Per Job-Turbo auf den deutschen Arbeitsmarkt? Für Ukrainer und andere Flüchtlinge wollte die Regierung die Integration forcieren. Doch es gibt heftige Kritik – ausgerechnet aus den Jobcentern.
Rund sieben Monate nach dem Start des sogenannten Job-Turbo zur zügigen Vermittlung Hunderttausender Geflüchteter in Arbeit gibt es Kritik aus den Jobcentern an dem Vorgehen.
In einem Brief an Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, und Landkreistag-Präsident Reinhard Sager beklagen die Personalräte der Jobcenter unter anderem, dass die Einrichtungen auf Erfolg getrimmte Daten anlegen müssten und Integration so sogar noch behindert werde. Der Brief lag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vor, zunächst hatte der „Spiegel“ darüber berichtet.
Erst im April hatte Heil bei einem Besuch eines Friseursalons mit unter anderem einer beschäftigten Ukrainerin gesagt: „Der „Job-Turbo“ läuft auf Hochtouren.“ In Arbeit gebracht worden seien seit Kriegsbeginn etwa 160.000 geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer. Im November hatte Heil angekündigt, dass mit dem Job-Turbo etwa 400.000 Geflüchtete direkt aus ihren Sprachkursen in Jobs vermittelt werden sollen, darunter rund 200.000 aus der Ukraine.
„Nervös herbeigeführter „schöner“ Datensatz“
Die Personalräte schreiben an Heil, Sager und Nahles, ein „nervös herbeigeführter „schöner“ Datensatz“ könne keine nachhaltige Sozial- und Arbeitsmarktintegration ersetzen. Heute gebe es irrationales „Schönmalen“ bei der Dokumentation der Fälle.
Weiter kritisieren die Jobcenter-Personalräte einen Bruch mit der sonst üblichen Herangehensweise, dass Betroffene auf Augenhöhe beraten und eher weiterqualifiziert als in Helferjobs vermittelt werden. Dies bei den Ukrainerinnen und Ukrainern und bestimmten weiteren Flüchtlingen nun anders zu machen, sei gesetzlich fragwürdig und den Betroffenen schwer vermittelbar. Fraglich sei, ob der Bruch beim Vorgehen zielführend sei. „Schließlich haben wir in erster Linie einen Fachkräftemangel und keinen Helfertätigkeitsmangel.“
Auch Ungleichbehandlung bei den Arbeitslosen kritisieren die Personalräte: „Spätestens, wenn der irrationale zentrale Druck aber dazu führt, dass (…) vor Ort Maßnahmen nur noch für Leistungsberechtigte der neun Hauptherkunftsländer konzipiert (…) werden, bewegen wir uns im Bereich der „umgekehrten Diskriminierung“ (…).“
Jenseits von Hochglanz-Einzelfällen
Die Personalräte verlangen für die Jobcenter-Beschäftigten: „Lassen Sie diese Ihre wohlverstandene Arbeit ohne (…) Störfeuer tun.“ Sie mahnen: „Abgesehen von eventuellen Leuchtturm-Projekten und Hochglanz-Einzelfällen werden Bürgergeldberechtigte weder aus Berlin noch aus Nürnberg in den Arbeitsmarkt integriert.“ Doch die Jobcenter müssten mit dem Job-Turbo zu den ohnehin anfallenden, vielen Falldokumentationen und Statistiken weitere bürokratische Aufgaben erledigen: Allein elf weitere Auswertungen gebe es mit dem Instrument.
Es gibt auch Kritik daran, dass die ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland zügig ins Bürgergeld wechseln konnten, statt Asylbewerberleistungen zu erhalten. Wenn man nur nach dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit gehe, hätte die Anwendung der sogenannten Massenzustrom-Richtlinie für eine isolierte Gruppe von Flüchtlingen vermutlich nicht erfolgen dürfen, heißt es in dem Brief der Personalräte.
Auf Basis dieser EU-Richtlinie zur Aufnahme von Flüchtlingen im Fall eines Massenzustroms – wie etwa nach Russlands Überfall auf die Ukraine – hatte Deutschland Bürgergeld statt Asylbewerberleistungen für die geflüchteten Ukrainer ermöglicht. Der Vorgang sei angesichts überforderter Kommunen „politisch-pragmatisch wohl unumgänglich“, heißt es in dem Schreiben weiter.
Ein Ende des schnellen Bürgergeld-Bezugs für neue ukrainische Geflüchtete forderte der Deutsche Landkreistag. Das sofortige Bürgergeld sorge für eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen Gruppen von Geflüchteten. Im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes gelinge unter anderem auch die Unterbringung leichter, wie ein Sprecher der dpa in Berlin sagte. (dpa)
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