Porträt Alice Gruias Serie „Lu von Loser“ mit der Regisseurin selbst in der Titelrolle überzeugt auch in der zweiten Staffel – die Zuschauer:innen erwartet schwarzer Humor und ein ehrlicher Blick auf das Leben einer Alleinerziehenden


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Ausgabe 30/2023

Mal den Helikoptermodus runterfahren: Lu (Alice Gruia) unterweegs mit Tochter Berta

Mal den Helikoptermodus runterfahren: Lu (Alice Gruia) unterweegs mit Tochter Berta

Foto: Thorsten Schönrade/ZDF

Als Alice Gruia nach der Premiere der zweiten Staffel ihrer „Sadcom“ Lu von Loser im Rahmen des Kölner Seriencamps im Juni die Bühne betritt, ist ihr die Erleichterung sichtlich anzumerken. Sie holt ihr Team nach vorne, dankt jedem und jeder Einzelnen und badet im Applaus. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer unerwarteten Erfolgsgeschichte.

Schon die erste Staffel rund um die ungeplant schwangere Musikerin Lu, die wieder bei ihrer Mutter in Köln einziehen muss, nachdem sie sich mit ihrer Band zerstritten hat, war eine Überraschung, auch für Lus Schöpferin Gruia selbst. 1983 geboren und in Bonn aufgewachsen, absolvierte sie eine Schauspielausbildung am Kölner Theater der Keller und bildete sich in New York, Paris und Sydney weiter. Al

