Roman In dem für den diesjährigen Deutschen Buchpreis nominierten Roman erzählt die ungarische Schriftstellerin Terézia Mora von einer Frau namens Muna, die nicht loskommt von einem toxischen Mann.
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Ausgabe 40/2023
Autorin Terézia Mora
Foto: Friedrich Bungert/SZ Photo/DPA
Wenn man eine Mutter hat, die einen Satz wie diesen sagt, ist anzunehmen, dass auch im Liebesleben der Tochter nicht alles gut verläuft: „Dass sie dich ficken, lässt sich nicht vermeiden. Achte nur immer darauf, dass du sie ebenso fickst wie sie dich.“ Als Muna, die Protagonistin von Terézia Moras jüngstem Roman Muna oder die Hälfte des Lebens diesen Satz aus dem Mund ihrer Mutter, einer Alkoholikerin und Schauspielerin, hört, ist ihr Gedanke: ‚Mutter, das ist das Widerlichste, was du jemals zu mir gesagt hast.‘ Sie spricht den Gedanken aber nicht aus, und vielleicht ist das die hervorstechende Eigenschaft nicht nur der jungen Muna: dass sie, die etwas Naives, ja geradezu fahrlässig Verspieltes hat, sich viel zu selten wehrt.
Ter
wehrt.Terézia Mora hat nach drei Romanen um den Informatiker Darius Kopp, für dessen zweiten Teil Das Ungeheuer sie vor zehn Jahren den Deutschen Buchpreis bekam, nach einem Erzählungsband und nach dem Tage- und Arbeitsbuch Fleckenverlauf (2021), eine Frau ins Zentrum ihres neuen Romans gestellt.Zu Beginn ist Muna 17, am Ende ist sie vierzig. Dazwischen liegen die Arbeit als Journalistin, ein Germanistikstudium, die Arbeit als Wissenschaftlerin, ein Job in einer Baseler Boutique und mehrere Beziehungen, vor allem aber eine Beziehung, die so schrecklich, destruktiv, traurig und bewegend ist, dass man diesen Roman garantiert nicht mehr vergisst.Der Roman verweigert sich jeder PsychologisierungMuna lernt den wesentlich älteren Magnus Otto, Lehrer und Bildredakteur bei dem Magazin in der fiktiven ostdeutschen Kleinstadt Jüris, in der Muna aufwächst, während eines Praktikums in der Redaktion kennen: „Er trug ein altes braunes Sakko mit Ellenbogenschonern. Die sah ich zuerst. Die Ellenbogenschoner, dann die Schultern, das Revers, den Hals, das Kinn, die Lippen, die Augen, blau, und schließlich die Zornesfalten zwischen den Augenbrauen.“Es ist diese Zornesfalte, an der Munas Blick sich festmacht, und während sie Magnus noch mürrisch findet, begeistert sie sich schon für dessen Fotos. Und sie beginnt, ihm nachzuspüren, diesem Mann, der bei künftigen Redaktionssitzungen nicht mir ihr sprechen wird, dem Mann, der in seinem Fahrrad später einen Platten haben wird, genau wie Muna zu Beginn des Romans. Von Magnus wird Muna nicht loskommen, nicht, als Magnus grußlos für Jahre verschwindet und Munas Liebesbriefe an ihn ins Nichts laufen, nicht, als sie in Wien lebt, nicht, als sie Magnus, inzwischen Literaturwissenschaftler, nach einer halbgaren Beziehung in Berlin wiedertrifft, sie mit ihm geht und er sie beim Sex anweist, nicht herumzuschreien, da man das höre: „Sicherheitshalber legte er mir auch eine Hand auf den Mund: Scht!“Und Muna geht mit ihm, offensichtlich von ähnlicher Motivation geleitet wie die weibliche Stimme in Bertolt Brechts Barbarasong, in dem es heißt: „Und als er nicht wußte, / Was sich bei einer Dame schickt, / Zu ihm sagte ich nicht ,Nein‘.“ Muna bejaht Magnus von Beginn an nicht obwohl, sondern weil er nicht „nett“ ist, weil er wie ihre Mutter ein Alkoholproblem hat, in ihm Abgründe klaffen, die ihn Muna nicht nur kalt, sondern gewaltsam und brutal behandeln lassen. Bei jedem Verdacht auf eine Schwangerschaft zwingt er eine Pille danach in Muna hinein, als sie während einer Germanistentagung in der Bar von den anderen Wissenschaftlern erst provoziert wird, ihn dann dort sitzen lässt und ihn schließlich als Arschloch tituliert, schlägt er zu. Doch Muna lässt nicht ab von Magnus. Das Wechselbad aus Aggression und Beschwichtigung, aus Abhängigkeit und kurzen Versöhnungsmomenten, aus Gleichgültigkeit und Gewalt setzt sich immer weiter fort. Unerbittlich sieht man den Zuckungen dieser asymmetrischen und destruktiven Beziehung zu und mag, erneut mit Brecht, denken: Das ist die sexuelle Hörigkeit.Warum Muna sich nicht loseist, darüber kann man nur spekulieren. Ist es die Prägung auf den Älteren, den ähnlich viele Jahre von Muna trennen wie ihre Mutter von ihrem Vater? Ist es die Kälte der Mutter, die hier nachwirkt, die Unfähigkeit, sich an einen anderen als einen selbstbezogenen und empathielosen Menschen zu binden?Terézia Moras Figuren kennen Gewalt in all ihren Ausprägungen schon seit dem Erscheinen des Debüts der Autorin, seit dem Erzählband Seltsame Materie aus dem Jahr 1999, wo der Schauplatz des Geschehens der westungarische Landstrich um Sopron war, in dem die Autorin aufgewachsen ist. Die Gewalt war in diesen Erzählungen eng verbunden mit der Geschichte Ungarns und vielleicht, so könnte man mutmaßen, steckt sogar noch etwas davon in Muna, deren Körper von Magnus kolonisiert wird wie zu eroberndes Territorium.Moras Erzählkunst an die andere große Seelenvermesserin Patricia HighsmithEs ist eine große Stärke dieses Romans, dass er seine Leser über die Psychologie Munas zwar nicht im Unklaren lässt, sich aber jeglicher Psychologisierung verweigert. Darin erinnert Moras Erzählkunst an die andere große Seelenvermesserin mit den Mitteln der Sprache, die sich gegenüber ihren Figuren jegliche Wertung versagte, sich stattdessen immer so nah an sie heranschrieb, dass noch jede ihrer kleinsten, vor allem aber jede ihrer abwegigsten Regungen vollkommen plausibel ist: Patricia Highsmith.Auch Munas Verwandlungen wirken plausibel noch im Kleinsten, obwohl sie es objektiv betrachtet eben gerade nicht sind. Dass am Ende auf einem anderen als erwartbaren Weg die zerstörerische Verbindung doch noch unterbrochen wird, ist nicht die elementare Pointe dieses Glücksfalls von Roman über existenzielles Unglück, der, zwar immer wieder auch witzig, ohnehin nicht von Pointen lebt. Muna oder die Hälfte des Lebens lebt von der Genauigkeit seiner Dialoge, von dem hingebungsvollen Blick der Autorin auf alle ihre Figuren und die Milieus von der Vorwende-Theaterwelt über das Berlin der Neunziger bis hin zum Milieu der Literaturwissenschaftler, dessen Vertreter im Roman wie leise Echos auf die laute Wucht der zentralen Abhängigkeitsbeziehung zwischen Muna und Magnus mit seinem sprechenden Namen wirken.