Mit Insektenhäuschen, bienenfreundlicher Balkonbepflanzung und Gartenteich sind wir doch alle unbedingt für den Erhalt der biologischen Vielfalt. Es sei denn, es geht um Mücken. Mücken hat der Mensch in jeder Hinsicht über. Sie stören. Sie pieksen. Sie beißen. Sie summen. Sie wollen Blut von uns, einer Spezies, die sich für das obere Ende der Nahrungskette hält. Schlimm genug, aber dann kann so ein Stich auch noch Krankheiten übertragen: Mistviecher! Alle Jahre wieder im Frühsommer zu Beginn der Grill- und Gartensaison also die Frage: Kommt die Mückenplage? Kommt sie früher oder später als sonst? Und können wir alle Mücken über einen Kamm scheren? Nicht jede Mückenart will Blut und wenn Blut, dann nicht immer menschliches. Reden wir also überhaupt über dasselbe Tier?

Nennen wir das Tier beim Namen: Mücke, Schnake oder Gelse?

Das althochdeutsche „mugga“ ist die Mutter des Wortes Mücke. Das „ü“ kam vermutlich ins Spiel, weil es das Summen der Tiere imitiert. So wurde „mügga“ oder „mücke“ daraus. Als die fliegenden Mücken in Richtung Ü abbogen, blieben die Mucken, die man entweder als Launen haben oder aus Protest machen kann. Auch der Mucks, den man nicht machen soll, ist ein Wortverwandter. Als Tier wie auch als geflügeltes Wort sind die Nachkommen von mugga also immer etwas lästig. Der deutsche Sprachraum ist sich bei Mücken aber nie ganz einig geworden. Mancherorts beschreibt der Begriff Mücke nicht nur Mücken, sondern auch Fliegen oder nur Fliegen. So heißen die Mücken in Süddeutschland Schnaken. Schnaken und Mücken können auch sprachlich nebeneinander existieren, dann sind die Schnaken, die nicht stechenden Mücken. Norddeutsche mit Plattdeutsch-Hintergrund halten Schnaken für Mücken mit besonders langen Beinen, meinen damit aber auch Weberknechte, die gar keine Mücken sind, sondern Spinnentiere. Für Zoologen von egal wo sind Schnaken eine Familie innerhalb der Mücken, die Tipulidae. In Österreich und Teilen von Bayern meint man mit dem Begriff Mücke Taufliegen, dafür heißen die Stechmücken Gelsen. Begriffsherkunft vermutlich über culex, dem lateinischen Wort für Mücke. Was das für das viel weiter im Norden liegende Gelsenkirchen bedeutet? Keine Deutung des Stadtnamens weist auf Mücken hin. Das Mittelalterliche „Geilistirinkirkin“ interpretierte Historiker Paul Derks in den 1980ern als „Kirche am Platz, wo sich geile Stiere tummelten“.

Mücken sind vielfältig

Es gibt viele Mücken, sehr viele. Weltweit kommen circa 3700 Stechmückenarten vor, von denen wir in Deutschland etwa 50 Vertreter haben. Das sind nur die Stechmücken. Alle Mücken gehören zur Ordnung der Zweiflügler. Aber die einzelnen Familien der Mückenarten haben dann oft nicht viel mehr gemeinsam als zwei Flügel, sechs Beine und dass sie Eier legen, aus denen sich Larven entwickeln. Ihre Ernährungsweise, ihre Lebensräume: total verschieden. Den meisten Mückenarten sind Menschen und ihr Blut vollkommen egal. Es gibt Mücken, die in faulenden Kartoffeln und Gängen von Borkenkäfern leben, andere sind zu Gast in Ameisenbauten. Einige Mückenarten bestäuben Pflanzen, während sie sich von Nektar ernähren. Es gibt Mücken, die ausschließlich andere Insekten aussaugen. Die Larven von Dungmücken laben sich an Kot. Pilzmücken ernähren sich von Pilzen, auch von giftigen.

Vom Aussterben bedrohte Mücken

Der Klimawandel ermöglicht es, dass sich in Deutschland Mückenarten etablieren, die hier bisher nicht überleben konnten. Gleichzeitig wird es für manche heimische Art eng. Es gibt in Deutschland stark gefährdete und vom Aussterben bedrohte Mückenarten. Hauptursache für das Artensterben: Lebensraumverlust. Insekten brauchen die passenden Bedingungen für all ihre Lebensstadien vom Ei über die Larve bis zum erwachsenen Tier und dabei können sie ganz spezielle Ansprüche haben. Die Schmetterlingsmücken Berdeniella globulifera und Berdeniella matthesi leben in gut durchströmten Moospolstern an sauberen Quellen und Bächen. Wie diese beiden Mückenarten haben sehr viele andere nur einen wissenschaftlichen aber keinen deutschen Namen: Sie sind für Laien kaum unterscheidbar. Beide Arten gelten als gefährdet, denn Austrocknung, Verlegung der Bachläufe oder Veränderung der Wasserqualität z.B. durch Abwässer, lassen ihre Lebensräume verschwinden. Bei anderen Gruppen ist es ähnlich: Dunkelmücken erleiden menschengemachte Lebensraumverluste durch den Aus- und Verbau von Fließgewässern oder Entwässerung von Feuchtgebieten im Zuge land- und forstwirtschaftlicher Maßnahmen.

