Geschlechterrollen, die sich verändern, und die Herausforderungen der modernen Gesellschaft: Männercoachings versprechen Unterstützung bei der Bewältigung persönlicher Herausforderungen. Unzählige Angebote für Einzelcoachings, Gruppenworkshops und Abenteuerreisen zielen darauf ab, Männer aus der Komfortzone zu locken, damit sie gestärkt aus ihren Krisen hervorgehen. Was genau macht diese Coachings für Männer so attraktiv, und vor allem: Wie viel Antifeminismus steckt darin?
Einer der bekanntesten Anbieter für Männercoachings in Deutschland ist der frühere Modefotograf John Aigner. Er arbeitet mit einer selbst entwickelten Technik, die er „Male Depth“ (auf Deutsch: „männliche Tiefe“) nennt. Zie
nennt. Ziel sei es, erklärt er auf seinem Youtube-Kanal und auf seiner Internetseite, „den archaischen Kern der Männlichkeit“ herauszuarbeiten. Aigner bezieht sich dabei auf das Werk Eisenhans. Ein Buch über Männer des US-amerikanischen Schriftstellers Robert Bly, das 1990 erschien. In diesem Buch unternimmt Bly eine psychologische Analyse des gleichnamigen Märchens der Gebrüder Grimm, um Männern Wege dafür aufzuzeigen, wie sie mit ihrer eigenen Männlichkeit umgehen können. Mit seinem Buch hat Bly die internationale Männerrechtsbewegung seit den 1990er Jahren nachhaltig inspiriert, indem er Männer als „Diskriminierte der Gesellschaft“ verortete.Ein Abo-Hit bei YoutubeBemerkenswert ist, dass weder Bly noch Aigner über fachliche Expertise in der psychologischen Forschung zu Männern und Männlichkeit verfügen. Was die Teilnehmer dieser Coachings nicht nachhaltig zu stören scheint. Sven Philipp und Martin Rheinländer erreichen über ihren Youtube-Kanal Männlichkeit stärken über 80.000 Abonnent*innen. Die Grenzen des Männercoachings zur Pick-up-Artists-Szene oder zum Lebenscoaching sind fließend, und die Akteure sind miteinander vernetzt. Sie treten beispielsweise gemeinsam auf der von John Aigner seit 2014 jährlich organisierten Konferenz „Mann sein – Europas größtes Event für Männer“ auf. Viele der Coaches sind weiße Männer, so wie ein Großteil der Teilnehmer dieser Veranstaltungen.In einer Gesellschaft, in der Männer von Identitätsangeboten umgeben sind, die sie dazu ermutigen, ihre Gefühle zu unterdrücken, bieten diese Coachings einen vermeintlich „sicheren Raum“ für offene Gespräche mit anderen Männern. Manche Coachings wollen Männer tatsächlich in ihren Krisen abholen. So verweist das Bundesforum Männer darauf, dass durch Coachings Veränderungsimpulse gesetzt werden können. Der bundesweite Dachverband für gleichstellungsorientierte Männerarbeit und -politik betrachtet viele dieser Angebote dennoch kritisch.Denn dort klingt immer wieder antifeministische Rhetorik an. „Coaching“ ist kein geschützter Begriff – praktisch jeder kann als Coach tätig werden und mit ernsthaften Problemen anderer Geld verdienen. Die tiefenpsychologische Behandlung von individuellen und psychischen Problemen erscheint hier als konträr zu den Coaching-Angeboten: In therapeutischen Sitzungen wird in erster Linie geredet. Die eigenen Baustellen werden im Kontext des Aufwachsens und auch – je nach Ansatz – gesellschaftlicher Verhältnisse reflektiert. Männercoaching-Angebote sind niedrigschwellig, online zugänglich und versprechen schnelle Heilung. Zum Einstieg dienen kostenlose Erstgespräche und eigene Bücher als Leseempfehlung, auf die teure „Sitzungen“ folgen. Denn in der Denkart dieser Anbieter gilt: