Frankreichs Überseegebiet Neukaledonien wird von schweren Unruhen erschüttert. Vor rund zehn Tagen entzündeten sich die Krawalle. Der Grund: eine von der Regierung in Paris geplanten Verfassungsreform. Diese soll Tausenden französischstämmigen Bürgern das Wahlrecht und somit mehr politischen Einfluss einräumen. Dagegen wehren sich Befürworter einer Unabhängigkeit der Inselgruppe. Sie befürchten, dass damit der Einfluss der indigenen Kanaken schwindet. Die Kanaken machen 40 Prozent der 270.000 Einwohner der Insel aus.
Neben den Separatisten gibt es auch ausländische Mächte, die laut Bastien Vandendyck, Professor für Geopolitik, zu den Spannungen beitragen und sich von der chaotischen Lage einen politischen Vorteil versprechen. Neukaledonien ist nicht nur wegen des hohen Nikelvorkommens ein begehrtes Gebiet.
Bei den gewaltsamen Protesten waren in der vergangenen Woche mindestens sechs Menschen ums Leben gekommen. Tausende Polizisten versuchen seitdem die Lage unter Kontrolle zu bringen. Trotz aller behördlichen Bemühungen, gelingt es den Separatisten immer wieder Blockaden zu errichten. Die „Randalierer der Unabhängigkeitsbewegung setzen ihre Ausschreitungen fort: Sie brennen, zerstören, plündern und greifen die Bewohner des Großraums Nouméa an“, schreibt Vandendyck.
Auf X/Twitter warnt der Professor für Geopolitik „Ozeanischer Pazifik“ an der Katholischen Universität Lille auch: „Die Unabhängigkeitsbefürworter wollen mit Gewalt erreichen, was sie an den Wahlurnen nicht erreichen konnten: Eine Mehrheit der Unabhängigkeitsbefürworter in Neukaledonien. Deshalb sind wir eindeutig Zeugen eines Staatsstreichs.“
Nicht nur kanakische, sondern auch französische Politiker, machen Emmanuel Macron verantwortlich für die missliche Lage. Der Fraktionsvorsitzende der Union Nationale pour l’Independence im Kongress von Neukaledonien, Jean-Pierre Djaïwé, erklärte beispielsweise, dass der Staatspräsident mit der Ankündigung der Verfassungsänderung im vergangenen Jahr „das Feuer entfacht“ habe.
Doch es spielen auch ausländische Mächte mit, welche die Inselgruppe im Visier haben – und das sind nicht nur China und Russland. Eine große Rolle spielt auch Aserbaidschan.
Herr Bastien Vandendyck, seit einer Woche wird Neukaledonien von gewalttätigen Unruhen heimgesucht. Es sind sechs Tote zu beklagen, darunter zwei Gendarmen. Ist es das erste Mal, dass der Archipel so heftig in Flammen aufgeht?
Es ist nicht das erste Mal, dass der Archipel auf ziemlich außergewöhnliche Weise in Flammen aufgeht. Von 1984 bis 1988 gab es eine Periode des Bürgerkriegs, die in Neukaledonien schamhaft „Les événements“ genannt wird. Diese Zeit hat die Bevölkerung Kaledoniens besonders geprägt. Sie war sehr hart und gewalttätig. Man zählte etwas weniger als hundert Tote auf dem Territorium.
Dennoch gab es nach diesen Ereignissen politische Vereinbarungen, die zu einem jahrzehntelangen Frieden führten.
Doch tatsächlich war Neukaledonien schon lange nicht mehr von einem derartigen Ausmaß an Gewalt erschüttert worden. Und die letzten Tage waren besonders intensiv in Bezug auf die Gewalt, die von militanten Unabhängigkeitsbefürwortern ausgegangen sein könnte.
„Es war unverantwortlich, das Aufweichen des Wählerkreises vor den Olympischen Spielen einzuleiten“, bedauerte der Vorsitzende des RN, Jordan Bardella. Ist Emmanuel Macron für die Situation verantwortlich?
Ich glaube, dass Emmanuel Macron einfach sein Wort gehalten und die demokratische Vorgehensweise angewandt hat. Er hat das Wort gehalten, das der Staat den Kaledoniern gegeben hatte, da sie zuerst 1988 und dann 1998 beschlossen hatten, in einen Weg der Selbstbestimmung mit klar festgelegten Regeln einzutreten.
Alle hatten sich damit einverstanden erklärt. Und diese Regeln besagten, dass die Kaledonier eine bestimmte Anzahl von Abstimmungen durchführen mussten, um zu entscheiden, ob sie Franzosen bleiben würden oder nicht. Dies wurde auch getan. Die Kaledonier haben sich dafür entschieden, Franzosen zu bleiben.
Und die Folge dieser Abstimmung war insbesondere, dass die Übergangsmaßnahmen, die während des Entkolonialisierungsprozesses eingeführt worden waren, gestoppt wurden. Eine dieser Übergangsmaßnahmen war das Einfrieren des Wählerkreises.
Dieses Element war also schon vorher allen bekannt. Und die Tatsache, dass nach monatelangen Verhandlungen das Einfrieren der Wählerschaft eingeleitet wurde, bedeutet nichts anderes, als sein Wort zu halten.
Meiner Meinung nach sind die Aufrührer für die Situation verantwortlich. Wir dürfen die Rollen nicht vertauschen.
Die Unruhen in Neukaledonien rufen auch eine schwere Wirtschaftskrise hervor. Der Nickelsektor ist aufgrund des Preisverfalls auf den Weltmärkten in einer schlechten Lage und die Jugendarbeitslosigkeit ist sehr hoch. Wie lautet Ihre Analyse?
