Ende Juni ging eine Meldung durch die russische Presse: Eigene Kraftfahrzeuge, mit denen Russen nach Deutschland gereist waren, wurden durch den deutschen Zoll konfisziert. Als Begründung diente der Zollbehörde, dass die Einfuhr eines Autos ein Verstoß gegen die Sanktionsregelungen der Europäischen Union sei. Konkret geht es dabei um eine im Zuge der Sanktionen erlassene EU-Verordnung mit Anhang, was alles nicht aus Russland in die EU exportiert werden darf.

Lange war unklar, ob dieses Verhalten des Zolls eine unzulässig harte Auslegung von EU-Regeln war. Denn die betroffenen Autos sollten ja nicht aus Russland exportiert und in Deutschland verkauft werden, sondern dienten als fahrbarer Untersatz für russische Reisende auf Hin- und Rückweg. Ein Fall wurde publik, in dem ein Russe sich sein zunächst beschlagnahmtes Auto zurück erstritt.

Was die Zeitung „Kommersant“ schreibt

Umso mehr schlug in den russischen Medien eine Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 9. September zu häufigen Fragen nach diesem Thema ein. Sie erklärte nicht nur die Beschlagnahmung solcher Fahrzeuge nach dem Anhang der EU-Rats-Verordnung für legal, auch wenn diese nur kurzfristig in der EU unterwegs sind, sondern auch die Konfiszierung von anderen Waren, die vorübergehend eingeführt werden – gemäß einer umfangreichen Liste.

So berichtet das russische Medienportal RBK unter Berufung auf die Auskunft der Europäischen Kommission, dass auch Smartphones, Laptops, Kosmetika und sogar Koffer von Russland aus nicht in die EU gebracht werden dürfen, da sie in der Liste ebenfalls enthalten sind. Zahlreiche weitere russische Medien griffen die Meldung sofort auf. Die angesehene Zeitung Kommersant sah sogar „Shampoos, Zahnpasta und Toilettenpapier“ von einer Beschlagnahme auf Reisen bedroht.

Ob deshalb an den EU-Außengrenzen mit dem Konfiszieren des Privateigentums von russischen Reisenden zu rechnen ist, wollte die Berliner Zeitung von einer Sprecherin der EU-Kommission wissen. Doch diese meinte nur: „Das Sanktionspaket ist wie alle anderen davor eine gemeinsame Entscheidung aller 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Umsetzung und Kontrolle obliegt dann jeweils den nationalen Behörden“.

Damit liegt der Spielball in Berlin. Deshalb fragte der Freitag bei der zuständigen Pressestelle des Deutschen Zolls nach, ob solche Beschlagnahmungen nach dortiger Ansicht rechtlich möglich sind und ob eine entsprechende Praxis des Zolls vorgesehen ist. Darauf antwortete die Pressestelle des Zolls sehr allgemein: Die Einfuhr der in der EU-Verordnung „aufgeführten Güter, die Russland erhebliche Einnahmen erbringen“ sei verboten. „Sämtliche Güter, die dort [in der Sanktionsverordnung] genannt sind, unterliegen dem Verbot.“ Ausnahmen würden nur für Mitarbeiter diplomatischer Vertretungen gelten. Also kein Smartphone und kein Shampoo für nach Deutschland reisende Russen?

Reisen aus Russland verunmöglichen

Etwas großzügiger, aber ebenso unbestimmt klingt die Aussage eines EU-Kommissionssprechers gegenüber der Deutschen Welle: „Es ist unwahrscheinlich, dass die Kleidung, die eine Person beim Grenzübertritt anhat, dazu dient, die EU-Sanktionen zu umgehen (…). Das ist eine ganz andere Situation als bei einem teuren Auto.“ Wie aber sieht es in der Grauzone dazwischen aus, bei einem teuren Laptop oder Handy?

Der Leiter der Abteilung Politik am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin, Alexander Libman, sieht in der Meinung der EU-Kommission eine Auslegung durch die Bürokratie, die vielleicht gar nicht der Intention der EU-Länder entspricht. Es sei zweifelhaft, sagte Libman dem Freitag, ob sie etwa vor dem Europäischen Gerichtshof Bestand hätte. Aber nicht jeder Reisende wird sich bis zur höchsten gerichtlichen Instanz klagen, wenn der Zoll Mitgebrachtes wegnimmt.

Libman hält die Auffassung des Zolls und der EU-Kommission vor allem politisch für ein fatales Signal. „Was man durch diese Regelung erreichen wird, ist eher, dass die russischen Bürgerinnen und Bürger umso überzeugter sein werden, dass Wladimir Putin Recht hat: Die Maßnahmen der EU richten sich gegen einfache Russinnen und Russen, gegen das ganze Volk. Das Regime wird seine Propaganda noch überzeugender verkaufen.“ Mit Libman konform geht der österreichische Russlandexperte Alexander Dubowy: „Offenbar möchte die EU jedwede Reisetätigkeit aus Russland verunmöglichen. Eine sehr bedenkliche Entwicklung. Damit spielt man nur Putin in die Hände.“

„Abschaffung der russischen Kultur“

Dass die Experten damit richtig liegen, zeigt ein Blick in die regierungsnahe russische Presse. So zitiert die Onlinezeitung Lenta den Duma-Abgeordneten Dmitri Nowikow aus dem Auswärtigen Ausschuss: „Diese Entscheidung zeigt, dass der Kampf [der EU] nicht nur gegen Offizielle, sondern auch gegen das russische Volk geführt wird. Das passt gut zum Konzept der Abschaffung der russischen Kultur, das vor einiger Zeit in den herrschenden Kreisen der EU so populär geworden ist.“

Real stößt man mit der Regelung vor allem Russen vor den Kopf, die Kontakte in westliche Länder halten wollen und in den seltensten Fällen zu den Unterstützern des Kreml-Regimes zählen. Für Unterstützer der Invasion im ukrainischen Nachbarland hingegen ist eine Reise in die EU schon seit dem vergangenen Jahr kein Thema mehr. Die russische Regierung wiederum geht beim Umgang mit Reisenden aus dem Westen den umgekehrten Weg. Zur Vermeidung von Bürokratie wird seit kurzem für Reisen nach Moskau oder Sankt Petersburg ein einfach von daheim beantragbares E-Visum angeboten. Damit möchte man vor allem diejenigen im Westen ansprechen, die dort den Kurs des Kreml unterstützen und sie ins eigene Land locken. In Sachen strategische Beeinflussung der Stimmung beim geopolitischen Gegner hat Russland die Nase vorn.



Quelle Link

Von Veritatis

Schreibe einen Kommentar