Ukrainekrieg Auf einer Friedenskonferenz in der Schweiz wollte der Westen zeigen, wie isoliert Russland auf intentionaler Bühne ist. Der Kreml war zu diesem Spektakel gar nicht erst eingeladen. Dementsprechend wenig gebracht hat die Veranstaltung


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Wenn man genauer hinsieht, versammelten sich nur 57 Staats- und Regierungschefs auf dem Bürgenstock

Wenn man genauer hinsieht, versammelten sich nur 57 Staats- und Regierungschefs auf dem Bürgenstock

Foto: Ludovic Marin/ Getty Images

Die Organisatoren wollten unbedingt eine dreistellige Teilnehmerzahl erreichen, und mit ein paar Tricks haben sie es tatsächlich geschafft. Im Luxusresort Bürgenstock (Übernachtungspreis für ein Zimmer 1.000 Euro, für eine Suite 1.900 Euro) trafen sich am vergangenen Wochenende exakt 100 Abgesandte und Beobachter, um zu beraten, wie ein Friedensprozess im russisch-ukrainischen Krieg eingeleitet werden könnte.

Die neutrale Schweiz hatte sich als Ort für einen solchen Anbahnungs-Versuch angeboten, zumal sie wegen ihrer zurückhaltenden Unterstützung der Ukraine oft harsch kritisiert worden war. Auf dem Bürgenstock, einem steil aufragenden Felsen über dem Vierwaldstättersee, wollten die Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd und

