Es mag Menschen geben, die so mit sich im Reinen sind, dass ihnen noch nie nach impulsivem Augenrollen war, wenn es in einer aktuellen Fiktion allzu erkennbar politisch korrekt zugeht. Wenn eine Serie den Eindruck hinterlässt, nur für den Zeitgeist die Vorgaben von Diversität zu erfüllen, mit Nebenfiguren, die wie im Schaulaufen verschiedene Migrationshintergründe und sexuelle Orientierungen repräsentieren. Man kennt die Stereotype: das PoC-Mädchen, das bei Lassie mitmachen darf, aber dabei hübsch am Rand bleibt; der schwule beste Freund der chaotischen Romcom-Frau, vor allem dazu da, deren Leben „bunter“ zu machen; die Transgenderperson, die coole Lebensweisheiten von sich gibt …
Wie entkommt man der Falle, dass die Erfüllung doch
rfüllung doch eigentlich erfreulicher Diversitätsvorgaben pflichtschuldig wirkt? Authentische Geschichten erzählen, die die Figuren und ihre Identitäten ernst nehmen und differenziert betrachten, lautet die selbstverständliche Antwort. Man kann es aber auch anders machen – und brachial sämtliche Klischees aneinanderreihen, zuspitzen und schauen, was dabei rauskommt. So etwa wie die australische Krimiserie Deadloch, die für Amazon Prime Video zum sommerlichen Sleeperhit wurde.Als „feministischen Noir“ und „funny Broadchurch“ geben die beiden australischen Autorinnen Kate McLennan und Kate McCartney (keine Pseudonyme) die von ihnen kreierte Serie aus. Und schon in der ersten Szene wird deutlich, wie das wohl gemeint ist. Da stolpern zwei Teenagerinnen im Morgengrauen durchs Unterholz an einen Strand und stoßen im Sand auf eine Leiche. Die eine bleibt vor Schrecken erstarrt stehen, die andere setzt aus versehen mit ihrer Zigarette die Schamhaare der Leiche in Brand. Als später Kommissarin Dulcie Collins (Kate Box) per Telefon ihrem Vorgesetzten vom Leichenfund berichtet, spricht der von der aufregenden Abwechslung, die durch „die Nackte“ in Deadloch Einzug gehalten habe. Warum er davon ausgehe, dass die Leiche weiblich sei? Nun, bei einer „solchen Sache“ nehme man das einfach an. Er benennt damit implizit ein ganzes Krimi-Genre, bei dem nackte Tote immer Frauen sind, exploitativ-voyeuristisch eingesetzt, um den Helden-Charakter der meist ausschließlich männlichen Ermittler herauszustellen.Wie Vorurteile über Geschlechterrollen die einschlägigen Krimi-Elemente strukturieren, zieht sich als subversives Thema durch die Serie. Wobei nicht nur chauvinistische Vorgesetzte bloßgestellt werden; auch die Ermittlerinnen selbst greifen auf Profiler-Beschreibungen zurück, die hinter Giftmorden stets weibliche Täterschaft vermuten oder davon ausgehen, dass männliche Täter dazu neigen, mit ihren Verbrechen Aufmerksamkeit zu erregen, während weibliche mehr private Rache üben. Wie die Handlung mit vielen gelungenen Überraschungen belegt, führen selbst die besten solcher konzipierten Vorurteile immer nur begrenzt ans Ziel.Dass im Lauf der Serie die Männer des Städtchens in einen Bus gesetzt werden müssen, um vor einer mutmaßlichen Serienkillerin in Sicherheit gebracht zu werden, ist samt tränenreicher Abschiedsszenen bei der Abfahrt eine köstliche Persiflage auf vergleichbare Szenen in Kriegs-, Katastrophen- und Western-Filmen. Wobei die zurückbleibenden Frauen sich hier eben nicht zur bewaffneten Posse zusammenschließen, um die Verbrecherin dingfest zu machen, sondern bei einem gemeinsamen Workshop die bösen Vibes aus dem Körper zu atmen versuchen.Es geht in Deadloch wie gesagt alles andere als subtil zu. Zu der ersten Leiche gesellen sich erst zwei, dann drei, dann viele – und alle stellen sich als verschieden geartete Beispiele toxischer Männlichkeit heraus: serielle Betrüger, übergriffige Väter, Voyeure und Onanisten. Kein Wunder also, dass zunehmend Frauen verdächtigt werden, zumal Deadloch als gentrifiziertes Provinzstädtchen eine große lesbische Community angezogen hat. „Du siehst den Wald vor lauter Lesben nicht!“, bekommt Ermittlerin Dulcie einmal von einer weiblichen Kollegin vorgehalten.Dulcie, die zentrale Heldin, ist gut erkennbar das weibliche Pendant eines „straight guy“. Eingeführt wird ihre Figur jedoch beim Morgensex mit Ehefrau Cath (Alicia Gardiner), die sich selbst bald als außerordentlich anhänglich herausstellt und gern darauf besteht, dass Dulcie auf ihre Work-Life-Balance achtet.Um ihren Fall zu lösen, bekommt Dulcie Hilfe vom australischen Festland zugeteilt. Natürlich vermutet sie hinter dem Namen Eddie Redcliffe zunächst einen Mann, wird dann aber selbst mit einem Rollentausch konfrontiert: Eddie (Madeleine Sami) ist eine Frau, allerdings eine, die wiederum selbst wie eine Männerkarikatur auftritt.Diese Eddie kann einem fast zu viel werden. Sami spielt sie als Turbo-Version eines groben Cowboys, die selbst in einer Satire wie Deadloch fehl am Platz wirkt. In Shorts und T-Shirt flucht sie vor sich hin und versucht den Fall auf Biegen und Brechen zu lösen. Aber während man sich an ihrem Auftritt stört, kann man zugleich kritisch hinterfragen, wie viel diese Irritation wiederum mit den eigenen Vorurteilen und Ressentiments gegenüber gewohnten Männer- und Frauenrollen zu tun hat.Ihren speziellen Reiz verdankt die Serie dem fiktiven Ort der Handlung, einem Städtchen auf Tasmanien, welches bis in die 1990er Jahre hinein für seine zutiefst schwulenfeindliche Politik berüchtigt war. Seither gab es einen politischen Umschwung – Tasmanien verfügt heute über eines der liberalsten Selbstbestimmungsgesetze der Welt –, der vielerorts mit einem Prozess der Gentrifizierung einherging, wie er in Deadloch nun ironisch aufs Korn genommen wird. So unterbricht die Mordserie ein von der neu gewählten Bürgermeisterin – ihr Konkurrent nennt sie verächtlich „Mayorette“ – initiiertes Festival, dessen Veranstaltungen in sich eine Satire auf den modernen Kunstbetrieb darstellen inklusive der Vorführung eines Vier-Stunden-Films mit dem Titel Poseidons Uterus.Eingebetteter Medieninhalt