Superwahljahr 2024 Nie zuvor gab es weltweit so viele Wahlen. Doch die Zahl weiblicher Spitzenkandidatinnen nimmt ab. Es gibt nur ganz wenige Länder, in denen Frauen eine ernst zu nehmende Chance haben, Präsidentin zu werden


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Ausgabe 21/2024

Da kann diese Frau der Opposition schreien, so viel sie will – Mexiko wird am 2. Juni wohl Claudia Sheinbaum zur Präsidentin wählen

Da kann diese Frau der Opposition schreien, so viel sie will – Mexiko wird am 2. Juni wohl Claudia Sheinbaum zur Präsidentin wählen

Foto: Victor Mendiola/AFP/Getty Images

Das Jahr 2024 könnte als das Prüfjahr für die Stärke der Demokratien in der gesamten Welt gesehen werden. Der Grund ist so banal wie simpel: Noch nie zuvor konnten weltweit mehr Menschen zur Wahl gehen als in diesem Jahr. Doch im Vergleich zu den vorhergehenden Wahljahren ändert sich eine Konstante nicht: Kandidatinnen für hohe Führungspositionen sind weiterhin selten.

Nach einer Analyse des Guardian sind von 42 Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, in denen das Staatsoberhaupt gewählt wird und für die Kandidat:innen aufgestellt wurden, 18 Frauen im Rennen. Nur in wenigen Ländern haben Frauen eine ernst zu nehmende Chance zu gewinnen – basierend auf den durchschnittlichen Wahlergebnissen und den Erfolgen der Parteien in der Verg

