Verteidigungsrede Der Ton ist rauer, die Lage im Land unsicherer, der Umgang mit politischen Kabarettisten verständnisloser geworden, wenn sie „dem Volk aufs Maul schauen“, findet unser Autor


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Ausgabe 35/2023

Aufs Maul schauen muss aber halt auch wer den Großkopferten mit den schärfsten Zähnen

Aufs Maul schauen muss aber halt auch wer den Großkopferten mit den schärfsten Zähnen

Foto: Jan Hakan Dahlström/Planpicture

Erst wurde ihm nachgerufen: Du linke Sau!, dann hieß es: Du rechtes Schwein! Enden werde er, sagt Uwe Steimle über sich selbst, als veganes Schnitzel. Steimle, der semmelblonde Sachse, gehört zu den deutschen Kabarettisten, deren Satire seit einigen Jahren verdächtigt wird, rechts bis rechtsextrem zu sein. Am dramatischsten wurde es, als das Bündnis „Halle gegen rechts“ anlässlich eines Auftritts von Steimle in Halle im Juni 2022 seine Gesinnung analysierte und zu dem Schluss kam: Der Mann ist gefährlich. Im Mai dieses Jahres wiederholten sich Auftritt und Kritik: Der Mann bleibt gefährlich. Uwe Steimle erzählt das, was auch Neonazis, Faschisten und andere extrem Rechte erzählen, sagen seine Kritiker über ihn. Die Anklagere

