Für kurze Zeit hadern Louise (Sidsel Siem Koch) und Bjørn (Morten Burian) noch damit, ob sie die Einladung des niederländischen Ehepaars, das sie einige Monate zuvor im Toskana-Urlaub kennengelernt haben, wirklich annehmen sollen. Aber man hat sich gut mit dem sympathischen Patrick (Fedja van Huêt) und dessen freundlicher Frau Karin (Karina Smulders) verstanden. Zudem ist deren Sohn Abel (Marius Damslev) im gleichen Alter wie Agnes (Liva Forsberg), die Tochter von Louise und Bjørn. Und so weit ist der Weg von Kopenhagen zum Landhaus in den Niederlanden nun auch nicht.

Doch die von Louise betont nebenbei und ungerührt in den Raum geworfene Frage „Was soll schon passieren?“ will irgendwie dennoch keine rein rhetorische sein. Man merkt dem dänisch

#228;nischen Paar an, dass der doch recht intime Besuch bei den bislang nur flüchtig Bekannten ein gewisses Risiko birgt und sie sich innerlich gegen mögliche Fettnäpfchen oder gar ausgewachsene Peinlichkeiten wappnen. Derweil übertreffen die verstörend düsteren Streicherkompositionen von Sune Køter Kølster des Soundtracks schon längst ihre Befürchtungen: Es wird sich Grauenhaftes ereignen in Speak No Evil.Nun ist Grauen eine recht subjektive Empfindung und als solche stellt sie sich bei Louise und Bjørn sehr bald nach ihrer Ankunft im behaglichen Landhaus von Patrick und Karin ein: Penibel darauf bedacht, nicht unangenehm vor den Gastgebern aufzufallen, nehmen sie von Beginn an diverse Unannehmlichkeiten wortlos hin. Ein gequältes Lächeln huscht über Louises Gesicht, als sie die für Agnes vorgesehene kleine Matratze auf dem Boden von Abels Kinderzimmer erblickt. Als Patrick kurze Zeit später Vegetarierin Louise dazu drängt, ein Stück vom Wildschweinbraten zu probieren, verbirgt Bjørn seine Irritation darüber hinter einem unsicheren Grinsen und lässt ihn gewähren. Auch als später Patrick seinen mit Sprachschwierigkeiten kämpfenden, verschüchterten Sohn Abel wegen einer Kleinigkeit unnötig harsch zurechtweist, während Karin davon völlig ungerührt bleibt, schauen die beiden lediglich betreten zu Boden.Es will sich also kein Wohlgefühl einstellen während dieses Besuchs; das zunehmend übergriffige Gebaren von Patrick und Karin macht es ihnen sogar immer schwerer. Doch die Niederländer durch eine vorzeitige Abreise zu irritieren oder gar zu brüskieren – das wagen Louise und Bjørn dann eben auch nicht.Zu diesem Zeitpunkt könnte man Speak No Evil tatsächlichnoch für eine mit sozialsatirischem Biss unterlegte Dramedy halten. Denn das unausgesprochene Leiden des Besucherpaars ist so dezent inszeniert und gespielt, dass sich eine gewisse Komik einstellt. Doch der dänische Regisseur Christian Tafdrup, der das Drehbuch gemeinsam mit seinem Bruder Mads verfasst hat, lenkt das Geschehen nach und nach in eine sehr viel düsterere Richtung.Er hat es selbst erlebtAls Inspiration gibt Tafdrup einen unangenehmen Wochenendaufenthalt an, den er einst selbst durchleben musste. Doch sein Film ist statt einer Rekapitulation von Unannehmlichkeiten eine tiefe Reflexion über den Umgang mit Grenzüberschreitungen. Am Beispiel von Louise und Bjørn setzt Tafdrup sich mit der bei sich selbst und anderen beobachteten Neigung auseinander, lieber innere Qualen zu erleiden, als aufzubegehren und eventuell als schwierig wahrgenommen zu werden. Der Drang zur Höflichkeit, so wird bald deutlich, ist in Louise und Bjørn stärker ausgeprägt als jeglicher Instinkt oder moralische Wert.Dass die beiden dabei nicht einfach zu uninteressanten Abziehbildern verkommen, sondern so lebensnah wirken, dass es schmerzt, liegt an der subtilen Charakterannäherung, die der Film ermöglicht. So richtet Speak No Evil von Beginn an ein besonderes Augenmerk auf Bjørn, dem ein gewisses, gleichzeitig nie ganz greifbares Unwohlsein mit seinem so komfortablen Leben anzumerken ist. Sowohl in der Toskana als auch in Kopenhagen und nun in den Niederlanden trägt er eine nur mühsam aufrechterhaltene Entspanntheit vor sich her. Mit dem, was sich darunter verbirgt, will er sich aber ebenso wenig auseinandersetzen wie mit der Andre-Agassi-Autobiografie, die er ungelesen von der Toskana bis zu diesem Wochenendtrip mit sich herumschleppt. Erst in der ungehemmten bis schlicht unverschämten Art von Patrick (herausragend gespielt von Fedja van Huêt) meint Bjørn all das zu erkennen, was er in sich selbst zwanghaft unterdrückt: einen Drang zur rücksichtslosen Besinnung auf die eigenen Bedürfnisse, egal wen man damit vor den Kopf stößt. Ironischer- wie fatalerweise hat Patrick ihn aber von Anfang an zu lesen gewusst, wie sich im dritten Akt schließlich zeigt.Speak No Evil vermag es, das Publikum mit dieser so feinsinnigen Sektion von Charakterkomplexitäten und Beziehungsdynamiken noch lange vom diabolischen Kern dieses Plots fernzuhalten – trotz des bereits erwähnten, von Beginn an unheilvoll dräuenden Scores, der zunehmend gespenstisch umherschleichenden Kameraführung und der schon unerträglich klaustrophobisch anmutenden Atmosphäre. Gebannt verfolgt man mit, wie sich Louise und Bjørn durch dieses unangenehme Wochenende quälen, dabei Seltsames wahrnehmen und erst spät (zu spät) Worte dafür finden. Doch das wahre Grauen, das sich hinter dem irritierenden Verhalten von Patrick und Karin verbirgt, entpuppt sich dann so plötzlich, dass es einem selbst die Sprache verschlägt. Damit ist Tafdrup ein äußerst sehenswertes, wenn auch im Finale gnadenlos ausgeführtes Plädoyer für klare Grenzen und deutliche Worte gelungen.Eingebetteter MedieninhaltPlaceholder infobox-1



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Von Veritatis

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