Psychologie Können wir aus der ewigen Genervtheit raus? Unsere Autorin macht einen Meditationskurs und fragt, warum viele Menschen gegenüber Spiritualität eigentlich so skeptisch sind
Haben sie hier das Glück gefunden?
Illustration: der Freitag
„Du promovierst in Glück?“, fragt der Freund, ein reicher Privatier Anfang 60. Er beschäftigt sich nicht erst seit der Trennung von seiner Frau quasi hauptberuflich mit der ganzen Themenpalette menschlicher Existenz. Zurzeit befindet er sich in einem Seminar für Persönlichkeitsentwicklung, das – tja – mehrere tausend Euro kostet.
Promovieren – soll natürlich bedeuten, Glück ist eine Wissenschaft für sich, manche „forschen“ ihr Leben lang, als Fachgebiet wird das Thema mitunter jedoch grandios überschätzt. Warum? Weil die meisten Menschen, wenn sie nur ein paar Dinge in ihrem Alltag beherzigen würden, sehr viel zufriedener wären. Jeder weiß das. Wer mal wieder neueste wissenschaftliche Erken
iche Erkenntnisse, etwa zum Effekt von Meditation auf das persönliche Wohlbefinden, für diese alte Erkenntnis braucht – Bestsellerautor Bas Kast hat sie in seinem Buch Kompass für die Seele unterhaltsam versammelt.Zwischendurch wollte ich die „Doktorarbeit“ daher schon mehrmals aus dem Fenster werfen, wobei dann ja auch mein Laptop mitgeflogen wäre. Denn: Mein neuer Selbstversuch im Glücklich(er)sein, um den es hier auch gehen soll, stockt schon wieder. Es ist Tag neun von Deepak Chopras dreiwöchigem Meditationskurs, ich bin aber erst bei Tag sechs. Täglich eine Einführung über etwa fünf Minuten, dann 15 Minuten Meditation, und ich komme nicht hinterher. Ich weiß doch, dass Meditation nützt. Mein Schweinehund seufzt.Deepak Chopra. Für mich war der Mann zuerst einer dieser Gurus, also was unsereins mit einem Guru assoziiert: Vorsicht, das ist vielleicht ein Scharlatan, dem du jetzt gleich 89,90 Euro paypalen sollst. Deepak (die Community duzt sich) wurde mir jedoch von einer spirituell unverdächtigen, seelenverwandten Freundin empfohlen, sie besucht seine Seminare seit Jahren. Und Deepak ist weltberühmt!Den „Kaiser der Seele“ nennt ihn das Magazin Time. Der 1946 in Neu-Delhi Geborene ist außerdem Internist und Endokrinologe, „verbindet wie kein Zweiter westliche Wissenschaft mit östlicher Weisheit“, informiert mich das Internet. Ein-, zweimal im Jahr bietet Deepak ein kostenloses Seminar an, die Freundin erinnert mich dann, das Motto dieses Mal also „Erweitere dein Glück“.Ich komme mir blöd vorIch habe schon öfter meditiert und zu meditieren versucht, in einem Studio im Kiez, mit anderen. Die wenigen Männer, sehnige Schultern, kerzengerade im Schneidersitz, wirkten oft, wie soll ich sagen, ein wenig überfokussiert und verspannt. Genau so stelle ich mir die Yoga-Typen in Emmanuel Carrères tollem autobiografischen Yoga-Roman vor, in dem der französische Schriftsteller von seinem emotionalen Ausnahmezustand berichtet – intellektuell, spöttisch, mit existenzieller Dringlichkeit. Wer den Roman nicht kennt: Das Identifikationspotenzial ist groß.In schlaflosen Nächten suchte ich eine Meditation auf Youtube, was nie funktioniert, denn womit ich mich schwertue, sind deutsche Sprecher. Die Stimmen sind so betont beruhigend, enervierend ist das. Frauen gehen gar nicht. An Deepaks Stimme liegt es also nicht, er spricht ein sanftes Englisch mit sonorem Klang, dazu ein, wie ich mir gerne einbilde, „buddhistischer Akzent“. Eine ebenso wohlklingende Stimme übersetzt seine „zentrierenden Gedanken“ zur Meditation ins