Eine Betrachtung zum “Tatort” von Torsten Kohlschein

Ein Polizist ist umgebracht worden. Mutmaßlich von den eigenen Leuten. Und nun, mitten in der Nacht, sucht man seine verbuddelte Leiche irgendwo in der hessischen Pampa zwischen Wiesbaden und Frankfurt.

Wenn Sie diese Kritik im “Freie Presse”-E-Paper noch vor Ausstrahlung des Frankfurter “Tatort” mit dem sperrigen Titel “Erbarmen. Zu spät.” im Ersten lesen oder sich den Krimi erst später in der Mediathek anschauen, nehmen Sie diese Infos als freundliche Hilfestellung. Denn führt man sich den 17. Hessen-“Tatort” mit den Ermittlern Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) ganz ohne vorbereitende Lektüre zu Gemüte, ist man sehr schnell sehr aufgeschmissen. Es fängt schon mal mit kompletter Desorientierung dergestalt an, dass Autor und Regisseur Bastian Günther ungelogen die ersten 78 (!) Minuten der Geschichte in stockfinsterer Nacht spielen lässt und die Beteiligten durchweg nur das Nötigste sagen. Also, das für all jene Nötigste, die Bescheid wissen. Zu denen gehören dummerweise die Zuschauer nicht. Die konkrete Tat? Anfangs unklar. Das Opfer gar? Dito.

Um die 27. Minute fällt der Satz “Was ist hier eigentlich los?”, und man pflichtet dem vorbehaltlos bei. In der Zeit davor und danach fahren vor allem Autos finstere Feld- und Waldwege im Schritttempo entlang und halten hier und da, ohne dass der mitgeführte Zeuge des mutmaßlichen Mordes die Stelle erkannt hätte, an der die Leiche – das ahnt man dann doch irgendwann – verscharrt wurde.
Bereits jetzt, am Freitagnachmittag, da diese Zeilen entstehen, stelle ich mir lebhaft die Kommentare auf X, vulgo Twitter, vor, mit denen die trotz allem immer noch existente, nach Unterhaltung dürstende Fangemeinde diesen “Tatort” ungespitzt in den Boden des Vortaunus rammt. Diffus, zäh, langweilig, noch nicht mal zuspitzend oder polarisierend ist dieser “Tatort”.

Dabei hat er ein, wenn auch zu halbherzig umgesetztes, so doch gut gemeintes Anliegen. Es geht um rechtsextreme Netzwerke in der Polizei. Die gibt es. Man denke an die mutmaßlich von der hessischen Polizei mit sensiblen Daten versorgte Drohbrief-Truppe “NSU 2.0”. In dieser Story wird das Ganze noch angereichert um Kontakte in die Prepperszene, zu der auch der erschossene Polizist gehörte. Er hortete in seinem Wochenendhaus neben Massen an Lebensmitteln, Waffen und Munition auch ein gefälschtes Polizeiauto. Die Antwort auf die Frage, was das alles zu bedeuten hat, versinkt indes im Geraune, aus dem immerhin dann doch so eine konkrete Spitze herausragt wie die Prognose eines der Polizisten aus dem rechten Netzwerk, dass es in einem Jahr in Deutschland zu Hinrichtungen kommen werde. Vielleicht ist diese antizipierende Geisteshaltung, wohlgemerkt nicht der vorhergesagte Umstand, gar nicht so unrealistisch. Unter den dunkelblauen Mützen mit Zwölfzackstern und Landeswappen dürften vielerorts solche Gedanken gären.

All das ändert nichts daran: Das Rennen um den schlechtesten “Tatort” der Saison 2023/24 ist hiermit eröffnet. Die Latte liegt hoch. |tk

 



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Von Veritatis

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