erede gegen ihn bezahlte übrigens – ausgewiesen mit seinem Logo – das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frau und Jugend.Nun, Uwe Steimle ist politischer Kabarettist! Satire braucht Zuspitzung. Ihr Geschäft ist die Provokation, und Steimle lebt davon. Er produzierte T-Shirts – die er Nicki nennt – mit der Aufschrift „Kraft durch Freunde“ und „Ami go home“, benutzte die Parole „Wer Grün wählt, wählt Krieg“, bezweifelt Deutschlands Souveränität gegenüber den USA und nennt Deutschland besetzt. Soll man all seine satirischen Hiebe erklären, um Steimle aus der rechten Ecke zu holen? Sagen, dass er sich zu „Kraft durch Freunde“ durch den von den Nazis ins KZ gebrachten Kabarettisten Werner Finck legitimiert sah, dessen Motto eben „Kraft durch Freunde“ hieß? Muss man erklären, dass er mit der Aufschrift „Ami go home“ nur zitiert, was in den 1980er Jahren im Kampf gegen die Nach-Nachrüstung durch Pershings und SS-20 auf Tausenden T-Shirts stand? Dass er die Losung jetzt noch einmal in Stellung bringt, nimmt ihm der deutsche Amerika-Freund übel. Braucht es, um Steimles Zündeln zu verstehen, Hintergrundwissen seines Publikums? Beim Eifer der Grünen, ihren Pazifismus im Ukraine-Krieg zu versenken, fühlt er sich an Joschka Fischers Ja zum Kriegseinsatz der Bundeswehr im Kosovo 1999 erinnert.Muss man der – zugegeben – steilen These Steimles von der Besetzung Deutschlands durch die USA auch sein Argument hinzufügen, dass auf deutschem Boden mindestens 20 amerikanische Atomraketen lagern, die nur die USA bedienen können? Außerdem rüstete Washington schon vor dem Ukraine-Krieg gegen die Nord-Stream-Pipelines auf. Muss man Satire jetzt immer erklären? Wahrscheinlich ja.Das Ohr am StammtischWie radikal ist der Kabarettist Volker Pispers damals in seinem politischen Kabarett vorgegangen, der für den Kapitalismus schon die Grabinschrift kreiert hatte: Zu viel war nicht genug! Oder der in den Hochzeiten der Sympathie für Barack Obama an die von ihm unterzeichnete Todesliste erinnerte, auf der 3.000 von den USA zu Terroristen erklärte Namen standen. Sein Kabarett nannte immer Ross und Reiter. Pispers trat zuletzt 2016 öffentlich auf. Erst hieß es, er lege eine Auftrittspause ein, jetzt steht fest, dass er nicht auf die Bühne zurückkehrt. Pispers gab 2021 eine Abschiedsmitteilung heraus, in der er sich von Corona-Leugnern und AfD-Fans distanzierte, aber nicht von seiner Meinung, dass er die „von uns gewählten Regierenden für unfähig halte“.Die dünnste Stelle im Satire-Gebäude von Uwe Steimle ist, dass er es Volker Pispers nicht gleichtut und seinen Fans in der AfD-Führungsetage absagt. Meinungen haben kein Parteibuch. Dass er sie auf die Bühne bringt, ist Steimles Programm. Wo Meinungen Parteibuch sind, wäre Vorsicht geboten. Seine Verweigerung hat bestimmt mit Trotz und Renitenz zu tun. Es sich nicht zu einfach machen: Das ist ehrenwert, hier aber falsch.Weil seit einiger Zeit in Deutschland eine große Lust am Verbieten ausgebrochen ist, leben – scheint es – besonders Kabarettisten gefährlich. Den Empörten sei gesagt: Politische Kabarettisten machen keine Comedy. Zwischen Kabarett und Comedy gibt es einen gewaltigen Unterschied. Manchem politischen Kabarett von heute ist das Lachen im Halse stecken geblieben. Die Zeiten sind so.Offenbar wird mit Methode missverstanden. MeToo-Debatten, Flüchtlingskrise und der Kampf gegen die Pandemie haben den gesellschaftlichen Diskurs über Individualrechte, Gleichberechtigung, Inklusion, Integration und Rassismus immer stärker polarisiert. Und wo das Meinungsspektrum polarisiert ist, gibt es zu jeder Meinung eine Gegenmeinung. Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz seinen Wählern erklärt, dass die deutsche Einheit ohne die Europäische Union nie zustande gekommen wäre, dann sollte man glauben, dass unsere Zeit gut für Kabarettisten ist! Die Goldmedaille, die sich die Ostdeutschen 1989 für die friedliche Revolution verdient hatten, wird ihnen vom Hals genommen und der 1993 gegründeten EU umgehängt. Wirklich gut scheinen die Zeiten vor allem für Journalisten zu sein, die rote Linien überschritten sehen und nach Verbot rufen. Uwe Steimle erlebt es mit seinem Wechsel vom Typenkabarett zum Politkabarett. Es ist ein Politkabarett der besonderen Art.Seine Kritiker wissen auch schon welcher: Er lässt den Stammtisch sprechen, weshalb er manchem seiner Evaluierer auch als Populist gilt. Die, die den Stammtisch gehört haben wollen, haben sich an ihm festgebissen. Etwas revolutionstheoretischer formuliert, ist es die Bewegung von unten, deren Sprache und Gedanken Steimle auf die Bühne bringt. Solange die Medien bei vielen Themen nur eine Meinung kennen – Geflüchtete müssen in jedem Fall aufgenommen werden, die Gesellschaft brauchte harte Corona-Maßnahmen, man kann nur bedingungslos auf der Seite der Ukraine stehen –, hat er leichtes Spiel. Wenn Steimle in die Lücken springt, die die Medien hinterlassen, und sich zum Sprecher seines Publikums macht, ist er eben doch kein „rechter Schwurbler“, wie seine Kritiker sagen, sondern ein Mann, der dem