Kürzlich titelte der Freitag: „Männer sind nicht verhaltensstarr“. In einem Debattenbeitrag nannte der Autor Thomas Gesterkamp zum Beweis allerlei Statistiken: Der Rollenwandel findet statt, Männer beteiligen sich an der Haus- und Sorgearbeit. Die gerade in Krisenzeiten beliebte Rede von einem Backlash wies er zurück. Auch hier hatte er Zahlen parat, die das Gegenteil beweisen sollten. Entsprechend empört richtete er sich an Geschlechterforscherinnen, die derartige Evidenz leugnen würden, um weiter auf die armen und stets bemühten Männer einzudreschen. Manch einer mag sich zum Trotz ermuntert fühlen: Sollen die Frauen doch in Zukunft neben Windeln wechseln, Monster verscheuchen und Baby trösten selbst die Lampe im Bad eindrehen und das Auto reparieren. Da werden sie schon sehen, wo sie bleiben!

Es wäre leicht, hier in den immer gleichen Geschlechterkampf einzusteigen. Man könnte als kampfbereite Feministin den Statistiken zur progressiven Männlichkeit Studien gegenüberstellen, die das glatte Gegenteil belegen. Man könnte sogar das Studiendesign der Gegenseite angreifen, oder den Zeitpunkt der Erhebung. Dann könnte man zum triumphierenden Schluss gelangen, dass die angebliche empirische Evidenz zum Engagement der Männer nahezu nichtig ist. Voilà: Männer sind eben doch verhaltensstarr! Natürlich würden die engagierten Männer das nicht auf sich sitzen lassen, und gekränkt neues Zahlenmaterial suchen und finden. Auf diese Kränkung müssten wiederum die engagierten Frauen reagieren und diese Frechheit mit wieder anderen Statistiken entlarven.

Weg mit dem Fürsorgebarometer

Dieses Spiel lässt sich endlos weiterspielen. Nur: was bringt das? Die Rechenspiele individualisieren das Problem. Als ließe sich die Care-Misere lösen, indem man die einzelnen Männer und Frauen zu emanzipierten Geschlechtsgenossen erzieht, deren Fortschritte sich gar noch mit einer Art Fürsorgebarometer messen lassen. Verdeckt wird dabei die eigentlich relevante Frage: Zu welchen Bedingungen wird denn in dieser Gesellschaft überhaupt Sorgearbeit geleistet? Wer dieser Frage ernsthaft nachgeht, stellt fest: zu miserablen Bedingungen! Erschöpftes Pflege- und Kita-Personal, entrechtete migrantische Hauhaltshilfen, alleinerziehende Mütter mit Burnout – für’s politisch korrekte Protokoll: Ja, ja alleinerziehende Väter kriegen auch ein Burnout. Wer sich um andere kümmert, bekommt es obendrein mit Geldsorgen und einem Leben in Altersarmut gedankt.

Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten im Zuge der Gleichstellung der Frauen eine gigantische Enteignung an zeitlichen Ressourcen erlebt, die allerdings selten so benannt wird. Die ehemaligen Vollzeithausfrauen sollen jetzt im Namen ihrer Emanzipation in Vollzeit einer Erwerbsarbeit nachgehen. Die Männer weiterhin ebenso. Das bisschen Haushalt möge man bitte nebenbei erledigen – wer fleißig und erfolgreich ist, kann es sich vielleicht sogar leisten, diese Arbeit an eine Osteuropäerin zu delegieren. Ein echter Fortschritt!

Es bringt überhaupt nichts, wenn Frauen und Männer sich bemühen, diese Zumutung in den Familien „gleichberechtigt“ aufzuteilen. Das Elend bleibt elendig, auch wenn man es demokratisiert. Genauso wenig hilft eine öffentliche Debatte, die analog dazu kleinteilig und verbissen vorrechnet, wer in den Familien wie viele Minuten womit genau verbracht hat.
Anstatt einen politisch letztlich irrelevanten Geschlechterkampf zu inszenieren, wäre es wichtig, die Care-Debatte als antikapitalistischen Kampf wiederzubeleben. An diesen Kämpfen um Zeit, Geld und Anerkennung können sich alle Geschlechter beteiligen. Wenn sie es denn wollen.



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Von Veritatis

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