Raubtier Eine Kolonie im Westen der Hauptstadt wird zunehmend nervös: Regelmäßig liegen tote Exemplare des Raubtieres bei ihnen im Gras. Was bringt die ungebetenen Gäste wohl um? Eine Spurensuche


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Ausgabe 21/2024

Wissen Sie, was zu tun ist, wenn ein toter Fuchs neben Ihrer Laube liegt?

Wissen Sie, was zu tun ist, wenn ein toter Fuchs neben Ihrer Laube liegt?

Alles begann mit einem großen Sandhaufen vor der Laube in unserem Garten in Berlin-Schmargendorf. Über Nacht war der plötzlich da. Mit unseren Nachbarn mailen wir die Fotos hin und her und rätseln. Herbert*, einer von ihnen, meint: Füchse. Aber hier bei uns? Man kann den scheuen roten Freigängern begegnen, wenn man in der Dämmerung an den Versuchsfeldern der Berliner Universitäten vorbeigeht. Sie verschwinden dann schnell wieder. Aber müssen wir uns jetzt auch noch in unserem Garten mit Füchsen herumschlagen? Und das, wo wir doch schon fresshungriger Schnecken und streunender Katzen nicht Herr werden und um nistende Blaumeisen im Pflaumenbaum besorgt sind …

