Von den Männern fürs Grobe, an denen es in der Umgebung des russischen Präsidenten nicht mangelt, unterscheidet sich Sergej Naryschkin durch Manieren und Mehrsprachigkeit. Mit einer russischen Fernsehjournalistin, die für den staatlichen TV-Kanal Rossija ein Porträt über ihn drehte, vereinbarte er 2018 eine Einstiegsszene. Darin begrüßte er sie in einem Park mit „Bonjour Madame“, in der Hand eine französische Zeitschrift. Alles erinnerte ein wenig an die erprobten Muster eines Agentenfilms. Naryschkin, Direktor des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR (Sluschba Wneschnei Raswedki) spricht fließend Französisch – und dies als einziges Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates.

Insofern wirkt er zuweilen wie der Feingeist

Feingeist unter Putins Frontmännern. Zu dem am 23. August mit einem Flugzeug abgestürzten Söldner-Boss Jewgenij Prigoschin hat sich Naryschkin zu dessen Lebzeiten nie öffentlich geäußert. Doch dass allein dessen Wortwahl bei ihm auf Widerwillen stieß, darf als sicher gelten. Nach dem Tod des zuletzt noch in Afrika aktiven Chefs der Wagner-Gruppe sind Naryschkins Wissen und Kenntnisse in Moskau mehr denn je gefragt. Denn der Ausfall Prigoschins hat eine Lücke gerissen, die in Afrika auch Naryschkin und sein Dienst füllen werden. Die französischsprachigen Länder des Kontinents sind für Moskau von zentraler Bedeutung. Wie die Chancen für Russland dort derzeit stehen, konnte Naryschkin in der vergangenen Woche der Pariser Zeitung Le Monde entnehmen. In der äußerte sich Sylvie Baïpo-Temon, Außenministerin der Zentralafrikanischen Republik. Die ehemalige Finanzanalystin der Pariser Großbank BNP Paribas bekannte sich ausdrücklich zur Freundschaft mit Moskau. Ihre Aussage: „Russland ist ein Partner.“Französisch hat Naryschkin ab 1978 auf einer Schule der KGB-Auslandsaufklärung gelernt, die auch Wladimir Putin absolvierte. Diesen lernte er 1980 kennen in der für Auslandsaktivitäten zuständigen KGB-Verwaltung in Leningrad. In der Stadt an der Newa wurde Naryschkin 1954 geboren und besuchte dort eine Schule mit künstlerischer Ausrichtung. Mit der Kunst der Spionage und der französischen Sprache hielt es Naryschkin dann mutmaßlich in den 1980er Jahren als Mitarbeiter der Wirtschaftsabteilung der sowjetischen Botschaft in Belgien.Nach dem Ende der Sowjetunion 1991 war er in St. Petersburg unter dem Vizebürgermeister Putin für Wirtschaft zuständig. Putin vertraute dem so geschmeidigen wie loyalen Weggefährten später Spitzenfunktionen an: 2004 bis 2008 leitete Naryschkin in Moskau den Apparat der Regierung, danach bis 2011 die Präsidentenadministration. Darauf folgten fünf Jahre als Vorsitzender des Parlamentes, der Staatsduma. Diese Aufgabe kam Naryschkins Neigung entgegen, vor Fernsehkameras zu brillieren. Im September 2016 gab ihm Putin überraschend den Auftrag, er solle den Auslandsgeheimdienst SWR übernehmen. Parallel zu diesem Vollzeitjob agiert Naryschkin seit gut einem Jahrzehnt als Vorsitzender der Russischen Historischen Gesellschaft, für die er Vorlesungen hält und Ausstellungen eröffnet.Als Geheimdienstler muss er bisweilen unbequeme Wahrheiten mitteilen. Sein Dienst hat täglich beim Präsidenten Vortrag zu halten, auch am Wochenende. Wie es mit Naryschkins Mut gegenüber der politischen Führung ausschaut, ließ sich am 21. Februar 2022 in einer vom Fernsehen übertragenen Sitzung des Sicherheitsrates erfahren. Dabei ließ Putin die Anerkennung der „Donbass-Volksrepubliken“ beschließen, quasi als Auftakt zum Militärschlag gegen die Ukraine. Da verschränkte einer nervös die Hände und bat darum, den westlichen „Partnern eine letzte Chance“ zu geben. Man solle „Kiew dazu zwingen, die Minsker Vereinbarungen zu erfüllen“. Ein ironisch lächelnder Putin reagierte darauf mit der Frage: „Wollen Sie vorschlagen, einen Verhandlungsprozess zu beginnen?“ Bei der Antwort verhedderte sich Naryschkin in seiner Argumentation und erklärte schließlich, er unterstütze den Beitritt der Donbass-Republiken in die Russische Föderation. Darauf entgegnete ein kopfschüttelnder Putin, darüber rede man nicht. Schließlich stimmte der SWR-Chef der Anerkennung der Donbass-Republiken zu. Der zum Krieg entschlossene Putin schien von den Bedenken des SWR-Direktors genervt zu sein.Vor der drohenden Eskalation hatte Naryschkin am 10. Februar 2022 in einem wenig beachteten Interview mit der Moskauer Tageszeitung Moskowski Komsomolez gewarnt. Auf die Frage des Chefredakteurs, ob er als Chef des Auslandsgeheimdienstes gegen den Krieg sei, hatte Naryschkin geantwortet: „Ohne jeden Zweifel.“ Denn die Aufgabe seiner Behörde sei es, „die Entwicklung des Landes in jeder Hinsicht zu fördern“. Aber, so Naryschkin: „Der Krieg zerstört das alles.“ Der SWR-Chef meinte, die politische Führung in Kiew wolle „Russland in einen innerukrainischen Konflikt hineinziehen“. Seine daraus folgende Empfehlung lautete: Russland wäre besser beraten, sich nicht militärisch in der Ukraine zu exponieren. Bei der Suche nach mehr Einfluss in Afrika hingegen liegt Naryschkin jetzt wieder voll auf Wladimir Putins Linie.



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Von Veritatis

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