Zeitgeschichte Das III. Reich wirft seine Schatten voraus, als die vereinte Rechte die Auseinandersetzung um den Young-Plan zu einem Frontalangriff auf die Weimarer Republik missbraucht
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Ausgabe 40/2023
Der Journalist in George Groszs „Die Stützen der Gesellschaft“ (1926) trägt nicht zufällig die Gesichtszüge Alfred Hugenbergs
Foto: bpk/Nationalgalerie, SMB/Jörg P. Anders
Im Friedensvertrag von Versailles waren dem Deutschen Reich 1919 Reparationen in zunächst nicht genannter Höhe auferlegt worden. Laut einer Regelung von 1921 sollten sie 132 Milliarden Goldmark betragen. Diese konnten nicht auf einmal, sondern nur in vielen Jahresraten aufgebracht werden.
Die USA hatten den Vertrag nicht ratifiziert. Sie waren Gläubiger ihrer europäischen Verbündeten aufgrund ihrer Waffenlieferungen im Ersten Weltkrieg. Die Begleichung dieser interalliierten Schulden war kaum denkbar, ohne dass Deutschland seine Reparationen aufbrachte. Nach einem Plan von Charles G. Dawes – US-Bankier und Mitglied der Alliierten Reparationskommission – wurde 1924 die Zahlung von Jahresraten durch Anleihen aus den USA erleichtert. Dort, aber auch in Fra
uch in Frankreich entstanden nach einigen Jahren Zweifel daran, ob Deutschland angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung seinen Verpflichtungen langfristig nachkommen werde. So kam es im Juni 1929 zum Young-Plan, benannt nach dem US-Industriellen und Diplomaten Owen D. Young. Die Reparationslast war nun auf 112 Milliarden Reichsmark festgelegt, zahlbar in Raten bis 1988.Dieser Plan führte sofort zu heftigen Auseinandersetzungen in Deutschland. Parteien- und klassenübergreifend, von links bis rechts wurde der Versailler Vertrag von Anfang an als nationale Katastrophe angesehen. Alle ökonomischen Misshelligkeiten – zunächst die Hyperinflation von 1923, schließlich die Weltwirtschaftskrise ab 1929 – wurden darauf zurückgeführt, unabhängig davon, ob in jedem Fall ein ursächlicher Zusammenhang mit den Reparationen bestand. Unterschiede gab es in der Frage, wie darauf zu reagieren sei. Für die KPD war der Vertrag ein Diktat innerhalb eines imperialistischen Konfliktes und das deutsche Volk das zentrale Opfer. Sie lehnte den Young-Plan ab. Der Reichsaußenminister Gustav Stresemann von der Deutschen Volkspartei (DVP) verwies darauf, dass die gesamte Reparationslast leicht gesenkt worden war. Diese Einschätzung wurde auch von den anderen Parteien einer seit 1928 regierenden großen Koalition (SPD, Zentrum, Deutsche Demokratische Partei) geteilt. Stresemann starb am 3. Oktober 1929.Für die äußerste Rechte ging es im Kampf gegen den Young-Plan, den sie sofort eröffnete, nicht nur um Außenpolitik und die wirtschaftlichen Folgen des Versailler Vertrages, sondern um den Sturz der Weimarer Republik selbst. Die war für sie Produkt eines nationalen Verrats, beginnend mit der Revolution von 1918. An die Spitze der Agitation gegen den Young-Plan setzte sich die Deutschnationale Volkspartei (DNVP). Sie vertrat die Interessen von Stützen des 1918 untergegangenen wilhelminischen Systems: ostelbische Großagrarier, Montanindustrie, Teile der aus der Monarchie übernommenen Exekutive von hoher Beamtenschaft, Justiz und Militär. Vorsitzender war Alfred Hugenberg, einst Manager in der Krupp AG, nun Eigentümer eines einflussreichen Medienkonzerns.Young-Plan aufgehobenDen Kampf gegen Versailles und Weimar anlässlich des Young-Plans zu aktualisieren, hieß jetzt Konfrontation mit der Regierung: Bei der Wahl 1928 hatte die SPD Gewinne erzielt und stellte erstmals seit 1920 wieder den Kanzler. Die DNVP erlitt schwere Verluste. Diese Ergebnisse konnten als eine Art Linksverschiebung der deutschen Politik erscheinen, gegen die sich nun eine aggressive Politik von rechts aufbaute. 1929 begannen die Unternehmerverbände eine Offensive zum Sozialabbau und im Umfeld des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg arbeiteten unter anderem einflussreiche Reichswehrkader auf einen autoritären Staatsumbau hin. Hugenbergs Angriff auf den Young-Plan sollte unter anderem die Niederlage der DNVP im Vorjahr wieder wettmachen.Als Hebel diente Artikel 73 der von der nationalistischen und völkischen Rechten im Übrigen abgelehnten Reichsverfassung. Ihm zufolge war ein Volksentscheid „herbeizuführen, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten das Begehren nach Vorlegung eines Gesetzentwurfs stellt. Dem Volksbegehren muss ein ausgearbeiteter Gesetzentwurf zu Grunde liegen. Er ist von der Reichsregierung unter Darlegung ihrer Stellungnahme dem Reichstag zu unterbreiten. Der Volksentscheid findet nicht statt, wenn der begehrte Gesetzentwurf im Reichstag unverändert angenommen worden ist“. Und Artikel 76 bestimmte: „Soll auf Volksbegehren durch Volksentscheid eine Verfassungsänderung beschlossen werden, so ist die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich.