Der Begriff der „Klimagerechtigkeit“ ist in den vergangenen Jahren zur Zauberformel kluger Umweltpolitik aufgestiegen. Er ziert nicht nur Demoplakate der Klimabewegung, sondern hat auch Eingang in den Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung gefunden. Ihren Höhenflug verdankt die Klimagerechtigkeit dem Versprechen, Klima- und Sozialpolitik zu verbinden, und das im globalen Maßstab.

Nun hat sich der deutsche Ethikrat des Begriffs angenommen. Seine Stellungnahme dazu will keine bloße Theorie für akademische Debatten aufstellen, sondern vielmehr Handlungsempfehlungen abgeben, wie sich die „Mammutaufgabe“ der Klimakrise gerecht bewältigen lasse, „ohne dass uns allen dabei die Puste ausgeht“ – so die Ratsvorsitzende Alena Buyx.

Frage

andlungsempfehlungen abgeben, wie sich die „Mammutaufgabe“ der Klimakrise gerecht bewältigen lasse, „ohne dass uns allen dabei die Puste ausgeht“ – so die Ratsvorsitzende Alena Buyx.Fragen der Gerechtigkeit entzünden sich für den Ethikrat vor allem an der Ungleichheit bei der Verantwortung für und der Betroffenheit durch die Klimakrise. In seiner Stellungnahme weist er dies auf nationaler, internationaler und intergenerationaler Ebene aus. National wie international hätten arme Menschen besonders unter den Belastungen durch die Klimakrise zu leiden, zu deren Verursachung sie jedoch wenig beigetragen haben. Intergenerationell müssten die kommenden Generationen die Hauptlasten der Klimakrise schultern. Bei Klimagerechtigkeit geht es für die Ethiker:innen nun um eine gerechte Verteilung der „Lasten und Verantwortlichkeiten“ in all diesen Beziehungen.Der Ethikrat rennt offene Türen einEs gelte, den am stärksten vom Klimawandel Betroffenen durch Transferleistungen „Mindestbedingungen eines guten, gelingenden Lebens“ zu garantieren, also den Zugang zu Gesundheitsversorgung, Ernährung, Sicherheit oder Mobilität. Auf diese Weise will der Rat unterschiedlichen Gerechtigkeitsanforderungen Genüge tun: bei der Verteilung sozialer Lasten die am stärksten Benachteiligten bevorzugen und allen Menschen die gleichen Möglichkeiten eines gelingenden Lebens gewähren.Eine gerechte Verteilung der Verantwortlichkeiten in der Klimakrise will der Ethikrat mit dem Konzept der „Multiakteursverantwortung“ erreichen. Gemeint ist: Einzelne, Unternehmen und Staaten reden sich nicht länger mit Verweis auf andere Verantwortungsträger raus, sondern tragen das ihre zur Bewältigung der Klimakrise bei. Jeder und jede Einzelne soll moralische Mitwirkungspflichten übernehmen und im Rahmen seiner/ihrer Möglichkeiten etwa das Mobilitätsverhalten ändern; private Unternehmen sollen sich ihren Verantwortungen etwa durch einen nachhaltigen Ressourcenverbrauch stellen; Staaten sollen entsprechende Rahmenbedingungen für die individuellen und unternehmerischen Transformationen schaffen.Schließlich soll nach Votum des Ethikrats auch die politische Umsetzung der Krisenbewältigung gerecht vonstattengehen. Hier setzen die Ethiker:innen auf partizipatorische Aushandlungsprozesse, in die alle Menschen einbezogen werden, die jetzt und künftig von der Klimakrise betroffen sind. Auf internationaler Ebene seien „internationale Institutionen zur gerechten politischen Entscheidungsfindung in Klimafragen“ aufzubauen; und intergenerational jüngere Menschen als Vertreter:innen künftiger Generationen stärker in die politischen Prozesse einzubeziehen als bisher.Mit dieser generellen Stoßrichtung rennt der Ethikrat bei vielen – und insbesondere: bei der politischen Linken – offene Türen ein. Der Teufel liegt jedoch im Detail: in der konkreten Umsetzung. Hier wird die Stellungnahme von einer analytischen Schwäche eingeholt. Der Ethikrat tritt als Sprachrohr