Deutsche. Jetzt, wo ich so schwärme, vermisse ich tatsächlich die kleine Meditationspraxis, die ich mir bereits „erarbeitet“ habe.Und ich ärgere mich natürlich über mich selbst, weil ich nicht konsequent dranbleibe.Es sind nur etwa 20 Minuten nach dem Aufstehen, in denen es darum geht, Deepak zuzuhören und dann langsam tief ein- und auszuatmen, während man das Mantra des Tages aufsagt. Im Rhythmus bleiben, das Mantra murmeln ist schwerer als gedacht.Noch da oder gedanklich längst weitergedriftet? Besonders Linke, behaupte ich (widersprechen Sie, nur zu), tun sich allgemein schwer mit dem Konzept der Meditation. Linke erinnern mich an den Ich-Erzähler aus dem Roman, an dessen Zerrissenheit zwischen Intellekt und Emotion. Linke fremdeln, weil Meditation niedrigschwellig abläuft, jedoch Kontrolle abzugeben ist. Weil wir Passivität fürchten, wo wir sonst auf Angriff und Attacke gepolt sind und ständig die Verhältnisse ändern wollen. Vielleicht auch, weil die als verkopft bekannte Linke (verzeihen Sie die Verallgemeinerung) notorisch zuerst an andere denkt, und das ganz häufig auch ungefragt. Und, typisch: Linke müssen ständig etwas. Neulich schrieb der linke Publizist Robert Misik in dieser Zeitung: „Die Kulturkämpfe sind zu gewinnen, wenn man die Konfliktlinien richtig definiert und potenzielle Alliierte nicht ins Lager der Gegner treibt.“ Vielleicht kann ich bald am Schreibstil erkennen, ob ein Text nach einer Meditation entstanden ist. Das soll mir ChatGPT mal nachmachen.Vielleicht müssen (Entschuldigung, bin eigentlich auf Diät mit „müssen“) Linke aber eine noch kompliziertere Pille schlucken, nämlich dass Glück nicht nur in der Abwesenheit von Problemen besteht.Glück ist eine Entscheidung und erlernbarFallberichte aus Psychotherapien belegen es. Jahrelang hatte da zum Beispiel Patientin X eine chronische Krankheit, und jahrelang sagt sie: Wenn ich die chronische Krankheit nicht hätte, könnte ich endlich glücklich sein. Dann ist sie plötzlich geheilt. Aber statt glücklich zu sein, findet die Frau das nächste Problem. Weil das Problem, so paradox das klingt, zu einer Art Lebenselixier geworden ist.Nun sind Klimakrise, Migrationskrise und Kriege keine chronischen Krankheiten. Aber dass Glück nicht in der Abwesenheit von Problemen besteht, lehren die Weisheitstraditionen der Welt, das sagt Deepak Chopra mit seiner wirklich wohlklingenden sonoren Stimme.Auch die Positive Psychologie vertritt genau das als Lehrmeinung. Es gibt diese Denkschule seit über 20 Jahren, mit ihr ist ein weltweiter Psychologie-Markt mit Coaches, Bestsellern und Podcasts entstanden. Heißt auch: Hier wird sehr viel Geld verdient, weshalb sie zusätzlich einen zweifelhaften Ruf genießt. Begründet wurde die Positive Psychologie in den 1990ern vom US-amerikanischen „Glücksforscher“ Martin Seligman. Pessimisten küsst man nicht ist der Titel einer seiner Bestseller, der mich sofort „abgeholt“ hat.Nach Seligman also ist Glück eine Entscheidung, und eine optimistische Grundhaltung ist erlernbar. Was simpel und praktikabel daherspaziert, hat einen entscheidenden Haken: Die Positive Psychologie appelliert an unsere Eigenverantwortung. Worauf Linke ganz automatisch allergisch reagieren, weil, so der Vorwurf, die strukturell bedingte Ungerechtigkeit damit ausgeblendet, dem Einzelnen das Recht auf Leid abgesprochen würde.Entstanden sei mit der Denkschule eine „Glücksideologie“, behaupten ihre Kritikerinnen, wie etwa die Soziologin Eva Illouz. Sie sei eine Komplizin, die