Ist das nicht wunderbar? Es gibt noch Politikerinnen in Deutschland, die nicht vergessen haben, welchen Wert politische Bildung für ein von Demokratieverachtung bedrohtes Gemeinwesen besitzt. Hier ein erfreuliches Beispiel: „Niedrigschwellige Sprachfördermaßnahmen und die Angebote der Grundbildung sollen ebenso wie die politische Bildung weiter ausgebaut werden.“ Das Zitat stammt aus dem Programm der SPD für die hessische Landtagswahl am 8. Oktober. Die Spitzenkandidatin heißt bekanntlich Nancy Faeser, und nein, es liegt keine zufällige Namensgleichheit vor: Es ist dieselbe Nancy Faeser, die in ihrer Funktion als Bundesinnenministerin vorgeschlagen hat, den Haushalt der Bundeszentrale für politische Bildung im kommenden Jahr von 96 auf 76 Mill

illionen Euro zu kürzen.Der eklatante Widerspruch zwischen Versprechen hier und Handeln dort hätte es verdient, in die Lehrpläne für politische Bildung aufgenommen zu werden: als Beispiel dafür, wie die Glaubwürdigkeit eines politischen Systems nicht wiedergewonnen, sondern untergraben werden kann. Aber abgesehen davon lässt sich die Frage stellen: Handelt es sich bei den geplanten Kürzungen auf Bundesebene um einen Skandal, oder besteht der Irrtum gerade in der Vorstellung, mit politischer Bildung ließe sich die wankende Demokratie stabilisieren?Die Antwort lautet, so paradox das zunächst klingen mag: beides. Sehr wohl lassen sich bestimmte Vorstellungen von Demokratieförderung durch politische Bildung mit guten Gründen kritisieren. Aber eine Rechtfertigung für einen Geldentzug, der in Wahrheit der Haushaltspolitik eines radikal-neoliberalen Finanzministers geschuldet ist, kann das nicht sein. Denn die von Faeser geplanten Kürzungen sind nicht nur deshalb ein Skandal, weil sie in Zeiten verstärkter Demokratiefeindlichkeit ein verheerendes Signal setzen würden. Sie würden gerade auch denjenigen einen Schlag versetzen, die aus politischer Bildung mehr machen wollen als staatlich gesteuerte Lehrmeisterei für Demokratieverdrossene.Einsatz für Demokratie und Kritik gehen Hand in HandEs ist schon richtig, dass konservative Vorstellungen von politischer Bildung immer wieder wichtige Fürsprecher finden. So hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gerade wieder verkündet: „Ich mache mir Sorgen, weil es zu viele gibt, die unsere Demokratie schlechtreden.“ Als wäre alles gut, wenn es nicht dauernd jemand „schlechtreden“ würde. Als gäbe es nur ein Mittel gegen rechts: die Demokratie, so wie sie ist, zu verteidigen.Wenn sich die Bundeszentrale für politische Bildung auf diese Lesart beschränken würde, hätte die Innenministerin gut daran getan, ihr ein paar Millionen zu entziehen. Vorausgesetzt, sie hätte das Geld an zivilgesellschaftliche Initiativen verteilt, die einen fortschrittlichen Begriff von „politischer Bildung“ haben, etwa nach dem Motto: Wer Demokratie will, muss nicht nur herrschende Zustände verteidigen, sondern die demokratische Praxis stetig verbessern und erweitern.Nun ist es aber keineswegs so, dass die Bundeszentrale einfach der konservativen Marschrichtung folgen würde. Um hier ausnahmsweise auf eigene Erfahrung zurückzugreifen: Der Autor dieses Textes ist an der Organisation der „Global Assembly für Demokratie und Menschenrechte“ beteiligt. Hier versammeln sich Menschen aus aller Welt, die ihren Einsatz für Demokratie oft mit scharfer Kritik nicht nur an autoritären Regimen verbinden, sondern auch an demokratischen Defiziten vieler Staaten im Globalen Norden. Veranstaltungen und Veröffentlichungen, mit denen die Global Assembly diese Arbeit bekannt macht, werden von der Bundeszentrale gefördert.Mehr als der erhobene ZeigefingerWer sich deren Angebote anschaut, wird schnell erkennen, dass das keinen Einzelfall darstellt: Da ist etwa das Programm „Qualifiziert handeln!“, das die Zivilgesellschaft zum aktiven Eintreten gegen Rechtsextremismus, aber eben auch gegen andere „abwertende Haltungen“ ermächtigen will. Da sind spezielle Gesprächsformate in Ostdeutschland, mit denen Bundeszentrale-Chef Thomas Krüger „die fehlenden Infrastrukturen vor allem im ländlichen Raum zu kompensieren“, sprich: institutionelle Defizite an Demokratie auszugleichen hofft.Niemand wird erwarten, dass die Bundeszentrale als Motor radikaler Veränderung agiert. Aber sie hat durchaus erkannt, dass politische Bildung, auch staatlich geförderte, mehr sein muss als der erhobene Zeigefinger. Mehr als der Zeigefinger, den große Teile der Politik ja nicht nur nach rechts zu richten pflegen, sondern auch gegen eine kritische Öffentlichkeit, die gerade im Kampf gegen rechts mehr Demokratie verlangt und nicht weniger.Nancy Faeser hat sich in ihrer hessischen Heimat glaubhaft der Rechtsentwicklung entgegengestellt. Sie dürfte wissen, dass Geld für politische Bildung gerade in diesem Bereich gut angelegt ist. Wenn ihr die Bundeszentrale da nicht konsequent genug wäre, hätte sie als Ministerin gegensteuern können. Aber darum, ist zu befürchten, ging es gar nicht. Sondern um den Kotau vor einer neoliberalen Sparpolitik, die die Begeisterung für Demokratie in ihrem gegenwärtigen Zustand sicher nicht erhöht.



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Von Veritatis

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