Eines vorweg: Eine der üblichen Abbitten vor Artikeln über AfD-Politiker allgemein und Björn Höcke im Besonderen verkneife ich mir. Ich finde: Journalisten, die ihren Beruf ernstnehmen, müssen gegenüber jedem Politiker und jeder Partei distanziert sein. Wenn sie glauben, das bei irgendeiner Partei oder irgendeinem Politiker besonders herausstellen zu müssen, ist das in meinen Augen verdächtig und sie machen sich damit unglaubwürdig.
Aber nun zur Sache. Ich war im Geschichts-Leistungskurs und habe mich immer sehr viel mit Geschichte befasst, vor allem der des „Dritten Reichs“. Mir war sehr geläufig, dass der Spruch „Jedem das Seine“ von den Nationalsozialisten auf die übelste Art und Weise missbraucht wurde, indem er als Inschrift auf dem Haupttor des Konzentrationslagers Buchenwald prangte. Wo Abertausende auf schlimmste Weise gequält wurden. Unter bzw. hinter genau dieser Aufschrift.
Dass „Alles für Deutschland“ eine SA-Losung war, war mir hingegen bis zur Causa Höcke völlig unbekannt. Und auch keinem meiner Leser, die heute auf eine entsprechende Telegram-Frage von mir antworteten.
Umso größer ist meine Verwunderung über das, was jetzt geschieht. Wegen Verwendung der weithin unbekannten SA-Losung steht der AfD-Poilitiker Björn Höcke jetzt vor dem Landgericht Halle – an dessen Fassade, rund 60 Kilometer von Buchenwald entfernt, für jedermann gut lesbar der Spruch „Jedem das Seine“ prangt (auf „Google Maps“ ist eine weitere Aufschrift auf dem Gebäude verpixelt – wer weiß, was da noch steht!)
Müsste die Staatsanwaltschaft jetzt nicht auch die Verantwortlichen im Landgericht anklagen?
Aber Recht scheint eben nicht mehr gleich Recht zu sein im Linksstaat Deutschland.
Mein Verdacht: Fast allen anderen, die sich jetzt so lautstark echauffieren, war ebenso unbekannt wie mir und meinen Lesern, dass „Alles für Deutschland“ eine SA-Parole war.
Die meisten Journalisten der Staatsmedien tun jetzt aber so, als hätten sie schon immer alles gewusst. Bild-Journalist Uwe Freitag etwa erweckt in seinem Artikel heute wie so viele Journalisten den Eindruck, Höcke habe den Spruch kennen müssen. Haben Sie selbst ihn gekannt, Herr Freitag? Sie als Bild-Journalist hätten das müssen, wenn man Ihre eigene Logik als Maßstab anlegt – und nicht meine Unkenntnis.
Besonders peinlich wird es, wenn man genauer hinsieht.
Ausgerechnet die „Bild“, für die Uwe Freitag schreibt, nutzte während der Fußball-WM 2006 in ihrer Berichterstattung massiv den Anfeuerungsruf von Frank Beckenbauer vor dem Spiel Deutschland–USA: „Gebt alles für Deutschland!“
Anderer Wortlaut, werden Sie nun sagen? Nein, diese Argumentation trägt nicht. Denn auch bei Höcke stand die Losung nicht allein – ein ganz wesentlicher Aspekt der ganzen Causa. Höcke sagte wörtlich: „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland“.
Der „Spiegel“ veröffentlichte in der Ausgabe 37/23 am 8. September 2023 einen Kommentar von Stefan Kuzmany zum „Deutschland-Pakt“ der Bundesregierung unter genau dieser Überschrift: „Alles für Deutschland.“ Später änderte das Magazin die Überschrift, wie „Tichys Einblick“ jetzt in einem Text zu dem Thema darlegt.
„Alles für Deutschland“ tauchte demnach auch früher schon in einer „Spiegel“-Schlagzeile auf – in der Ausgabe 42/1952. Es stand über einem Text über eine paramilitärische Untergrund-Gruppe. Einen Bezug zur SA gab es dabei nicht.
Auch die CSU-Politikerin Dorothee Bär benutzte die Worte „Alles für Deutschland“ öffentlich:
Von einer Anklageerhebung gegen die CSU-Frau ist nichts bekannt.
Der Satz, für den Höcke jetzt in Halle vor Gericht steht, prangte außerdem unbeanstandet mehr als 80 Jahre lang an dem Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr Jänschwalde, bevor er 2021 entfernt wurde, wie „Tichys Einblick“ sich erinnert. Der „Tagesspiegel“ kommentierte damals, die Inschrift sei „jahrzehntelang keinem aufgefallen“.
Sowas aber auch!
Die Staatsanwaltschaft – weisungsgebunden gegenüber der Regierung, deren schärfste Konkurrenz die AfD ist – und viele Journalisten argumentieren nun, es komme immer auf den Kontext an. Wenn eine CSU-Politikerin oder ein „Spiegel“-Journalist dasselbe äußerten wie Höcke, ist es demnach nicht das Gleiche. Weil Höcke eben ein Böser sei, ein „Rechtsextremer“. Zu Ende gedacht bedeutet dieser Gedanke: Ob eine Tat strafbar ist, hängt nicht von der Tat ab – sondern davon, wer der Täter ist. Die Gleichheit vor dem Gesetz wäre damit Geschichte. Sozusagen einer der vielen Kollateralschäden im „Kampf gegen rechts“.
Auch wenn man nicht umhin kommt, zu konstatieren, dass Höcke gerne mit Sprach-Anspielungen kokettiert, die mehr als geschmacklos sind (etwa Feinde „aussschwitzen“): Im vorliegenden Fall kommt man nicht um den Verdacht herum, dass eine weisungsgebundene Staatsanwaltschaft sich hier für eine politische Aktion missbrauchen lässt. Die Höcke schaden und ihn im Falle einer Verteilung sogar um seine Wählbarkeit und damit seine politische Tätigkeit bringen soll.
Es ist ein Treppenwitz, dass die sogenannten Kämpfer gegen vermeintliche Demokratiefeinde ausgerechnet die Methoden echter Demokratiefeinde verwenden und genau wie diese agieren.
PS: Geradezu putzig finde ich die Relativierungsversuche von Rot-Grün. In einer Diskussion zu der Aufschrift „Jedem das Seine“ auf dem Landgericht schrieb ein Leser des stramm linken „Standard“: „Die lateinische Redewendung Suum cuique (deutsch: Jedem das Seine im Sinne von Jedem nach seinem Verdienst) ist seit antiken philosophischen Theorien der Moral und Politik ein für die Fassung von Begriffen des Rechts und der Gerechtigkeit“ üblicher Ausdruck. Ach so! Dieser Begriff bleibt trotz Missbrauchs durch die Nazis unschuldig – Höckes „Alles für Deutschland“ dagegen nicht. Ideologie und Logik schließen sich aus – man dreht sich alles so hin, wie es ins Weltbild passt.
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Bilder: Screenshot Youtube-Video WELT / Google-Maps