Doku Jialing Zhangs „Total Trust“ zeigt, wie Peking mit „Big Data“ an der Überwachung seiner Bürger arbeitet und sie mit „smarten“ Lösungen zur gegenseitigen Kontrolle animiert. Ein seltenes Vordringen in die totalitären Verhältnisse in China?
Zijuan Chen kämpft mit Sohn Tutu für die Freilassung ihres Mannes, des Anwalts Weiping Chang
Foto: Filmtank/Piffl Medien
Hammer und Sichel leuchten am Nachthimmel. Kurz darauf brennt ein Feuerspektakel Jahreszahlen in das Firmament. Menschenmassen schwenken rote Fähnchen, Unzählige tragen die Nationalflagge direkt im Gesicht. Es sind gigantische Propagandabilder vom 100. Jahrestag der Kommunistischen Partei Chinas, mit denen Regisseurin Jialing Zhang (Land der Einzelkinder) ihren Dokumentarfilm eröffnet. Sie werden begleitet von einem Duo, das die Glorie der Staatsführung besingt. „Nur die Kommunistische Partei kann ein neues China bauen“, heißt es in dem modern klingenden Popsong.
Davon, wie unheilvoll dieser Umbau hinter dem schillernden Schein tatsächlich ist, wie er sich selbst in die privatesten Sphären eingeschrieben hat und das soziale Miteinander in all s
iteinander in all seinen Facetten durchdringt, erzählt Total Trust. Das Thema, dem sich die im US-amerikanischen Exil lebende chinesische Filmemacherin Jialing Zhang darin widmet, mag für sich genommen bekannt sein: Das Hauptaugenmerk richtet sich auf die perfiden Mittel, die der Einparteienstaat um Diktator Xi Jinping einsetzt, um die Bevölkerung immer weiter zu überwachen und zu kontrollieren.Doch selbst wenn man bereits vom „Social-Scoring“-System, das das Verhalten der Bürger beobachtet und bewertet, gehört hat oder darüber Bescheid weiß, dass sich über die Hälfte aller Überwachungskameras weltweit in China befinden, kann man sich doch nur eine vage Vorstellung davon machen, was dieses permanente „Monitoring“ im Alltag bedeutet. Auch, weil sich das Politbüro in Peking mindestens genauso gut darauf versteht, jede Form der freien journalistischen Berichterstattung zu unterdrücken.Dass Total Trust diese Leerstelle mit erstaunlichen Einblicken füllt, die es nach Willen der Staatsmacht eigentlich gar nicht geben dürfte, ist bereits ein Ereignis. Dass die Aufnahmen darüber hinaus tatsächlich abbilden, welche Dynamiken die Dauerüberwachung innerhalb der Gesellschaft in Gang gesetzt haben, macht den Dokumentarfilm umso aufschlussreicher.Vorauseilender GehorsamIn einem repressiven Regime von „Freiwilligkeit“ zu sprechen, erweist sich selbstredend als schwierig. Dennoch ist Total Trust immer dann besonders frappierend, wenn der vorauseilende Gehorsam aufgezeigt wird, mit dem die Bevölkerung selbst zur gegenseitigen Bewachung beiträgt. Anders ausgedrückt: Wie sehr eine augenscheinliche Mehrheit neben der Angst vor Strafe bisweilen die Agitation der Machthaber schlicht verinnerlicht zu haben scheint.Mitunter vermittelt Zhangs Film, für den sie mit anonymen Aktivisten vor Ort zusammenarbeitete, das beinahe beiläufig. Denn Total Trust folgt meistens „den anderen“, jenen Protagonisten, die sich gegen die Machenschaften der politischen Führung ausgesprochen haben, oder Personen aus ihrem persönlichen Umfeld, die damit nun ebenfalls unter Repressalien leiden. Zijuan Chen und ihr Sohn Tutu gehören dazu. „Mein Mann ist Anwalt. Die Polizei hat ihn am 12. Januar 2020 verhaftet“, erzählt sie. Seitdem habe sie ihn nicht mehr gesehen. Auch wo er sich mittlerweile befindet, ist unbekannt. Weiping Chang unterstützte offen die #MeToo-Bewegung und vertrat beispielsweise Mandanten, die im Rahmen von Zwangsabrissen ihr Zuhause verloren. Der offizielle Grund für seine Festnahme, führt seine Frau Chen aus, laute „Anstiftung zum Umsturz der Staatsgewalt“; eine klar aufgebauschte Anklage.Auch Journalistin Sophia Xueqin Huang, die im Film etwa von den manipulativen Methoden der Polizei berichtet, mit der man sie zu einem Geständnis bewegen wollte, steht dieser Tage wegen ominöser „Umsturz“-Beschuldigungen vor Gericht. Bei früheren Verhaftungen hätten die Beamten gemerkt, dass sie mit den üblichen Foltermethoden nicht weiterkämen, und hätten es stattdessen mit einem „individuellen“ Ansatz versucht, berichtet sie. Durch ihr Kaufverhalten wussten sie davon, dass sie demnächst ihre Periode bekäme, und versuchten es mit „Empathie“, boten ihr etwa krampflösende Tees an.Nach ihrer vorläufigen Freilassung waren dann plötzlich mehrere Überwachungskameras