Mitten in der russischen Offensive reist die Außenministerin in die Ukraine. Es soll ein Signal der Solidarität sein. Aber sie hat auch eine Botschaft für die Haushaltsverhandlungen zu Hause dabei.
Deutschland und die Ukraine haben von den internationalen Partnern angesichts der aktuellen russischen Offensive dringend mehr Unterstützung für die ukrainische Luftverteidigung verlangt.
„Jedes Zaudern und jedes Zögern bei der Unterstützung der Ukraine kostet das Leben unschuldiger Menschen. Und jedes Zaudern bei der Unterstützung der Ukraine gefährdet auch unsere eigene Sicherheit“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bei einem gemeinsamen Auftritt mit ihrem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba in der Hauptstadt Kiew. Kuleba warnte: „Wenn man Russland nicht jetzt und hier stoppt, fliegen dessen Raketen irgendwann weiter.“
Ziel des russischen Präsidenten Wladimir Putin sei „die systematische Zerstörung des ukrainischen Energiesystems, weil es in unseren Gesellschaften unsere Lebensader ist“, sagte Baerbock, nachdem sie ein großes Kohlekraftwerk in der Nähe von Kiew besichtigt hatte. Das Wärmekraftwerk war bei einem russischen Angriff mit Raketen im April nach ukrainischen Angaben komplett zerstört worden. Allen müsse zwei Jahre nach Beginn des Angriffskrieges klar sein: „Der russische Präsident kennt kein Limit, keinen Kompass der Menschlichkeit.“ Der beste Schutz gegen russischen Raketenterror sei die Stärkung der Luftabwehr, sie habe absolute Priorität.
International sei fast eine Milliarde Euro zur zusätzlichen Unterstützung der ukrainischen Luftabwehr zusammengekommen, sagte Baerbock. „Aber es ist vollkommen klar: Es braucht noch mehr.“ Deswegen sage sie nicht nur mit Blick auf die Partner, sondern auch auf „unsere eigenen Haushaltsverhandlungen: Schauen wir alle auf diese zerstörten Kraftwerke der Infrastruktur.“ Baerbock ringt mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) in den Verhandlungen um den Bundeshaushalt 2025 um Milliarden-Einsparungen in ihrem Etat.
Baerbock und Kuleba werben für Schweizer Friedensgipfel
Mit Blick auf den von der Schweiz organisierten Friedensgipfel im Juni sagte Baerbock, die Bundesregierung werbe intensiv dafür, dass die Staaten der Welt zu dem Treffen zusammenkämen, „um gemeinsam die Schritte auf dem Friedensweg zu gehen“. Sie könne nochmals bestätigen, dass für Deutschland Kanzler Olaf Scholz (SPD) an dem Gipfel teilnehmen werde, „persönlich, um damit auch andere auf der Welt dazu zu motivieren, ebenfalls mit an dieser Konferenz teilzunehmen“. Kuleba warnte, Russland unternehme große Anstrengungen, um den Gipfel zu sabotieren.
Selenskyj zeichnet Baerbock mit Jaroslaw-Orden aus
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dankte Baerbock bei einem Treffen für die militärische und finanzielle Unterstützung durch Deutschland. „Wir zählen auf Ihre Unterstützung“, betonte er an die deutsche Außenministerin gewandt und ergänzte: „Ich bin froh, dass wir eine solche Verbindung haben.“ Selenskyj dankte auch der deutschen Gesellschaft für die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge in Deutschland.
Der ukrainische Präsident zeichnete Baerbock wegen deren Unterstützung für sein Land mit einem Verdienstorden aus. Selenskyj überreichte der Bundesaußenministerin die dritte Stufe des Ordens Jaroslaw der Weise. Der Orden ist benannt nach dem Großfürsten Jaroslaw dem Weisen, der von 1019 bis 1054 das mittelalterliche Reich der Kiewer Rus regierte.
Baerbock informiert sich über Zerstörungen an Kohlekraftwerk
Beim Rundgang durch ein von russischen Raketen zerstörtes Kohlekraftwerk in der Nähe von Kiew ließ sich die Ministerin über die angespannte Energieversorgung im Land informieren. Nach Angaben des Betreibers war das Werk bei einem Angriff Mitte April komplett zerstört worden. Der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko, der Baerbock begleitete, sagte, Russland habe damals elf Raketen abgefeuert. Davon seien nur sechs von der ukrainischen Luftabwehr abgeschossen worden, da keine Raketen mehr zur Verfügung gestanden hätten.
Besuch in Charkiw aus Sicherheitsgründen abgesagt
Die Ukraine ist aus einem Mangel an Waffen, Munition und Soldaten seit Monaten in der Defensive. Die Millionenstadt Charkiw im Nordosten des Landes wird von Russland über die Grenze hinweg aus kurzer Entfernung bombardiert. Baerbock musste einen am Dienstag geplanten Besuch in Charkiw wegen der russischen Angriffe aus Sicherheitsgründen absagen. Sie hatte die schon zu Beginn des Kriegs von russischen Truppen heftig angegriffene Stadt im Januar 2023 besucht und wollte sich erneut über die Situation der Zivilbevölkerung dort informieren.
Baerbock: Stehen felsenfest an der Seite der Ukraine
Die Bundesaußenministerin sicherte den Menschen in der Ukraine dauerhafte Unterstützung zu. Putin „spekuliert darauf, dass uns irgendwann die Luft ausgeht, aber wir haben einen langen Atem“, erklärte sie. Deutschland stehe gemeinsam mit vielen anderen Ländern aus allen Teilen der Welt felsenfest an der Seite der Ukraine. „Darauf können die Menschen in der Ukraine dauerhaft bauen.“ Das zeige die Bundesregierung im Juni, wenn sie die Welt zur Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine nach Berlin einlade. „Gemeinsam mit unseren Partnern in der Welt und einem starken Bündnis aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Kommunen investieren wir langfristig in eine Zukunftsversicherung für die Ukraine.“
„EU-Beitritt der Ukraine geopolitische Konsequenz aus Angriffskrieg“
Die Bundesaußenministerin nannte einen EU-Beitritt der Ukraine erneut „die notwendige geopolitische Konsequenz aus Russlands völkerrechtswidrigem Angriffskrieg“. Das Land habe „beeindruckende Fortschritte gemacht und ist trotz der russischen Zerstörungswut auf Reformkurs“. Nun gelte es, in den Anstrengungen für eine Justizreform, bei der Korruptionsbekämpfung und der Medienfreiheit nicht nachzulassen. (dpa)
- Mehr Lesekomfort auch für unterwegs
- E-Paper und News in einer App
- Push-Nachrichten über den Tag hinweg
Nein Danke. Weiter in dieser Ansicht.