der Ökologie den Grünen streitig machen


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Ausgabe 30/2023

Auch die Linkspartei steht vor einer Weggabelung: Aber sie hat es selbst in der Hand, welche Richtung sie einschlagen wird

Auch die Linkspartei steht vor einer Weggabelung: Aber sie hat es selbst in der Hand, welche Richtung sie einschlagen wird

Foto: Zoonar/Imago Images

Die Linkspartei steht schlecht da: Vier Prozent wieder nur bei der letzten Umfrage, und wenn dann noch Sahra Wagenknecht eine neue Partei gründet, was soll von ihr übrig bleiben? Aber warum steht sie schlecht da? Liegt es am Zerwürfnis zwischen Wagenknecht und der Parteiführung? Nein, das ist zu einfach. Selbst wenn es Wagenknecht gar nicht gäbe, wäre die Linke jetzt im Niedergang – weil sie noch nicht geleistet hat, was man von einer sozialistischen Partei erwartet.

Eine Strategiekonferenz der Linken, die sich am vorigen Wochenende in Berlin versammelte, lotete aus, wie man die Kontakte zu den Gewerkschaften stärken könne. Aber nur zu fordern, dass Arbeiter:innen gerechter bezahlt werden, oder gar sich wie die SPD auf ein paar Glanzpunkte zu be