d Sydney weiter. Als Schauspielerin ist sie beispielsweise in der Vox-Erfolgsserie Club der roten Bänder zu sehen.Die Idee zu Lu von Loser hatte Gruia 2013, kurz nach der Geburt ihrer ersten Tochter, als sie viel Zeit auf Spielplätzen verbrachte und mit einer Schar unterschiedlichster Elterntypen konfrontiert war. Aber erst als sie Ende 2019 zum zweiten Mal schwanger ist, klopft diese Lu wieder bei ihr an: „Ich hatte damals einen Langfilm geplant, aber mir war klar, mit einem Baby wird das erst mal nix. Ich wollte mir selbst eine Aufgabe geben, statt in eine lange Pause ohne Plan zu gehen“, erinnert sie sich.Anfang 2020 startet der Dreh, nahezu ohne Budget, und dann kommt auch noch die Pandemie. Die Schwangerschaft verläuft aber problemlos, Gruias wachsender Bauch ist Teil der Handlung. In acht kurzen Folgen gelingt es Gruia, die Autorin, Regisseurin, Produzentin und Protagonistin ist, ziemlich viele Tabus anzureißen, die man in dieser pointierten und schwarzhumorigen Form selten im deutschen TV gesehen hat. Regretting Motherhood, Schwangerschafts- und Wochenbettdepression, aber auch allgemein feministische Themen flicht die Serie lässig in die Handlung ein.Hinzu kommt, dass diese Lu eine ungewöhnliche Heldin ist. Zynisch, verschlossen und mit jeder Menge Wut auf die Welt und sich selbst, was schon im Piloten deutlich wird: Bei einer Gruppentherapiesitzung sollen die anderen Teilnehmer*innen im Rollenspiel Aspekte aus Lus Leben agieren. Alle schubsen einander, weinen, schreien sich an, irgendwann legt sich Musik über die wilder werdende Interaktion. Lu sieht dem Treiben zu und bemerkt: „Mein Leben: ein Theaterstück. Eine Farce. Und ich guck zu. Irgendwo in der letzten Reihe, wo man nicht alles mitbekommt.“Ich treffe Alice Gruia zum ersten Mal im Januar via Zoom zum Interview. Da ist die zweite Staffel Lu von Loser schon abgedreht. Sie erzählt von ihrer vagen Hoffnung 2020, die Serie einem Sender oder Streamingdienst anzubieten. In den letzten Drehtagen kam dann tatsächlich das ZDF an Bord, was die Postproduktion erleichterte, eine Auswertung im TV sowie in der Mediathek ermöglichte und an eine zweite Staffel denken ließ. Ein öffentlich-rechtlicher Sender und die Hamburger Produktionsfirma Letterbox als Rückendeckung, das bedeutete für den kreativen Prozess: mehr Geld und Zeit für die Stoffentwicklung, längere Episoden und mehr Locations.Besonders wichtig war Gruia dabei auch, ihre Vorstellung von familienfreundlichem Drehen umsetzen zu können. „Wenn man solche Themen anspricht, muss sich das auch in der Produktion niederschlagen.“ Für die Praxis bedeutete das eine Arbeitswoche mit vier statt der üblichen fünf oder mehr Drehtage. Kostüm- und Szenenbild mussten aber auch außerhalb der Drehzeiten arbeiten, so wie Gruia selbst, die in ihren unterschiedlichen Rollen ständig gefordert war. „Ich bin aber optimistisch, dass familienfreundliches Drehen ein Konzept mit Zukunft ist, auch weil die jungen Leute nicht automatisch bereit sind, die früher selbstverständlichen Arbeitsbedingungen zu akzeptieren“, argumentiert sie.Als sie sich im Sommer Zeit für ein zweites Gespräch nimmt, ist sie gerade auf Familienbesuch in England. „Kein Stress, die sind gerade alle unterwegs, ich bin hier allein und habe Zeit“, begrüßt sie mich entspannt. Gruia wirkt wie ein Mensch mit Plan, in sich ruhend und trotzdem voll dabei. Ganz anders als Lu, die sie als persönliche, nicht aber autobiografische Figur versteht. Sie wollte schon früh auch hinter die Kamera: 2009 zog sie nach Australien und drehte den mittellangen Dokumentarfilm Rodicas. Sie porträtiert darin ihre Großmutter Rodica und deren beste Freundin, die genauso heißt und ebenfalls aus Rumänien stammt. Die sehr unterschiedlichen Frauen lachen und streiten wie ein altes Ehepaar, auf das die Enkelin einen so zärtlichen wie ehrlichen Blick richtet.Emotionaler SprengstoffIhr Spielfilmdebüt Seid einfach, wie ihr seid, mit dem sie im Januar beim Max-Ophüls-Filmfestival reüssierte, treibt familiäre Konflikte auf die Spitze: In dem pseudodokumentarischem Kammerspiel will Filmstudentin Willie das erste Wiedersehen zwischen ihrer Mutter und ihrem Vater seit 25 Jahren für ihren Diplomfilm dokumentieren. Wie viel emotionaler Sprengstoff in dieser Begegnung steckt, ahnt sie nicht. Der Vater zog sie auf, nachdem die Mutter die Familie verlassen hatte. Die Beobachtung durch die Kamera im Film wirkt wie ein Brennglas, unter dem alte Narben aufreißen. All die Widersprüche, Verletzlichkeiten und der Schmerz, die dem dysfunktionalen Familienkonstrukt von Natur aus innewohnen, aber auch Liebe, Vergebung und Vertrautheit, die im besten Fall damit verbunden sind, klingen hier an.Auf ihr Faible für das Thema Familie angesprochen, überlegt Gruia kurz. „Mich interessieren enge Beziehungen und ich möchte ehrliche Geschichten erzählen. Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst nicht aus einer heilen Familie stamme. Aber auch in den klassisch-heilen Familien schlummert ja oft etwas unter der Oberfläche.“ Lu von Loser ist selbst eine Art Family Business. Die junge Lu wird von Gruias Tochter Josephine gespielt, Lus Tochter Berta ist mit Gruias Jüngster Bonnie besetzt: „Ich hatte anfangs Zweifel, ob das okay ist und funktioniert. Schließlich konnte ich Bonnie nicht fragen, ob sie vor die Kamera will. Aber es war auch konsequent, weil sie auch in der ersten Staffel dabei war. Und ich weiß auch nicht, wie das mit einem fremden Kind in dem Alter hätte gehen sollen“, begründet sie ihre Entscheidung.Diese Vertrautheit transportiert sich in den gemeinsamen Szenen, und Berta/Bonnie wirkt wie ein ziemlich fröhliches Kind, dessen schelmische Mimik Gruia auch als Regisseurin gut einzufangen weiß. Bei ihrer älteren Tochter Josephine sei das anders gewesen. Die habe schon bevor sie sprechen konnte gern performt. Gemeinsam wagen Mutter und Tochter den Sprung ins kalte Wasser, als Josephine in einigen Szenen in Staffel eins die junge Lu verkörpert – und bauen ihre Rolle in der zweiten Staffel aus. „Beim Dreh war das manchmal herausfordernd, weil es etwas anderes ist, wenn die eigene Mutter Regie führt und Anweisungen gibt. In der Schule oder vor Fremden ‚bemühen‘ sich Kinder meist etwas mehr als bei den eigenen Eltern“, erinnert sie sich lachend. Komplettiert wird das Familienunternehmen dadurch, dass Tom Ashforth – Gruias Partner und Vater ihrer Töchter – für die Musik verantwortlich zeichnet und Lus Ex-Bandkollegen spielt.Die zweite Staffel setzt zwei Jahre nach der Geburt von Lus Tochter Berta ein. Lu versucht allmählich, den Helikoptermodus runterzufahren und ihre eigenen Bedürfnisse wiederzuentdecken. Das betrifft auch ihre Libido, ein Love Interest darf da nicht fehlen. Rundherum nerven Kindsvater Timo (Jonas Baeck), Lus Mutter (Martina Eitner-Acheampong) sowie andere Eltern noch immer. Die einzelnen Folgen sind länger, wodurch sich die Narration besser entfalten kann. Inhaltlich glattgebügelt ist die zweite Staffel aber nicht, da ist sich Gruia treu geblieben. „Wenn man plötzlich mehr Geld zur Verfügung hat, denkt man kurz, man müsste was ganz Krasses oder etwas völlig anderes machen. Aber ich wollte einfach mehr in die Tiefe gehen und dafür sorgen, dass das Publikum Lu besser kennenlernt“, erklärt sie. Auch am Dialogwitz und der absurden Komik hat sich nichts geändert, allein Lus Tagträume kommen extravaganter daher. Wenn wir Lu nach ein paar Wochen erzählter Zeit wieder verlassen, ist ihr Leben nicht auf wundersame Weise perfekt, aber sie ist ein paar Schritte weiter.Ob wir Lu wiedersehen werden? Alice Gruia lächelt. Einige liegengebliebene Ideen treiben sie um, konkrete neue Projekte gibt es aber noch nicht. Einen Wunsch hat sie doch: „Es wäre aber auch schön, einfach mal wieder irgendwo mitzuspielen und dann zu gehen, ohne gleich für alles verantwortlich zu sein.“Placeholder infobox-1



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Von Veritatis

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