Wer nicht zahlen kann, will nicht in sich investieren.Tradierte Rollenbilder verfestigenEin Grund für die Attraktivität dieser Angebote scheint außerdem die Thematisierung „echter Männerprobleme“ zu sein. Die Angebote greifen gängige Problemlagen auf, die durchaus auch Frauen und Personen mit anderen marginalisierten Geschlechtsidentitäten betreffen. Sie stilisieren sie zu Problemen, die vermeintlich speziell Männer betreffen: Dazu gehören Unsicherheiten im Umgang mit Krisen, Beziehungskonflikte, Herausforderungen im Beruf, Probleme im Sexualleben oder in der Vaterrolle. Mit „Männergesprächen auf Augenhöhe“ wird in diesen Sphären Männlichkeit nicht als ein soziales Konstrukt begriffen, das einen kritischen Blick auf die eigene Sozialisation als Mann und daraus resultierende Folgen in der Gegenwart erlaubt.Im Gegenteil: In Anlehnung an tradierte Rollenbilder werden Männer als Kerle angesprochen. Dabei wird auf eine breite Palette (pseudo)psychologischer Ansätze zurückgegriffen, mit esoterischen und spirituellen Anleihen: Männlichkeit wird als ausschließlich positiver Bezugsrahmen genutzt. Das Thema Gewalt und die Bewältigung eigener Gewalterfahrungen werden ausgeblendet. Dabei geht partnerschaftliche Gewalt in über 80 Prozent der Fälle von Männern aus. Wenn im Kontext von Männercoachings Authentizität, Selbstakzeptanz und ein Verständnis von Männlichkeit jenseits der Konformität mit stereotypen Verhaltensweisen betont werden, liegt dieser Haltung eine biologistische Argumentation zugrunde. Aus der psychologischen Männer- und Männlichkeitsforschung ist hingegen bekannt, dass Männer, deren Verhalten sich nicht maßgeblich an traditionellen Männlichkeitsvorstellungen orientiert und so zu mehr Gleichberechtigung in Beziehungen beiträgt, zufriedener sind. Kurz: Die Aufgabe, die sich daraus ableitet, ist, dass Männer sich ein Leben lang von gewaltaffiner und hegemonialer Männlichkeit lösen müssen. Es bräuchte also auch hier einen Paradigmenwechsel.Mehr profeministische MännerberatungWarum entschließen sich nicht weitaus mehr Männer für eine Therapie? Obwohl sie ähnlich häufig wie Frauen von psychischen Erkrankungen betroffen sind, sind nur 30 Prozent der Patient*innen in Praxen Männer.Nach einer Erhebung der Kassenärztlichen Vereinigung waren 2022 über 77 Prozent der Therapeut*innen in Deutschland Frauen. Boris von Heesen, Männerberater und Autor des Buches Was Männer kosten. Der hohe Preis des Patriarchats, sieht darin ein politisches Problem: „Es braucht dringend bundesweite Standards sowie eine staatliche Finanzierung für gleichstellungsorientierte, profeministische Männerberatung. Nur hier werden Männer in Krisen in ihrer ganzen Vielfalt angenommen und entdecken durch Aufbrechen von Rollengefängnissen – im Grunde das Gegenteil der Arbeit der Männercoaches – neue Perspektiven für ihr Leben in einer geschlechtergerechten Gesellschaft.“In einem System, das das Gesundheitswesen kaputtgespart hat, wird der Zugang zu Therapieangeboten zum Privileg. Coaching scheint der simplere Weg zur Lösung von Problemen zu sein. Zumindest für diejenigen, die das Geld dafür aufbringen können. Die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Bewegung sind noch nicht abzusehen. Es ist anzweifelbar, dass sie feministische Früchte tragen wird. Wo Männer Unsicherheit verspüren, suchen sie zu oft nach einfachen Antworten. Oder eben nach Männern, die aus ihnen Männer machen sollen.