Volk aufs Maul schaut. Nun ist dieser Griff nach Martin Luther für einen Kabarettisten sicher zu hoch, aber er lässt die Frage zu: Heißt „aufs Maul schauen“ bei Steimle: „nach dem Maul reden“? Also doch Populismus mit Lachsalven?Wer eine Karte für einen seiner Auftritte bekommen will, muss früh aufstehen und Glück haben. Deshalb sollte man statt vom Populisten nach dem Gesetz der Gewalt von unten lieber vom Volkskabarettisten sprechen. Oder greift das jetzt zu hoch? Ich finde nicht. Was sagt man, wenn sich ein Land seine Kabarettisten vorknöpft und anfängt, ihre Satire zu durchsuchen? Spricht das gegen die Kabarettisten oder offenbart es einen Zustand größter Verunsicherung, weil das Land keinen Weg aus seiner Krise weiß? Keine wirtschaftliche Krise, die gibt es vielleicht gar nicht, sondern eines des freien Denkens. In Kriegszeiten kommen Kabarettisten schnell in die Schusslinie. Jedes Wort, das dem allgemeinen Tenor von Politik und Medien widerspricht und aus den Meinungskorridoren ausbricht, kann das Verhängnis bedeuten. Das bekam schon der Schriftsteller Uwe Tellkamp zu spüren, als aus Literaturkritik Gesinnungskritik wurde. Die Erlaubnis für ungestörtes Kabarett reicht für Provokation light. Uwe Steimle geht weiter. Ich bin weit davon entfernt, jede seine Provokationen weißzuwaschen, sehe aber mit Erschrecken, wie die Medien ihn kontrollieren und feststellen: Oh, jetzt hat er uns gezeigt, dass er rechts steht! Selbst der freundlichste Nachbar sagt dann: Wenn es viermal in der Zeitung steht, muss schon was dran sein. So beschreibt Uwe Steimle seine Erfahrungen mit der Ausgrenzung.Der Lächerlichkeit preisgebenDer MDR hat sich 2019 von Uwe Steimle getrennt. Weil er die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Senders angezweifelt und es in von ihm gewohnter Satire mit dem Begriff „Rundfunkstaatsvertrag“ erklärt hat: Das Wort sagt es, dass der Staat gefragt sein will! Dass 50.000 Zuschauer seiner Sendung Steimles Welt die Fortsetzung gefordert hatten, kümmerte den MDR nicht. Illoyal ist illoyal. Apropos Staatsferne: Die Kabarettistin Christine Prayon, bekannt als Außenreporterin Birte Schneider in der heute-show, ist dort ausgestiegen: „Ich habe mit der Art, wie die großen gesellschaftlich prägenden Themen seit Corona behandelt werden, zunehmend Bauchschmerzen bekommen.“ Ein Satireverständnis, bei dem „Andersdenkende der Lächerlichkeit preisgegeben“ werden, deckt sich nicht mit ihrem Verständnis von Kabarett. Sie fügt ihrem Austritt bei der heute-show einen denkwürdigen Satz an: „Satire darf sich nicht daran beteiligen, den Diskurs zu verengen.“Wer den Diskurs weit aufmacht, dem kann es passieren, dass er gestern als Linker auf der Bühne stand und morgen von sich als Rechter in der Zeitung liest. Ernst Jandl hatte recht: Lechts und rinks kann man eben doch velwechsern. Seine provokanten Sprüche, garniert mit Honecker-Parodie, werden am Ende dem ins Fadenkreuz geratenen Satiriker Uwe Steimle als „rechtes Schwurbeln“ ausgelegt. Bei Deutschlandfunk Kultur unterstellte ihm eine Journalistin: „Würde er eine linke Meinung vertreten: für die Flüchtlingspolitik, für alles, was eben links populär ist, müsste er sich da sehr den Platz erkämpfen.“ Also ist er rechts aus Gründen des Marketings? Als Betroffener teilt Steimle gegen den Mainstream-Journalismus gern Hiebe aus: „Nun, es soll ja Länder geben, da zitiert die Presse die Regierung zum Rapport. In der Bundesrepublik zitiert die Presse nur die Regierung.“ Er kann in der Aktuellen Kamera auf seinem Youtube-Kanal den „Baerbock der Woche“ nicht auslassen, worin er die Außenministerin beim Wort nimmt.Der Ton ist rauer geworden, die Lage im Land unsicherer. Aber warum ist der Umgang mit Kabarettisten verständnisloser geworden? Am Ende steht die Vermutung, dass der Anstieg bei der AfD, zumindest sagen dies aktuelle Meinungsumfragen, mit Ausgrenzungsversuchen beantwortet wird. Der Bundespräsident entzieht schon mal den seiner Meinung nach Falsch-Wählern „mildernde Umstände“. Und der Kanzler nennt Störer seiner Reden „gefallene Engel aus der Hölle“. Statt sich im medialen Diskurs mit den Gründen zu beschäftigen, die für diesen Zulauf sorgen, hat man sich in Politik und Medien weitgehend für Ausgrenzung entschieden: Mit denen reden wir nicht. Diese Ratlosigkeit bekommen derzeit viele, aber nicht zuletzt die Kabarettisten zu spüren. Vox populi ist nicht Volkes Meinung an den Stammtischen, sondern die öffentliche Meinung. Richtig. Aber in ihr spricht auch der Stammtisch mit. Dafür hat Uwe Steimle, der ein Volkskabarettist ist, eine Antenne. Die darf man ihm nicht knicken. Das sicher von großer Zivilcourage getragene Netzwerk „Halle gegen rechts“ versuchte Uwe Steimle eine Rechts-außen-Gesinnung nachzuweisen, aber reden mit ihm, wie er angeboten hat – nein. Dabei gibt es unbestritten ein boshaftes Missverstehen, was für den, dessen Handwerk die Übertreibung ist, ganz schlecht ausgehen kann. Keine guten Aussichten.



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Von Veritatis

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