Die Europatour Xi Jinpings hält für den Reisenden eine Grunderfahrung bereit – er wird, teilweise von seinen Gastgebern, vor allem aber medial, über seine Politik aufgeklärt und das gründlich. Es hagelt Erziehungseinheiten. China wird eine Art Komplizenschaft mit Russland und folglich eine Mitschuld am Ukraine-Krieg unterstellt, aber ausgeblendet, dass es durch Peking eine ganze Reihe von diplomatischen Initiativen gab, um eine Waffenruhe und Verhandlungen zu vermitteln. Da sie Russland stets einbeziehen, wohnt diesen Vorstößen ein gewisser Realismus inne. Mehr Sinn für das Machbare jedenfalls, als das der für den 15./ 16. Juni anberaumten Ukraine-Konferenz in der Schweiz bescheinigt werden kann, zu der Russland von vornherein nicht eingeladen ist. Wozu soll das gut sein?

Dass Chinas Präsident am 8. Mai in Belgrad sein will, hat etwas mit Geschichtsbewusstsein zu tun

Als Xi zum Auftakt seiner Reise in Paris neben Präsident Emmanuel Macron auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen traf, waren ihm Vorwürfe gewiss, durch eine gezielte Förderung und Subventionen eigenen Unternehmen zu viel Wettbewerbsfähigkeit angedeihen zu lassen. Das mag man beklagen oder nicht, die US-Amerikaner halten es kaum anders, in der EU sind Subventionen – etwa in der Landwirtschaft – ein Lebenselixier, ohne das es die europäische Gemeinschaft kaum gäbe. Ganz abgesehen davon, dass sich das derzeit bestehende Handelsdefizit zwischen der EU und China nicht allein auf Subventionen zurückführen lässt. Dass die Volksrepublik Güter im Wert von 514,4 Milliarden Euro in die EU ausführt, während deren Erzeugnisse nur in einem Wert von 223,4 Milliarden Euro in China Absatz finden, könnte auch etwas mit der Anpassung von Warenangeboten an die Bedürfnisse potenzieller Abnehmer zu tun haben.

Bliebe noch, die Xi ebenfalls begleitende Mutmaßung, er wolle Europa spalten und habe sich deshalb außer nach Paris auch nach Belgrad und Budapest, von Aleksandar Vucic und Viktor Orbán, einladen lassen, die als EU-Anwärter beziehungsweise EU-Mitglied im Ruf des EU-Dissidenten und heimlichen Russland-Sympathisanten stehen.

Dass Chinas Präsident am 8. Mai in Belgrad sein will, hat vor allem etwas mit Geschichtsbewusstsein zu tun. An jenem Tag vor 25 Jahren wurde bei der Bombardierung Belgrads durch NATO-Kampfjets die chinesische Botschaft getroffen, drei Menschen starben. Nie wurde mit letzter Gewissheit geklärt, ob es sich um ein Versehen oder einen gezielten Angriff handelte. In Peking gab es daraufhin tagelang Protestdemonstrationen vor westlichen Botschaften. Ob sie inszeniert waren oder nicht – so viel stand zweifelsfrei fest, die NATO-Luftintervention gegen die Bundesrepublik Jugoslawien war der Grund dafür, dass die diplomatische Vertretung eines Landes in Mitleidenschaft gezogen wurde, welches diese völkerrechtswidrigen Operationen klar abgelehnt hatte.

Da China und Xi Jinping persönlich ein gesteigerter Expansionsdrang im Ost- und Südpazifik nachgesagt wird, sollte der Hinweis erlaubt sein – ob diese Vorwürfe nun zutreffen oder nicht: US-Botschaften in der Region blieben bislang von den Folgen verschont. Sie waren nicht einmal ansatzweise so betroffen, wie das vor einem Vierteljahrhundert für die chinesische Mission in Belgrad zutraf. Dass Xi die ikonischen Bilder eines verwüsteten Gebäudes vom Mai 1999 in Erinnerung ruft, kann ihm niemand verwehren. Zumal China seinerzeit darauf verzichtete, den erfolgten Angriff übermäßig zu seinen Gunsten auszuspielen.

Der Westen wird in Peking häufig als zu anmaßend empfunden

Wie auch dieser Besuch wieder zeigt, findet der Westen zu keinem Umgang mit China, der von einem konsistenten China-Bild ausgeht und halbwegs souverän wäre. Die Angriffe wirken kleinteilig, teils kleinkariert. Sie bezeugen das Unvermögen, mit Chinas strategischer Ambiguität und seiner Blockfreiheit umzugehen, die sich seit der Staatsgründung von 1949 als Entscheidungsfreiheit auszahlt. Xi Jinping lässt sich nicht vereinnahmen, hegemoniales Gebaren ist ihm fremd, er empfiehlt weder anderen einen Wertekanon noch maßt er sich die Einmischung in innere Verhältnisse von Staaten an, wie das derzeit der deutschen Außenpolitik bis zur Anmaßung betreibt.

Deshalb wird in Peking der Westen auch häufig als übergriffig empfunden, aber eher gelassen und maßvoll, wenn überhaupt, in die Schranken gewiesen. Dass China sich in dieser Hinsicht nur selten herausfordern, sondern kühle Souveränität walten lässt, sollte endlich in Paris, Brüssel oder Berlin mehr Beachtung finden, wo man sich vorstellt, das Maß der Dinge zu sein. Vielleicht hilft die Erkenntnis weiter, dass sich heute kein Problem von globalem Rang ohne den Einfluss Chinas lösen lässt.



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Von Veritatis

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