Amherd und der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, möglichst viele Unterstützer versammeln, um dem nicht eingeladenen Kontrahenten, Russlands Präsident Wladimir Putin, dessen internationale Isolation aufzuzeigen. Das ist freilich nur bedingt gelungen.Denn auf dem Bürgenstock versammelten sich – sieht man genauer hin – nur 57 Staats- und Regierungschefs, die übrigen Staaten schickten Minister, Staatssekretäre oder Beobachter. Die 20 bevölkerungsreichsten Staaten der Erde, die mehr als zwei Drittel der Menschheit beherbergen, waren (mit Ausnahme Japans) nicht mit ihrer Nummer eins vertreten. Die neun BRICS-Staaten und die etwa 20 an einer künftigen BRICS-Mitgliedschaft interessierten Staaten machten gemeinsam deutlich, dass die Bürgenstock-Konferenz keine globale Konferenz, sondern lediglich eine in die Schweiz verlagerte Ukraine-Unterstützungskonferenz im westlichen Ramstein-Format ist. Das heißt, Staats- und Regierungschefs schickten vor allem die Europäer, die Verbündeten von NATO und G7. Doch selbst in dieser Kerntruppe lief nicht alles rund.Bundeskanzler Olaf Scholz: Künftig muss auch Russland mit am Tisch sitzenUS-Vizepräsidentin Kamala Harris ließ sich gerade mal für ein paar Stunden einfliegen, während US-Präsident Joe Biden eine Spendengala mit Julia Roberts und George Clooney in Los Angeles bevorzugte. Harris verließ den Gipfel so vorzeitig wie Emmanuel Macron, Olaf Scholz oder Japans Premier Fumio Kishida. Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni traf erst am Sonntag ein, möglicherweise wollte sie am Samstagabend nicht das Europameisterschaftsspiel zwischen Italien und Albanien verpassen.Um die Teilnehmerliste auch wirklich auf 100 aufblasen zu können, entsandten die EU-Institutionen gleich drei Vertreter. Die UNO wurde nicht durch ihren Generalsekretär António Guterres repräsentiert, sondern durch die ehemalige US-Diplomatin Rosemary DiCarlo. Die Europäer, die genau die Hälfte der Delegierten stellten, boten sogar Abgesandte aus dem Vatikan und den Kleinstaaten San Marino, Liechtenstein, Monaco und Andorra auf.Der Globale Süden war durch Kleinstaaten wie Palau, die Fidschi-Inseln, Sao Tome und Principe, Suriname, Kap Verde, die Komoren und Timor-Leste vertreten, aber nicht oder nur zweitrangig durch Indonesien, Pakistan, Bangladesch, die Philippinen, Korea, Vietnam, Thailand, Saudi-Arabien, Iran, Äthiopien, Kongo, Nigeria und Mexiko. Von den BRICS-Gründern Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika ganz zu schweigen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan verzichtete auf die Teilnahme, wohl weil der in Istanbul lebende griechisch-orthodoxe Patriarch Bartholomäus I. zugesagt hatte.Inhaltlich kam die Konferenz keinen Schritt weiter, da die Abschlusserklärung – wie bei solchen Veranstaltungen leider üblich – bereits vor Beginn der Konferenz in allen wesentlichen Punkten festgezurrt war. Da Selenskyj auf seiner „Friedensformel“, die eine Kapitulation Russlands einschließt, beharrte, fehlte den Konferenzteilnehmern jeglicher Spielraum für einen Pfad zum Frieden. Und da Putin kurz vor der Konferenz ebenfalls eine „Friedensformel“ angeboten hatte, die eine Kapitulation der Ukraine fordert, blieb vielen Konferenzteilnehmern nur die umgehende Zurückweisung des russischen Raubtierimperialismus.Die starre Haltung der beiden Kriegsgegner führte schließlich dazu, dass 13 Parteien die Abschlusserklärung nicht unterzeichneten: Brasilien, Indien, Saudi-Arabien, Südafrika, Indonesien, Thailand, Mexiko, Kolumbien, Libyen, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate, Armenien und der Vatikan. Das Düsseldorfer Handelsblatt sah darin „eine Niederlage für die Ukraine und die Schweizer Organisatoren“. Die Welt betonte, dass sechs G20-Staaten ihre Zustimmung verweigert hätten, die Neue Zürcher Zeitung schrieb: „Das erhoffte Signal bleibt aus. Die Veranstalter versuchen, das schönzureden.“Am gravierendsten ist, dass keine Folgekonferenz verabredet wurde, die Teilnehmer also ohne Perspektive auseinandergingen. Ob Saudi-Arabien oder die Türkei unter diesen Umständen bereit sind, eine Nachfolge-Konferenz auszurichten, bleibt offen. Denn obwohl viele Teilnehmer, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die gastgebende Schweizer Bundespräsidentin, betonten, dass künftig auch Russland mit am Tisch sitzen müsse, scheinen viele nicht begreifen zu wollen, dass man – trotz Krieg – zivilisiert miteinander umgehen muss, ohne ständig moralische Urteile übereinander zu fällen. Kein Gastgeber möchte sich unfruchtbaren Streit ins eigene Wohnzimmer holen.Die Kosten des „Friedensgipfels“: 15 Millionen Schweizer FrankenDer Westen hat dieses Nicht-Ergebnis durch Zuspitzungen aktiv herbeigeführt, indem er vor der „Friedenskonferenz“ das militärische Engagement von EU und Nato verstärkte, den Einsatz westlicher Waffen gegen Russland erlaubte, die Wirtschaftssanktionen ausweitete, eingefrorene russische Guthaben für die Kriegführung der Ukraine freigab, eine Ukraine-Wiederaufbaukonferenz inszenierte und die diplomatische Isolierung Russlands vorantrieb, zuletzt auf dem G7-Gipfel im italienischen Luxusresort Borgo Egnazia, wenige Stunden vor Beginn der Bürgenstock-Konferenz. Man wollte Putin eiserne Entschlossenheit demonstrieren. Doch das ist gründlich fehlgeschlagen.Die Welt denkt anders über diesen Krieg als der Westen. Je eher westliche Politiker das begreifen, desto größer sind die Chancen auf einen Frieden. Auf einen „gerechten Frieden“ zu pochen, ist dagegen kontraproduktiv, denn wann in der Geschichte hätte es je einen „gerechten Frieden“ gegeben? Es geht darum, den Krieg zu beenden.Fazit: Es war gut, dass die Schweiz die Möglichkeit geschaffen hat, sich in internationalem Rahmen auf neutralem Boden zu treffen. Viel gebracht hat es aber nicht. Die Kosten beliefen sich auf 15 Millionen Schweizer Franken. 4000 Soldaten sperrten das Gelände für die Bevölkerung und bewachten die Teilnehmer, 500 Journalisten erwarteten die An- und Abreisenden wie die Stars beim Filmfestival in Cannes, die Gastronomie hatte gut zu tun.Seit 2018 gehören die Hotels auf dem Bürgenstock dem katarischen Staatsfonds. Dieser renovierte die heruntergekommene Anlage für eine halbe Milliarde Schweizer Franken, schuf einen 10.000 Quadratmeter großen Spa-Bereich, zwölf Restaurants und Bars, einen Golfplatz und eine Reha-Klinik. Im Volksmund heißt der Bürgenstock seither „Bonzenhügel“. Von der freistehenden Badewanne in den 1.900-Euro-Suiten hat man einen herrlichen Panoramablick auf den Vierwaldstättersee.



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Von Veritatis

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