“Im Juni 1929 gründete Hugenberg einen „Reichsausschuss für das deutsche Volksbegehren gegen den Young-Plan und die Kriegsschuldlüge (Freiheitsgesetz)“. Beteiligt waren dabei nicht zuletzt Heinrich Claß, Vorsitzender des völkischen Alldeutschen Verbands, Theodor Duesterberg und Franz Seldte vom paramilitärischen Stahlhelm-Bund der Frontsoldaten sowie die Industriellen Fritz Thyssen und Albert Vögler. Hugenberg lud auch Adolf Hitler ein, der zusagte. Dessen NSDAP hatte bei der Reichstagswahl 1928 nur 2,6 Prozent und zwölf Sitze erreicht. Er wurde Mitglied des 16-köpfigen Arbeitsausschusses, der eingesetzt wurde. Die Finanzierung kam weitgehend aus Teilen der Industrie.Vom 16. bis 29. Oktober 1929 konnten Unterstützungsunterschriften für das Volksbegehren gesammelt werden. Der Gesetzentwurf, der ihm zugrunde lag, lehnte eine Kriegsschuld des Deutschen Reiches sowie Reparationen ab und bedrohte alle Regierungsvertreter, die daraus folgende Verpflichtungen unterschrieben, mit Strafe. Mit 10,02 Prozent der Stimmberechtigten wurde schließlich das Quorum erreicht, wenngleich nur knapp. Am 30. November wurde der Gesetzentwurf im Reichstag abgelehnt. Im folgenden Abstimmungskampf für den Volksentscheid setzte Hugenberg alle Propagandamöglichkeiten seines Medienkonzerns ein. Nach dem Tod Stresemanns war Reichsinnenminister Carl Severing (SPD) sein öffentlich sichtbarste Gegenspieler.Weltwirtschaftskrise, die MassenarbeitslosigkeitDie Regierung nutzte gleichfalls den Rundfunk. Sie wurde durch einen Aufruf „An das deutsche Volk!“ unterstützt, in dem unter anderem Robert Bosch, Albert Einstein, Gerhart Hauptmann, Thomas Mann und Max Planck sich zur Republik bekannten sowie vor einem „Versuch schlimmster Volksverhetzung“ warnten. Während die NSDAP zahlreiche Massenversammlungen veranstaltete, blieb Hitler eher im Hintergrund. Für ihn war die DNVP nicht nur Bündnispartnerin, sondern auch politische Konkurrenz. Er vermied es, in zu großer Nähe der traditionellen Rechten, die ihre Wurzeln noch im Kaiserreich hatte, gesehen zu werden, und trat nur auf einer einzigen Kundgebung mit Hugenberg auf.Da die Reichsregierung den Gesetzentwurf als verfassungsändernd einstufte, war zu dessen Annahme eine Mehrheit von über 50 Prozent der Wahlberechtigten erforderlich. Wer nicht teilnahm, votierte schon dadurch dagegen. Daran scheiterte die Volksabstimmung am 22. Dezember 1929, da nur 13,5 Prozent der Wahlberechtigten teilnahmen. Dass 94,5 Prozent davon mit Ja und 4,5 mit Nein votierten, war ohne Belang.Nach einer abschließenden internationalen Regierungskonferenz vom Januar 1930 trat der Young-Plan am 17. Mai 1930 rückwirkend zum 1. September 1929 in Kraft und sah jährliche Zahlungen von durchschnittlich circa zwei Milliarden Reichsmark vor. 1931 wurde er durch ein Moratorium ausgesetzt, 1932 aufgehoben. Die Weltwirtschaftskrise hatte den Vollzug unmöglich gemacht. Die Kampagne gegen den Young-Plan hatte eine weit schwächere Resonanz als ein Gesetzentwurf von KPD und SPD zur entschädigungslosen Enteignung der Fürsten im Jahr 1926. Für diesen stimmten immerhin 39,3 Prozent der Wahlberechtigten. Allerdings wurde auch hier das 50-Prozent-Quorum nicht erfüllt. Ein Volksbegehren der KPD gegen den Bau eines neuen Panzerkreuzers erreichte 1928 nicht die zur Einleitung eines Volksentscheids nötigen zehn Prozent.Danach setzte sich der Niedergang der DNVP fort, während die NSDAP ihren Durchbruch schaffte. Innerhalb der Rechten hatte sich eine Umgruppierung zu deren Gunsten vollzogen. Dass Hugenberg der Nazi-Partei die Möglichkeit gegeben hatte, an seinem Projekt teilzunehmen, ist von relativ geringer Bedeutung gewesen. Wichtiger waren die Weltwirtschaftskrise, die Massenarbeitslosigkeit, der Bruch der SPD-geführten Koalition 1930, damit das Ende der letzten Regierung mit einer parlamentarischen Mehrheit und die Tatsache, dass letztlich immer größere Teile des deutschen Kapitals auf eine Zerstörung der Weimarer Republik setzten. Hierfür fanden sie mit der NSDAP eine Massenbasis, die ihnen die monarchistische traditionelle Rechte nie hatte bieten können.