auf ihre Wohnung gerichtet. Die sei sie aber, erzählt sie mit einem verschmitzten Lächeln, durch das laute Vorlesen aus George Orwells 1984 und Singen von Liedern aus Les Misérables überraschenderweise wieder losgeworden. Der Mut, mit dem Huang und die anderen Aktivisten in Total Trust den Zermürbungstaktiken des Parteienstaats begegnen, ringt immer wieder Respekt ab. Gerade weil der Film nicht nur aufzeigt, wie systematisch die chinesische Regierung auf Überwachungstechnologie zurückgreift, sondern auch, wie sehr sie auf die Unterstützung aus der Bevölkerung baut, um jeden potenziellen Widerspruch gegen ihre Praktiken zu unterdrücken.Das unterstreicht auch die Geschichte von Anwalt Quanzhang Wang und seiner Familie. Nachdem Wang im Jahr 2015 bei einer öffentlichkeitswirksamen Razzia gegen 300 Rechtsvertreter, die sich für Bürgerrecht engagierten, verhaftet wurde, schloss sich seine Frau Wenzu Li mit anderen betroffenen Frauen zusammen. Wie Privataufnahmen zeigen, brauchte es für das Auflösen ihrer gemeinsamen Protestaktionen gar nicht erst die Polizei, weil unbeteiligte Bürger bereits einschritten, die Frauen als „Schande für das chinesische Volk“ beschimpften und von der Straße schubsten, bevor Polizisten eintrafen.Dass das Regime das Ausspionieren von Anderen als wechselseitige Wachsamkeit im Dienste der allgemeinen Sicherheit, gar als bürgerliche Tugend, umzudeuten versucht, verdeutlicht das umfangreiche Propagandamaterial, das Total Trust immer wieder mit den Berichten seiner Protagonisten verwebt. Ein im Rahmen des Sharp- Eyes-Projektes veröffentlichtes Video bewirbt etwa einen „modernen Kabelanschluss“, mit dem sich die Bilder öffentlicher Überwachungskameras auf der heimischen Couch empfangen lassen. Der nach dystopischer Science-Fiction klingende Slogan dazu: „Jeder kann wachsam sein!“Und das Kalkül geht auf, so selbst kleinteiligste Kontrolle zu erzielen – zumindest in Kombination mit der Androhung, durch einen niedrigen Wert in besagtem Sozialkredit-System auf Flug- und Zugreisen verzichten zu müssen oder schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Beispielhaft zeigen das Programme wie im ostchinesischen Rongcheng. Die Küstenstadt ist in Sektoren eingeteilt, in denen ein „Beauftragter“ über je 400 Wohnungen oder 1.000 Bewohner wacht.Total Trust ist es gelungen, mit einer solchen „Beauftragten“ zu sprechen. Stolz gibt sie an, dass sie sich um „Anliegen in der Nachbarschaft“ kümmere. Sie führt aus, dass man auf manche Bewohner „besonders achten“ müsse, weil sie „Probleme“ hätten. Praktisch bedeute das, dass sie täglich Protokolle über die „Aktivitäten“ der von der Partei benannten „Zielpersonen“ anfertigt und an eine „höhere Ebene“ weiterleitet.Wenn die Interviewte daraufhin die spielerische „Wettbewerbsatmosphäre“ einer zugehörigen App lobt, in der sich durch die Teilnahme an nächtlichen Patrouillen und Entrümpelungsaktionen Punkte sammeln lassen, die wiederum in Preise wie Stäbchenhalter umgetauscht werden können, fühlt man sich unweigerlich an die Leichtherzigkeit erinnert, mit der man hierzulande – ohne jeglichen Zwang – im Rahmen von „Bonusprogrammen“ seine Daten an der Supermarktkasse für ähnlichen Ramsch veräußert.Ohnehin mag Total Trust zuerst ein seltenes journalistisches Vordringen in die totalitären Verhältnisse in China sein. Gleichsam hat Jialing Zhang aber auch einen Dokumentarfilm über die Macht von Big Data geschaffen, der immer wieder alarmierende Kritik an naiver Digitalisierungsbegeisterung und der absoluten Messbarmachung des eigenen Ichs durchscheinen lässt.Für „smarte Nachbarschaften“, ein „smartes Verkehrswesen“ und sogar „smartes Essen“ wirbt ein weiterer Werbefilm der chinesischen Regierung und verwendet damit das gleiche Wording, mit dem auch im Westen etwa ständig zuhörende Sprachassistenten, jede Bewegung aufzeichnende Armbanduhren oder vernetzte Haushaltsgeräte angepriesen werden. So macht Total Trust am Ende auch das klar: Der entscheidende Unterschied liegt nicht in der Verfügbarkeit der Technologie, denn die gibt es hier wie dort. Sondern nur in den politischen Machtverhältnissen und der gesellschaftlichen Stimmung. Das blinde Vertrauen darauf, dass sich daran niemals etwas ändert, dass die gesammelten Daten niemals in falsche Hände geraten, wirkt nicht erst nach Zhangs Film sträflich leichtsinnig.Eingebetteter MedieninhaltPlaceholder infobox-1