ethischer Vernunft auf. Die bestehenden ökonomischen und politischen Machtverhältnisse, in denen er sich selbst bewegt, nimmt er aber nicht allzu ernst. Dabei lassen sich zentrale Aspekte seiner Konzeption von Klimagerechtigkeit unter den bestehenden Machtverhältnissen nicht umsetzen.Der Kapitalismus stabilisiert sich durch WachstumDa ist etwa die zentrale Forderung, in den Ländern des Globalen Nordens mit dem Wachstum bei Konsum und Ressourcenverbrauch Schluss zu machen. Rational scheint dies alternativlos. Gleichwohl ist nicht abzusehen, wie gesellschaftlich das geforderte „Ende der Ausrichtung auf quantitatives Wachstum“ eingeläutet werden könnte. Das hat mit den gesellschaftlichen Kontexten des Wachstums zu tun, die der Ethikrat abblendet: dass sich die kapitalistische Wirtschaftsordnung durch Wachstum stabilisiert. Nun hat unter anderem Ulrike Herrmann jüngst gezeigt, dass „grünes Wachstum“ eine Schimäre ist.Im Rahmen der kapitalistischen Marktordnung ist es ohne massive Rezession, Arbeitslosigkeit, Verarmung und soziale Konflikte nicht möglich, aus der Wachstumsspirale von Produktion, Konsum und Verbrauch fossiler Energien auszusteigen. Für den ethischen Einsatz für Klimagerechtigkeit bedeutet das: Er muss sich mit ökonomischen Anstrengungen verbinden, die kapitalistische Marktwirtschaft zu überwinden – oder er wird zahnlos. Der Ethikrat hält Distanz zur Ökonomie und macht keine Vorschläge, wie der Übergang in eine Postwachstums- oder Kreislaufwirtschaft zu machen wäre. Sein ethischer Appell, mit dem Wachstumsstreben zu brechen, spricht er in den Wind.Nicht besser ist es um die Forderung bestellt, durch Transferleistungen allen Menschen „Mindestbedingungen eines guten, gelingenden Lebens“ zu garantieren. Dazu gehört, die Bewohnbarkeit auch der Gegenden im Globalen Süden sicherzustellen, die jetzt bereits von Überschwemmung oder Dürre bedroht sind. Moralisch kann man sich der Forderung nach entsprechenden Transferzahlungen an die ärmsten Staaten kaum entziehen. Gleichwohl ist auch ihre Umsetzung gegenwärtig äußerst fraglich.Moralisch wissen wir uns auf der richtigen SeiteDer Ethikrat fordert „möglichst breite internationale Kooperationen“. Politische Vorschläge, wie dies angesichts der globalen Blockbildungen zwischen den USA, China, Russland, Indien und Europa zu leisten wäre, macht er nicht. Solange jedoch entsprechende Abkommen fehlen, ist es für kein Land opportun, seinen Staatshaushalt durch massive Transferleistungen zu belasten. Damit stellt sich auch die Forderung des Ethikrats an die westliche Politik nach Solidarität mit dem Globalen Süden als wohlfeiler moralischer Appell dar.Aus den skizzierten Umsetzungsproblemen lassen sich Lehren für die Klimagerechtigkeit als politischem Leitbegriff ziehen. In den gegenwärtigen Machtkonstellationen lassen sich die Lasten und Verantwortlichkeiten der Klimakrise nicht gerecht verteilen. Politisch tut die Zivilgesellschaft gleichwohl gut daran, auch weiterhin auf Klimagerechtigkeit zu pochen. Ethische Gerechtigkeitskonzeptionen müssen aber von Ansätzen politischer und ökonomischer Erneuerung begleitet werden, wenn sie nicht ins Leere laufen oder in ethischen Kitsch kippen sollen.Die Klimakrise wird nicht gelöst, aber moralisch wissen sich alle auf der guten Seite der Klimagerechtigkeit: indem sie individuell im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf eine Fernreise oder einen Rinderbraten verzichten, in ihren Unternehmen Nachhaltigkeitsrichtlinien erlassen und politisch den Ausbau der E-Mobilität fördern. Derweil erhitzt sich der Planet weiter, und es verschlechtern sich die Lebensbedinungen im Globalen Süden.



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Von Veri