Der Polizist, der beim Angriff auf den Islam-Kritiker Michael Stürzenberger, schwer an Kopf und Hals verletzt wurde, ist gestern verstorben. Er wurde bestialisch abgestochen und hinterhältig aus dem Leben gerissen, während er seine Pflicht erfüllte. Wie konnte das passieren?

von Elisa David

Vor laufender Kamera greift ein bewaffneter Terrorist einen Islamkritiker an. Im ersten Moment: Schock. Allgemeines Bestürzen. Selbstverständlich Genesungswünsche von allen Seiten, außer von denjenigen, die der Meinung sind, das Opfer hätte den Angriff schon irgendwie verdient. Und so etwas würde irgendwie von sowas kommen. Doch dann tritt Ruhe ein. Zwischen den Meldungen von Notoperationen, künstlichem Koma und den Tod eines Polizisten bleibt genug Zeit, um wieder und wieder das Video der Tat, die über Livestream-Übertragung im Internet zu beobachten war, zu begutachten, später taucht ein Video aus einer anderen Perspektive im Internet auf. 

Eine Tat, die sich für die Beteiligten in wenigen Sekunden abspielte, ist für das Internet und die ganze Welt nicht nur ständig abrufbar, sondern auch mit einem Replay-Button versehen. Es dauert nicht lange, da liegt der Fokus nicht mehr auf der Frage, wer der Täter ist, auch nicht mehr wer Stürzenberger ist und was es mit der Versammlung auf dem Mannheimer Marktplatz auf sich hatte. 

Im Fokus steht nun das Handeln der Polizisten. Die Rede ist von Polizeiversagen. Wie konnte der Angreifer so viele Menschen verletzen? Hat ein Polizist den Falschen angegriffen? Handelten die Beamten zu zögerlich? Das sind Fragen, die man sich nicht nur in Deutschland stellt. Die Tat fand auch im Ausland eine große mediale Berichterstattung. Auf den sozialen Medien werden die Polizisten und mit ihnen Deutschland international zum Gespött. 

Griff die Polizei den Falschen an?

Verbreitet werden Screenshots, auf denen zu sehen ist, wie sich ein Polizist nicht auf den bewaffneten Angreifer, sondern einen anderen Mann in blauer Jacke stürzt. Dieser Mann in blau wird als mutiger Retter betitelt, der sich furchtlos auf den Angreifer gestürzt haben soll, nur um dann von der Polizei angegriffen zu werden. Aus einem Video, das einen anderen Winkel zeigt, ergibt sich ein anderes Bild. Der vermeintliche Retter scheint nicht auf den Angreifer selbst losgegangen zu sein, sondern schlug wohl versehentlich auf einen anderen Helfer ein, der den Terroristen fixieren wollte. Dann springt der Polizist auf ihn, reißt ihn dadurch von dem Gerangel weg. Plötzlich rammt ihm der Islamist ein Messer in den Nacken, zerschneidet ihm die Stirn, sticht nochmal in den Nacken.

Dieser Polizist heißt Rouven L., er ist Oberkommissar und laut Medienberichten erst Ende 20. Bereits seit dem Tag des Angriffes spekuliert die Presse über seinen Tod. Nach Berichten u.a. der Bild ist davon auszugehen, dass er hirntot ist. Er wird künstlich am Leben gehalten, um eine Organspende möglich zu machen. Die Polizei will das nicht bestätigen, doch auch nicht dementieren. Die Messerstiche sollen sein Gehirn beschädigt haben.

Rouven L. ist wohl tatsächlich der einzige der Polizisten, der schnell und richtig gehandelt hat. Aus seiner Perspektive zu dem Zeitpunkt sprach alles dafür, den Mann in Blau von dem Geschehen zu trennen – ob er ihn nun für den Angreifer hielt oder erkannte, dass er auf den Falschen einschlug.

Er hätte jedoch Rückendeckung gebraucht. Wenn sich ein Polizist den Mann in Blau, einer den tatsächlichen Angreifer geschnappt hätte, hätte die Situation deeskaliert werden können. Seine Kollegen stehen jedoch einige Meter entfernt. Man hört eine hysterische Frauenstimme mehrmals „Messer weg!“ brüllen. Als der Schuss fällt, der den Terroristen endgültig außer Gefecht setzt, sind bereits fünf Menschen verletzt, zwei davon schwer. 

Der Schuss selbst, so beurteilen es verschiedene Sicherheitsexperten und Ausbilder, war vorbildlich. Sicherer Stand, so wie es gelehrt wird, schnelle Reaktionsgeschwindigkeit. Es lässt sich auch schwer argumentieren, dass zu spät geschossen wurde, da anfangs zu viele Menschen in der Schusslinie waren und möglicherweise der Falsche getroffen worden wäre. Doch man hätte Rouven nicht alleine auf den Messermann zulaufen lassen dürfen.

Polizeiliches Verhalten zu bewerten ist schwierig. Man kann es nicht nach den Fähigkeiten und Reaktionen eines Durchschnittsmenschen beurteilen, da es ihr Job ist, in Gefahrensituationen einzugreifen. Trotzdem bleiben sie Menschen. Fluchtinstinkte, Angst und Panik sind nachvollziehbar, doch wie viel davon dürfen sich Polizisten leisten?