arteien in der Vergangenheit, für die sie kandidieren.Mit einer Bevölkerungsgröße von mehr als zwei Milliarden gibt oder gab es bei den Wahlen in den größten Demokratien der Welt – den USA im November, Indonesien im vergangenen Februar und in Indien, wo die Wahlen noch bis zum Juni andauern werden – keine weiblichen Spitzenkandidatinnen. Das Gleiche gilt für die kommenden Wahlen in Südafrika und Großbritannien.Hillary Clinton und Nikki HaleyDie Herausforderungen, vor denen Politikerinnen stehen, zeigen sich am beispielhaftesten in den USA – dem reichsten Land der Welt –, wo die Repräsentation von Frauen in der Politik noch vielen anderen wohlhabenden Ländern hinterherhinkt. Als erste Frau schrieb Hillary Clinton 2016 Geschichte, als sie von den US-Demokraten für die Kandidatur um das Präsidentschaftsamt nominiert wurde. Kamala Harris war zwar 2021 die erste Frau im Vize-Präsidentenamt – aber die republikanische Partei musste bis März 2024 warten, bis eine Frau aus ihren Reihen die Vorwahl in einem Bundesstaat gewann: Nikki Haley gab allerdings in weniger als 24 Stunden nach ihrem Sieg in Vermont ihren Präsidentschaftswahlkampf auf.Laut Umfragen sind die Amerikaner:innen generell offen für die Wahl einer Frau an die Staatsspitze. Eine Umfrage des nordamerikanischen nichtstaatlichen Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center aus dem Jahr 2023 ergab, dass etwas über der Hälfte der Bevölkerung der Meinung sind, dass es zu wenige Frauen in hohen politischen Ämtern gibt. Etwa 80 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Politikerinnen mehr als ihre Kollegen tun müssten, um sich zu beweisen.Die Gründe, warum US-Wähler:innen jedoch kontinuierlich ihre Stimme einer kandidierenden Frau verweigern, lassen sich anhand von Studien erahnen. Die Befragten haben dafür häufig Gründe, die auf mehreren Ebenen angesiedelt sind und daher schwieriger zu bekämpfen seien, so eine Forschergruppe der Stanford-Universität. Sie weisen auf ein Phänomen hin, das sie „pragmatische Voreingenommenheit“ nennen: Wähler:innen, die eigentlich eine Kandidatin bevorzugen, wählen sie dennoch nicht. Denn sie glauben, dass andere Wähler:innen sie nicht unterstützen würden. Das Problem der pragmatischen Voreingenommenheit wird durch die oben bereits erwähnte Pew-Research-Umfrage bestätigt. Etwa 80 Prozent der Wähler:innen glauben, dass andere Amerikaner:innen nicht bereit sind, eine Frau in ein höheres Amt zu wählen. Sie glauben also nicht ihrer Stimmmacht, zuungunsten einer Politikerin.Direkt südlich der US-Grenze ist eine völlig andere Dynamik am Werk. Am 2. Juni sehen die Wähler:innen in Mexiko Wahlen entgegen, bei denen sie wohl zum ersten Mal eine Präsidentin wählen werden (der Freitag 15/2024). Das historische Ergebnis war schon im September fast garantiert, nachdem die frühere Bürgermeisterin von Mexico City, Claudia Sheinbaum, als Kandidatin der regierenden Partei gegen die Mitte-Rechts-Senatorin Xóchitl Gálvez aufgestellt wurde.Als Sheinbaum und Gálvez zu Beginn des Jahrtausends in die Politik gingen, waren mehr als 80 Prozent der Senator:innen des Landes Männer. Heute ist die Mehrheit weiblich. Analysten führen das auf eine konzertierte Aktion für ihre stärkere Repräsentation zurück. 2019 schrieb Mexiko eine paritätische Repräsentation in der Verfassung fest. Parteien, die nicht wenigstens 50 Prozent Kandidatinnen aufstellen, können von der Teilnahme ausgeschlossen werden. Seit der Wahl von 2018 wurden mehr Frauen in das Gouverneursamt eines Bundesstaates gewählt als in der gesamten Geschichte des Landes zuvor. Mexikos Parlament hat den vierthöchsten Anteil an Frauen weltweit. Allerdings stehen Mexikos Erfolge in Sachen Repräsentation von Frauen in der Politik im deutlichen Gegensatz zu den Problemen, vor denen Frauen in dem Land stehen.Zahlreiche Studien zeigen, dass Frauen in den Führungsetagen nach wie vor stark unterrepräsentiert sind und deutlich schlechter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen. Mexiko ist auch weiterhin von sexualisierter Gewalt geprägt: 2022 veröffentlichte die Regierung Zahlen, nach denen im Schnitt jeden Tag zehn Frauen getötet werden.Jéromine Andolfatto, politische Referentin bei „European Women’s Lobby“, verweist auf neuere Beispiele in Spanien und Frankreich, die den Umstand belegen, dass eine stärkere Repräsentation von Frauen in der Politik eine enorme Rolle dabei spielt, die Chancen für Frauen und Mädchen im Land zu verbessern.Das spanische Parlament – in Sachen Repräsentationsquote von Frauen bei rund 43 Prozent – trieb 2019 die Verabschiedung des bahnbrechenden „Nur-Ja-ist-Ja“-Gesetzes voran, das das Einverständnis zu einem entscheidenden Kriterium bei Fällen sexueller Übergriffe machte.In Frankreich bereitete die wachsende Zahl von Politikerinnen in den Jahren 2017 und 2022 den Weg für die Verabschiedung eines Gesetzes gegen sexistische Gewalt und ein weiteres, das die Gleichstellung am Arbeitsplatz und im Bildungsbereich förderte. „Natürlich bedeutet das nicht, dass die verabschiedeten Gesetze perfekt sind“, erklärt Andolfatto. „Aber es ist zu sehen, dass Verbesserungen eingeführt werden und Frauenrechten ein bisschen mehr Priorität eingeräumt wird.“ Eine 2023 durchgeführte Studie von European Women’s Lobby ergab, dass bindende Quoten der effektivste Weg waren, um den Anteil an weiblichen Kandidaten – wie es sie in Belgien, Spanien und Frankreich gibt – für die Repräsentation von Frauen zu beschleunigen und Frauen Zugang zu den oberen Ebenen der Macht zu eröffnen. In Ländern mit gesetzlich vorgeschriebenen Frauenquoten für die Kandidatinnen stieg der Anteil der Frauen an den Parlamentssitzen von 18 Prozent im Jahr 2004 auf 34 Prozent im Jahr 2021. „Es ist also ein langsamer Prozess, aber immer noch besser als in Ländern, in denen es keine Quoten gibt“, so Andolfatto.Obwohl Länder wie Mexiko, Spanien und Frankreich eine Blaupause dafür bieten, wie man die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern an der Spitze der Politik erreichen kann, zeigen Daten, dass sich der Fortschritt weltweit gesehen verlangsamt.2023 ging die Zahl der UN-Mitgliedstaaten mit weiblichen Staatschefs auf zwölf zurück, 2022 waren es noch 17. Laut den Vereinten Nationen wird unter den aktuellen Regelungen eine Gleichstellung in den höchsten Machtpositionen für weitere 130 Jahre nicht erreicht.Placeholder authorbio-1



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Von Veritatis

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