nkte zu beschränken, wie die Höhe des Mindestlohns, würde nicht reichen. Vielmehr müssten die Veränderungen in der Arbeitswelt umfassend analysiert werden. Zum Beispiel Tarifverträge: Es werden immer weniger. 2000 galten sie für zwei Drittel der Beschäftigten, heute nur noch für die Hälfte.Der sozialdemokratische Bundesarbeitsminister Hubertus Heil bereitet deshalb ein Gesetz vor, das wieder mehr Unternehmer zu ihrer Hinnahme zwingen soll. Dahinter steht die Vorstellung, nur unternehmerische Machtentfaltung habe zu dem Einbruch geführt. Er ist aber auch Folge davon, dass nach 2000 die Mitgliederzahl der Gewerkschaften stark sank, und damit ihre Kampfkraft: von acht auf fünfeinhalb Millionen. Die moderne digitale Arbeitswelt lädt offenbar weniger als die traditionelle zum solidarischen Kampf der Beschäftigten ein. Sie verstärkt eher die Tendenz zur Individualisierung.Wo ist die Linke im Betrieb?Darauf gilt es eine Antwort zu finden. Es hängen ja auch andere neue Phänomene damit zusammen, so die Ausbreitung der Homeoffice-Arbeit, die wiederum den Trend zur „Vertrauensarbeit“ begünstigt, das ist eine Arbeitsorganisation, in der es nicht darum geht, die Zeit bis zum Arbeitsende abzusitzen, sondern um die Erledigung vereinbarter Aufgaben. Logischer Schlusspunkt sollte die Vier-Tage-Woche sein, denn während das traditionelle Absitzen nicht einmal zur Hälfte mit produktiver Arbeit gefüllt wird, wie Studien gezeigt haben, kommt es bei der „Vertrauensarbeit“ zu keiner Zeitverschwendung. Es gibt freilich eine andere Form der Vereinzelung, die der Paketausträger etwa, die mit Individualisierung nichts mehr zu tun hat. Auch ändern die neuen Phänomene nichts daran, dass alte Probleme weiterbestehen, wie die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen oder von Stammbelegschaften und Leiharbeiter:innen.Das alles zusammenzudenken, wäre Aufgabe der Linken. Vor einigen Jahren hat es Anläufe gegeben, unter dem Stichwort „Neue Klassenpolitik“. Der frühere Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger, der vorher die Politik der WASG mitgestaltet hatte, jener gewerkschaftlich orientierten Partei, die sich 2007 mit der PDS zur Linken zusammentat, formulierte es als Kampfziel: das „Neue Normalarbeitsverhältnis“. Auch daran, dass Menschen heute nicht mehr lebenslang in einer Firma arbeiten, hätte es sich zu bewähren. Was ist daraus geworden?Grundsätzlich ginge es darum, die Organisationsform neu zu erfinden, die den Individualisierten oder Vereinzelten das solidarische Kämpfen ermöglicht. Wenn sich die Kämpfe nicht mehr wie früher am gemeinsamen Arbeitsort entzünden, können sie doch von der gemeinsamen Aufgabe herrühren, die man sich gibt, und das muss nicht nur die mit den Unternehmern vereinbarte sein. Man kann auch für inhaltlich gute Arbeit gemeinsam eintreten, die sich zum Beispiel an ökologischen Maßstäben misst.In den Betrieben ist die Linke kaum präsent, liegt darin das Problem? Angesichts der neuen Arbeitswelt wäre Basisarbeit in den Wohnvierteln vielleicht noch wichtiger. Dass es der Linken um Ökologie geht, macht sie seit Langem deutlich, und das ist gut so. Es könnte aber deutlicher werden, dass ökologische Politik keineswegs – wie Wagenknecht den Eindruck erweckt – auf einem anderen Blatt steht als dem, das die Interessen der arbeitenden Menschen verzeichnet. Denn zu diesen gehört, dass gesellschaftliche Bündnisse den Erfolg von Kämpfen in der Arbeitswelt verbürgen. Ganz abgesehen davon, dass die Gewerkschaften schon selber für ökologische Ziele eintreten: Wenn es von den Grünen immer heißt, sie machten es ihrer Klientel recht, einer wohlhabenden Mittelschicht, was ist denn schlecht daran, dass ökologische Ziele auch dort auf fruchtbaren Boden fallen – und könnte das die Linke nicht womöglich besser nutzen, als es die Grünen vermögen? Sie könnte Mittelschicht und Arbeitende über die ökologischen Ziele zu verklammern suchen.Wenn Wagenknecht auf die Mittelschichten zu sprechen kommt, sieht sie den „Lifestyle“ und ärgert sich. Aber wenn Menschen sich individualisieren, rückt eben, was man so bezeichnet, in den Vordergrund. Und wie gesehen, ist das eine Tendenz, deren Ursache in der Produktionsweise liegt und die gerade auch in der Arbeitswelt sich ausbreitet. Wenn zum Beispiel 2018 bei „Unteilbar“, der antirassistischen Großkundgebung, irgendeine Teilnehmerin eine ausgefallene Frisur und überhaupt ein bemühtes Outfit hatte, wer sagt denn, dass es keine Arbeiterin war? Dem steht nicht entgegen, dass traditionelle Verhältnisse weiterwirken: Die Beschäftigten bei Tesla in Brandenburg hören nicht so gern, dass ihre Arbeit ökologische Probleme aufwirft, dieser Konflikt zieht sich auch durch die Linke – aber es ist kein Konflikt zwischen Arbeiter:innen und Mittelschichten.Um den Bogen ganz zu begreifen, der von der Arbeitswelt zur Ökologie führt, müssen wir unsere Betrachtung über die gewerkschaftliche Ebene noch hinausführen. Denn was schon die PDS hätte leisten sollen, was aber auch die Linke nicht leistet, ist die Erarbeitung des Entwurfs einer neuen Gesellschaft jenseits der kapitalistischen, nachdem der Versuch mit dem sowjetischen Modell auch in der DDR gescheitert ist. Man greift den Kapitalismus aber nicht an, indem man nur auf „die Konzerne“ zeigt. Man muss vielmehr studieren, in welchem Stadium sich die kapitalistische Produktionsweise gerade befindet, und stößt dann eben auf die ökologische Krise als deren prägendes Merkmal. Was Kapitallogik ist, hat Karl Marx so definiert: „Das Kapital als solches setzt nur einen bestimmten Mehrwert, weil es den unendlichen nicht at once setzen kann; aber es ist die beständige Bewegung, mehr davon zu schaffen.“ Dass sich diese „beständige Bewegung“ über alle Grenzen ökologischer Verträglichkeit hinwegsetzt, konnte bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts noch nicht auffallen. Dann setzte der Konsumismus ein, breitete sich aus und führt heute zur Zerstörung des Planeten.Besserer statt kein KonsumDer Konsumismus ist die Antwort des Kapitals auf den von Marx so bezeichneten tendenziellen Fall der Profitrate: Die lebendige Arbeit, die sich allein ausbeuten lässt, damit Mehrwert erzielt wird, spielt im digitalen Maschinenpark eine immer geringere Rolle; um trotzdem immer mehr Mehrwert anhäufen zu können, muss die pure Anzahl der Konsumprodukte, auch unnützer, immer gigantischer gesteigert werden. Indem die Menschen im Maß, wie sie Geld verdienen, sich das gern gefallen lassen, kommt es zum Konsumismus, der nichts anderes als die faktische Basis eines Bündnisses der konsumierenden Menschen mit „den Konzernen“ ist. In der Niederlage der DDR zum Beispiel war es ausschlaggebend, denn deren Bürger:innen haben sie nicht verteidigt, haben sich vielmehr zum westdeutschen Staat der Konzerne hingezogen gefühlt. Es wäre die Aufgabe der Linken, dieses Bündnis zu sprengen, das heißt aber, sie muss an einer Umorientierung der Bürger:innen arbeiten. Denn nur wenn diese sich gegen „die Konzerne“ wenden, kann es auch der Staat.Die Umorientierung sollte nicht als Propagierung von Konsumverzicht verstanden werden, sondern gerade umgekehrt eines besseren Konsums. Das setzt voraus, dass bessere Produkte auch durchgesetzt werden können, dazu aber ist nicht isolierten Einzelnen etwas zu empfehlen, sondern die Menschen müssen – auch hier – vereint auftreten können, am besten in der Form, dass über ökonomische Alternativen demokratisch abgestimmt wird. Das wäre auch die gebotene Kampflinie der AfD gegenüber, die den Menschen einreden will, es ginge ihnen besser, wenn autoritär regiert würde. Braucht man wirklich eine Sahra Wagenknecht, um der AfD zu trotzen? Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Wenn Wagenknecht eine neue Partei gründet, wird das die Linke zunächst schwächen, es ist aber vor allem eine Chance.



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Von Veritatis

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