Den Sandhaufen unterm Pflaumenbaum haben wir im März entdeckt, danach trug

anach trugen wir ihn ab. Doch an einem schönen Sonntagnachmittag Anfang April werde ich unversehens aus meiner Gartenlektüre gerissen: Ein kleines rotfahles Etwas sitzt neben mir und schaut mich aus bernsteinfarbenen Augen neugierig an. Als ich erschreckt hochfahre, verschwindet das Füchslein blitzschnell hinter der Laube. Ab sofort werden die ungebetenen Gäste uns noch öfter in Atem halten.Stadtfüchse sind nichts Neues, in Deutschland gibt es sie schon seit den 1950er-Jahren. Ausgesprochen anpassungsfähig, suchen sie nach ökologischen Nischen, wandern zurück in die Stadt, weil es dort mehr Fressbares gibt als in den bewirtschafteten Reservaten, die wir „Natur“ nennen. Wie wir Menschen sind Rotfüchse nicht besonders wählerisch: Neben den von ihnen bevorzugten Mäusen ernähren sie sich von Kleingetier, Vögeln, aber auch von Fallobst und Beeren – und von überall in der Stadt anfallenden Abfällen. Aber während Füchse auf dem Land von 400.000 Hobbyjägern bedroht sind, die jährlich eine halbe Million Tiere erlegen, werden sie in der Stadt nicht gejagt. Deutschland ist inzwischen der Europameister bei der Fuchsjagd.In Brandenburg kommen auf einen Quadratkilometer zwischen 1,6 und 1,8 Füchse. In Berlin sind es fünf, in London 18. Großbritannien war von jeher das Mekka der intelligenten Stadtbewohner, auf der Flucht vor dem eitlen und schießwütigen Landadel. Auf dem Land treten Rotfüchse als Einzelgänger oder Paare auf, in der Stadt überleben sie in kompliziert organisierten Familienverbänden. Doch während der Wildhund in ländlichen Gebieten so alt werden kann wie ein Haushund, erklärt die Wildtier- und Fuchsexpertin Sophia Kimmig in einem hörenswerten Vortrag 2023, dauert ein Fuchsleben in der Stadt durchschnittlich nur 550 Tage. Viele von ihnen werden während ihrer Lebenszeit im Straßenverkehr verletzt.Auf unserem Gelände sind die Füchse zum Gesprächsthema geworden. In Annas Garten ein paar Häuser weiter liegt ein totes Jungtier. Ihr Sohn hat es entdeckt. Auch Lena vom Grundstück hinter uns berichtet aufgewühlt von einem Totfund. Sie ist ratlos und sehr traurig. Wir beginnen, eine Statistik zu führen, und dokumentieren die Tiere per Handy. Vergangenes Jahr, hören wir, habe sich eine Fuchsfamilie in einem Holzstoß einquartiert. Doch dem aktuellen Fuchsbau sind wir immer noch nicht auf die Spur gekommen, obwohl wir ihn auf unserem Gelände vermuten.Fuchsbau unter dem SchuppenMich machen die Eindringlinge nervös, denn ich bin mit Respekt, um nicht zu sagen in Furcht vor Füchsen aufgewachsen. In unserer Gegend war Tollwut nicht selten. Und als häufige Waldgänger wurde uns von frühauf eingebläut, uns vor dem Fuchs in Acht zu nehmen. Selbstverständlich weiß ich, dass die Tollwut seit 2008 in Deutschland offiziell ausgerottet ist, doch die Angst ist geblieben. Und da gibt es schließlich noch den Fuchsbandwurm, durch dessen Eier man tödlich erkranken kann, wenn man ihn unbemerkt aufnimmt, auch wenn die Mär von den Strauchbeeren, die einen infizieren, inzwischen widerlegt ist. Die Krankheit tritt nur selten auf, das Robert-Koch-Institut berichtet für 2018 von 56 Fällen in Deutschland.Dennoch ist sie tückisch, weil durch die lange Inkubationszeit von bis zu 15 Jahren, während der die Larve in der Leberzelle ihr Unwesen treibt, Ursache und Folge meist nicht mehr zu rekonstruieren sind, ähnlich wie bei einer Borreliose. Auch Haustiere können den Parasiten auf den Menschen übertragen, im Gegensatz zur Staupe oder Räude, die nur die Tiere befallen. Die Wahrscheinlichkeit ist aber so minimal wie der Blitz, der einen unversehens trifft, sagt Kimmig. Als wir wieder ein verendetes Jungtier finden, wenden wir uns an die Wildtierberatung des NABU.Tote Jungtiere seien durchaus üblich, erklärt Katrin Koch. Die Quote liegt bei 30 Prozent eines Wurfs. Natürliche Auslese. Im April würden die Jungen noch gesäugt, aber wenn die Mutter nicht mehr auftauche, hätten die Kleinen keine Überlebenschance. „Füttern ist verboten!“, werden wir angewiesen. Und wir sollten uns damit abfinden, es mit Untermietern zu tun zu haben, die zu dulden seien. Die Stadt sei für Füchse inzwischen ein natürliches Habitat.Will man erfahren, was mit den Jungtieren passiert ist, kann man das Veterinäramt einschalten, was allerdings kostet. Sichtlich leidende Jungtiere können durch „Nottötungen“ durch einen Stadtjäger, den die Polizei bestellt, „erlöst“ werden. So lese ich es bei meinen Recherchen in einem offiziellen Text namens Leitfaden nicht nur für die Polizei. Dort wird außerdem darauf hingewiesen, dass in Siedlungsgebieten eingefangene Füchse nicht an entfernten Orten ausgesetzt werden dürfen, sondern in der Nähe ihres Reviergebiets.Inzwischen haben wir die Aushubstelle an der Laube notdürftig dichtgemacht. Doch immer wieder sichten wir hie und da einen Fuchs morgens oder in der Dämmerung. Das Rätsel der Unterkunft löst schließlich ein weiterer Nachbar und weist uns auf einen für uns nicht einsehbaren Zugang unter unserem Geräteschuppen hin: Dort ging die Fähe offenbar ein und aus. Ob noch weitere Jungtiere im Bau liegen, finden wir nicht heraus.Aber es ist ein wirklich komisches Gefühl, über ihnen herumzutrampeln, wenn wir im Schuppen werkeln.Entgegen unserer subjektiven Wahrnehmung kann von einer Fuchs-Invasion in Berlin nicht die Rede sein, lernen wir von Sophia Kimmig. Erstens seien die Ressourcen auch hier beschränkt und die soziale Regulation unter den Tieren funktioniere. Wie viele Füchse genau durch Berlin strolchen, weiß niemand, man schätzt um die 10.000. Gemessen an der menschlichen Stadtbevölkerung, die viel mehr Platz beansprucht, ist das ein Witz. Und die meisten Tiere leben ohnehin unsichtbar, weil sie menschenleere eingezäunte Flächen bevorzugen, an Bahndämmen oder auf Brachen.Können wir mit den Füchsen koexistieren?Zwischenzeitlich finde ich beim Goethe-Institut einen Artikel zum Thema Füchse in der Stadt, ein Beispieltext zur Sprachförderung aus dem Jahr 2022. In einfacher Sprache vermittelt er unsere widersprüchliche Haltung zum Fuchs: Ehemals ein „hinterlistiger Hühnerdieb“, heißt es da, sei der Fuchs nun zum städtischen Lieblingstier geworden. In den Worterklärungen im Anhang wird unter „Hühnerdieb“ vermerkt: „Tier, der/das Hühner/Tiere wegnimmt, ohne es zu dürfen“. Dieses ambivalente Verhältnis zum Fuchs ist in den uns überlieferten Fabeln hinterlegt, die auf uns selbst verweisen. In diesem Text taucht der Fuchs nun aber auch als ebenbürtiges rechtsbewusstes Subjekt auf, das ohne Erlaubnis Hühner reißt.Inzwischen ist es Anfang Mai. Lena, unsere feinfühlige Nachbarin, erzählt, sie fahre jetzt erst mal in den Urlaub. Das Szenario hat sie sehr mitgenommen, und sie mag keine kleinen Leichen mehr begraben, die sie am anderen Tag ausgebuddelt wiederfindet. Der Kulturfolger Fuchs hockt immer noch bei uns. Er nimmt sich alle Rechte, soweit er kann, weil er vom menschlich verbrieften Tierwohl sowieso nichts weiß. Die fette schwarze Katze, die gerne bei uns herumstreunt, hat nun einen Konkurrenten beim Mäusefang. „Der Fuchs ist gekommen, um zu bleiben“, wird Sophia Kimmig im Lerntext zitiert.Vielleicht müssen wir koexistent miteinander leben. Mit den Meisen, die wir von Ferne beschützen wollen und im Herbst dennoch manchmal tot aus dem Gelege bergen. Mit den fresswütigen Schnecken, die uns den Garten vergällen, und unseren beiden Amseln, die wir seit Jahren als Edwin und Erna eingemeindet haben, obwohl es sicher nicht dieselben sind. Vielleicht klappt es auch mit den Füchsen, denen wir irgendwann Namen geben. Ein Schritt in Toleranz, zumindest soweit es sich um Tiere handelt.



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Von Veritatis

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