dabei helfe, den „flexiblen Charakter“ zu formen, wie der Soziologe Richard Sennett es nannte, denn solche brauche das kapitalistische System für seine Gefangenen: Unsere Anpassungsfähigkeit treibt uns an, weiterzumachen, während alles um uns herum einstürzt.Unterwerfe ich mich mit Deepak einem „Glücksdiktat“? Dafür fehlt es ja schon an Selbstdisziplin, fragen Sie meinen Schweinehund. Und warum eigentlich nicht eng bedruckte Bücher lesen und eine Meditationspraxis pflegen? Was Kritiker nämlich auch übersehen: Meditation und psychologische Ratgeber haben auch Gegenmittel gegen die Glaubenssätze des Kapitalismus im Angebot – zielen aber mitunter schneller ins Herz als so manche Streitschrift.Antikapitalistische MeditationGlück sei ein „Geburtsrecht“, sagt Deutschlands erfolgreichster Meditations-Coach Veit Lindau, so etwas wie der deutsche Deepak, nur ohne Doktortitel. Zusammen mit seiner Frau Andrea hat er ein ganzes Selbsthilfe-Imperium geschaffen. Für etwa 15 Euro monatlich kann man Teil der Familie werden, an den Online-Kursen teilnehmen. Im Frühjahr absolvierte ich bei den Lindaus ein Seminar mit dem Titel „glückswerk“. Geboten wurde der handelsübliche Mix aus Psychologie, neuesten Erkenntnissen aus der Neurowissenschaft, Meditation, Ernährungstipps. Ich brach ab. Warum? Die Ironie war: Ich kriegte zu viel Wissenswertes für mein Geld. Das Glück wurde mir anstrengend.Ob seine Seelenheilangebote nur etwas für Besserverdienende seien, wurde Lindau einmal gefragt. „Ist schon komisch, niemand kommt auf die Idee, einem Bäcker vorzuwerfen, dass er Geld mit dem Appetit von Menschen verdient.“ Linken Theoretikern wird selten angekreidet, dass sie mit ihren Thesen beständig einen Markt bedienen und damit den Kapitalismus am Laufen halten, oder?Lindau ist in der DDR aufgewachsen, wurde in einer atheistischen Familie groß. „Ich lag nachts oft wach und habe versucht, mir vorzustellen, wie Sterben ist.“ Gerade in dieser Welt globaler Krisen und ohne Religion gebe es diese große Sehnsucht nach Spiritualität. Ich weiß so gut, was er meint.Kurz nach der Finanzkrise 2008, also kurz nachdem – gefühlt – das neue Krisen-Zeitalter begann, in dem wir bis heute herumtaumeln, traf der Soziologe Heinz Bude seinen berühmten US-amerikanischen Kollegen, den erwähnten Richard Sennett, auf einer Konferenz zum Thema Solidarität, wo der eine Rede hielt. Sennett, so erinnerte sich Bude, hatte gesagt, um die Krise zu verstehen, müsse man sich die Mentalität der verantwortlichen Akteure vor Augen führen. Woher kam sie, die Skrupellosigkeit, die Kälte? Diese „ethische Inkompetenz“ rühre von der panischen Angst her, allein zu sein. Die Angst vor dem Alleinsein mache uns unfähig zur Empathie. Mit Sennett betrachtet, kann es nicht schaden, wenn möglichst viele die eigene Leere überwinden. Meditation steigert unser Wohlbefinden und kann uns zu sozialeren Wesen machen, sogar den Schweinehund sympathischer. Erstaunlich an Deepaks Eröffnungsevent auf Youtube war, wer sich da alles zuschaltete: Es grüßte eine Barbara aus Koblenz, eine Nadine aus dem Westerwald, Peter aus Thüringen. Da waren freundliche, warme Vibes.Auch Deepaks „zentrierende Gedanken“ sind von diskreter positiver Energie: „Wir sind es gewohnt, Glück als ein Streben oder als das Gefühl zu betrachten, das wir empfinden, wenn wir etwas erreicht haben, was wir wollen. In diesen drei Wochen werden wir Glück anders angehen – innerlich statt äußerlich.“ Morgen früh geht es weiter, weiter mit dem Glück.