Im Video ist zu sehen, wie sich nur ein Polizist in die Gefahr stürzt, während seine Kollegen in sicherer Entfernung stehen. Als sich der auf den Boden geworfene Angreifer wieder aufrichtet, machen sie alle einen Satz nach hinten. Kurze Zeit später wird er dem ungeschützten Kollegen ein Messer in den Nacken rammen. Das kurze Zeitfenster, in dem der Angreifer sich aufrappeln muss, wird nicht genutzt, um ihn außer Gefecht zu setzen.

Doch fast alle anwesenden Beamten weichen einen Schritt zurück, statt sich gemeinsam auf den Angreifer zu stürzen. Außer einer Polizistin. Die dreht sich um und rennt einfach. Sie läuft weg, während ihr Kollege abgestochen wird. Und: Sie dreht einem bewaffneten Angreifer den Rücken zu.

Es ist zwingend notwendig, dass Sachverständige sich noch ausgiebig mit den Videoaufnahmen vom Freitagnachmittag auseinandersetzen. Jeder anwesende Polizist sollte sich mit seinem eigenen Verhalten an diesem Tag auseinandersetzen. Die Konsequenzen, die aus diesem Einsatz gezogen werden, sollten nicht weich gewaschen werden. Das ist man dem Kollegen schuldig.

Ganz offensichtlich hat niemand mit so einem Attentat gerechnet. Die Schuld hierfür liegt weniger bei den einzelnen Polizisten und mehr bei der Einsatzleitung und der Politik. Ganz grundsätzlich muss man sich die Frage stellen: Fühlen wir uns in Deutschland noch zu sicher?

Fühlen wir uns noch zu sicher? 

Baden-Württemberg ist nach dem Sicherheitsbericht 2023 des Landesinnenministeriums eines der sichersten Länder Deutschlands. Doch laut der polizeilichen Kriminalstatistik registrierte die Polizei des Bundeslandes im Jahr 2023 594.657 Straftaten, was einen Anstieg von acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Der Anstieg wurde damals maßgeblich auf ausländerrechtliche Verstöße zurückgeführt, etwa illegale Einwanderung oder illegaler Aufenthalt. 

Ausländerrechtliche Verstöße ausgelassen, ließ sich bei der übrig bleibenden Allgemeinkriminalität erkennen, dass diese hauptsächlich eine Zunahme etwa von Ladendiebstählen oder dem Erschleichen von Leistungen, vor allem Schwarzfahren, abbildete. Doch auch die Gewaltkriminalität im öffentlichen Raum war 2023 enorm gewachsen und stieg um 12,3 Prozent auf ein Zehnjahreshoch. Jeder zweite Verdächtige ist dabei laut Statistik „nicht deutsch“. 

Besonders die Zunahme des Gebrauchs von Messern zur Begehung von Gewaltdelikten veranlasste die Behörden bereits 2022 erstmals Messerangriffe, als eigene Kategorie in der Statistik zu erfassen. Im Vergleich zu 2022 ist die Zahl der Messerangriffe in Baden-Württemberg vergangenes Jahr um 13,5 Prozent auf 1.295 Fälle gestiegen. 29 Menschen wurden tödlich verletzt, 209 schwer verletzt, 1.556 durch Messer bedroht.

Mehr Politikversagen als Polizeiversagen

Tatsache ist: Die Politik hat das Problem erkannt. Und das schon seit Jahren. Sie hat die Zahlen schwarz auf weiß. Und sie erkannte sogar den Handlungsbedarf. Doch das Handeln blieb trotzdem aus. Aus der Kampagne gegen Messerangriffe sind in erster Linie nur zwei Maßnahmen hervorgegangen: Das Erfassen der Messerangriffe in den Statistiken und die Schaffung der rechtlichen Möglichkeit für Kommunen „Waffenverbotszonen“ einzuführen.

Zu den wenigen Städten, die davon Gebrauch machen, zählt Mannheim. Der Mannheimer Marktplatz, auf dem die Messerattacke stattfand, fällt in diese Waffenverbotszone. Das Bußgeld von bis zu 10.000 Euro wird den Angreifer aber nicht betreffen, da die Verbotszone nur von 20 Uhr abends bis 6 Uhr morgens gilt, der Angriff ereignete sich jedoch um 11:35 Uhr am Tag. Doch im Ernst hätte auch ein ganztägiges Verbot den Angreifer kaum umgestimmt. Das hat das deutsche Strafgesetzbuch ja auch nicht.

Die Handlungen der Politik haben absolut nichts nicht dazu beigetragen, den Angriff zu verhindern oder zu mildern. Die Polizisten waren komplett überrumpelt, nicht ausreichend ausgerüstet und nicht ausreichend vorbereitet. Man kann bei objektiver Begutachtung des Videos Fehler der einzelnen Polizisten erkennen. Allen voran, dass Rouven L., der auf sie vertraut hat, keine Rückendeckung bekommen hat. Doch in erster Linie fehlte es an Rückendeckung durch die Politik. Und so bleibt Rouven L. ein einsamer Held, der sein Leben opferte, um die wichtigste politische Freiheit überhaupt zu verteidigen – und wird auch Opfer einer Politik, die so lange wegsah, bis es zu spät war.

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Von Veritatis

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