Neukaledonien befindet sich wie alle überseeischen Gebiete in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage, was eine komplizierte wie auch sozial instabile Situation nach sich zieht.
Andererseits hat der Archipel im Vergleich zu anderen überseeischen Gebieten oder sogar dem Pazifikraum über einige Jahre hinweg ein recht starkes Wirtschaftswachstum und eine hohe wirtschaftliche Dynamik erlebt. Neukaledonien ist eines der am weitesten entwickelten Gebiete im Pazifik, weil es sich auf Bergbau, insbesondere Nickel, stützen konnte, der eine treibende Kraft in seiner Wirtschaft war.
Seit einem Jahrzehnt erlebt die Insel jedoch einen starken konjunkturellen Abschwung. Und diese Verlangsamung hat zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Territoriums geführt. Es stimmt also, dass die politische Krise, die wir heute erleben, zu einer Wirtschaftskrise hinzukommt, die die Lage nicht verbessert, sondern sogar noch verschlechtert.
Ausländische Mächte haben zu den derzeitigen Spannungen auf der Inselgruppe beigetragen. Staatliche Stellen haben Aktivitäten von Aserbaidschan bestätigt. Sie beklagten im Gespräch mit „France info“, dass die Führung in Baku eine Strategie der „Vergeltung“ gegenüber Paris verfolge. Der Grund: Frankreich habe die Angriffe Aserbaidschans auf Berg-Karabach verurteilt. Könnten die Einmischungsmanöver Bakus langfristiger Natur sein und über eine Vergeltungsstrategie hinausgehen?
Zuerst war es ziemlich unwahrscheinlich, dass eine ausländische Macht wie Aserbaidschan sich in eine so komplexe und sensible Angelegenheit wie die Kaledonien-Akte einmischen würde.
Doch man muss feststellen, dass dies nun tatsächlich der Fall ist. Diese Einmischung, die ein gewisses Ausmaß hatte, war insbesondere politischer Art, da führende Vertreter, die Verantwortlichen, der kaledonischen Unabhängigkeitsbewegung bereits in der Hauptstadt Baku empfangen wurden.
Es gab seitens Aserbaidschans zudem eine digitale Einmischung, stellte „Viginum“ fest. Über X-, Facebook- oder TitkTok-Konten, die dem Regime in Baku nahestehen, wurden falsche Informationen über die Situation in Neukaledonien in Umlauf gebracht. Es ist zu befürchten, dass diese Faktoren nun länger bestehen bleiben werden.
Viele sind besorgt über den sehr starken Einfluss Pekings in der Pazifikregion und speziell in Neukaledonien. Welche Strategie verfolgt China, um in der Region Einfluss zu üben? Unterhält es enge Verbindungen zu bestimmten, Frankreich gegenüber feindlich gesinnten Bewegungen auf dem Archipel?
Die Kommunistische Partei Chinas und einige der Unabhängigkeitsparteien unterhalten in der Tat enge Beziehungen.
China hat in den letzten zehn Jahren seinen Einfluss im Pazifikraum ausgebaut, um eine Reihe von Zielen zu verfolgen – sei es die Verringerung der Unterstützung Taiwans durch das Ausland, der Ausbau seiner Handelsbeziehungen oder das Entgegenwirken australischer, vor allem aber amerikanischer Einflüsse.
Und Neukaledonien ist seit mehreren Jahrzehnten ein Objekt der Begierde einer Reihe von ausländischen Mächten, weil es von einer äußerst vorteilhaften geografischen Lage und natürlichen Ressourcen profitiert, die bei richtiger Nutzung rentabel sein können.
China blickt durchaus mit Interesse auf dieses französische Territorium. Und hat bereits versucht, sich in die Angelegenheiten des Landes einzumischen, allerdings auf eine viel diskretere Art und Weise als bei früheren Referenden.
Heute ist diese Einmischung weniger spürbar, deutlich weniger als die aserbaidschanische Einmischung. Aber es ist klar, dass man die chinesischen Manöver in der Region im Auge behalten muss, denn in den letzten Jahren hat das Reich der Mitte bewiesen, dass es äußerst effektiv darin ist, seinen Einfluss im ozeanischen Pazifik auszubauen.
Auch in Neukaledonien wurden kremlfreundliche Banner gesichtet. Welche Rolle spielt Moskau?
Moskaus Beteiligung ist weit weniger spürbar als die Aserbaidschans. Dennoch ist der Einfluss, den eine Reihe von Accounts in den sozialen Netzwerken zugunsten der Unabhängigkeitsaktivisten ausüben konnten, vorhanden. Dort wird insbesondere das Handeln des Staates kritisiert. Zudem werden loyalistische Persönlichkeiten ins Visier genommen – ein Modus Operandi, den man in Gebieten wiederfinden kann, in denen Russland extrem präsent war und der sich durchgesetzt hat. Ich denke dabei speziell an Afrika.
In dieser Phase müssen wir darauf achten, dass Moskau im Pazifik mit Frankreich nicht das tut, was es in Afrika getan hat, insbesondere weil Frankreich in diesem Gebiet und vor allem in Neukaledonien die Souveränität besitzt.
Der Artikel erschien in der französischen Epoch Times unter dem Titel „Bastien Vandendyck: «Depuis plusieurs décennies, la Nouvelle-Calédonie fait l’objet de convoitises d’un certain nombre de puissances étrangères»“ (Deutsche Bearbeitung ks).