Mückenlarven im Wasser

Foto: David McNew/Getty Images

Ob eine Art als gefährdet gilt, entscheidet sich anhand der kurz- und langfristigen Bestandstrends und der aktuellen Bestandssituation. Rote Listen, die aufzeigen, welche Arten auf der Kippe stehen, gibt es jeweils auf Landesebene und Bundesweit. Laut Rote Liste Zentrum, das die bundesweiten Daten pflegt, sind für die Artengruppen der Mücken die Listen für Tastermücken, Dunkelmücken, Schmetterlingsmücken, Büschelmücken und Gnitzen relativ aktuell. Für viele Mückenarten reicht die Datenlage nicht aus, um ihre Gefährdung einzuschätzen. Taxonomen, Spezialisten für Artbestimmung und Systematik, sind ein klarer Fall von Fachkräftemangel.

Wenn es keine Mücken gäbe, was dann?

Ohne Mücken geht es nicht. Mücken sind Bestäuber, Mücken sind Destruenten und Mücken sind Biomasse mit ganz viel Protein. Keine Mücken, keine Schokolade: Nicht nur Bienen, auch viele andere Insektenarten sind als Bestäuber aktiv. Winzige, nektarfressende Mücken parken ganz easy in Blüten ein, in die andere Insekten nicht hinein passen. Pflanzen wie Kakao setzen darauf, dass auch Mücken zur Bestäubung vorbei schauen. Einige Mückenarten oder ihre Larven gehören zu den Tieren, die am Boden dafür sorgen, dass Laubstreu nach und nach zu Humus wird: Humus ist Teamwork – dafür werden viele Kleinstlebewesen gebraucht. Und Mücken sind Beute: kleine Fische schnappen sich Mückenlarven im Wasser, Fledermäuse fangen sie aus der Luft. Ohne hunderte, tausende und noch mehr Mücken, gäbe es weniger satte und zufriedene Vogelküken. Mücken sind wichtig.

Vernichtungsversuche: organisierte Mückenbekämpfung DDT hat Geburtstag. Es wird dieses Jahr 150 Jahre alt: Die chemische Verbindung 1,1,1-Trichlor-2,2-bis-(4-chlorphenyl)ethan wurde 1874 erstmals synthetisiert und beschrieben. Dass sie als Insektengift wirkt, entdeckte man erst 1939. Und dann dauerte es noch einmal gut 30 Jahre, bis man begriffen hat, dass es eine schlechte Idee war, es als Insektengift einzusetzen. 1962 erschien Rachel Carsons Buch „Der stumme Frühling“, in dem sie auch den Einsatz von DDT dafür verantwortlich macht, dass Bestände an Vögeln und andern Tieren zurückgingen. DDT gelangte vom Feld in die Nahrungskette, auch zum Menschen. Weil es eine sehr lange Halbwertszeit hat, sind die Belastungen bis heute messbar.

Der Einsatz von DDT gegen Mücken ist inzwischen fast überall verboten

Foto: Ernesto Benavides/AFP via Getty Images

Circa zwei Millionen Tonnen dieses Stoffes kamen zwischen 1940 und 1972 in der Landwirtschaft als Pflanzenschutzmittel und in großen Bekämpfungsmaßnahmen gegen Malaria zum Einsatz. Man versprühte es flächig in Sumpfgebieten in den Malaria-betroffenen Regionen Südostasiens, um die die Krankheit übertragenden Mücken zu vernichten – und andere Insekten gleich mit. Erst funktionierte es gut: Die Malariafälle gingen zurück. Bis die Insekten Resistenzen bildeten. In den USA und der BRD wurde der Einsatz 1972 verboten, in der DDR gab es bis 1989 noch Ausnahmegenehmigungen. Weltweit ist DDT nur noch in wenigen Ländern für die Bekämpfung von Malaria in Gebrauch.

Wer gestochen wird

Die Chemie muss stimmen. Das gilt auch für die Mensch-Stechmücke-Beziehung aus Sicht der Mücke: Mücken mögen Schweiß. Der Körpergeruch, die Gase in der ausgeatmeten Luft und die Mikroorganismen auf der Haut, das Hautmikrobiom, können anziehend wirken. Manche Menschen werden darum häufiger gestochen. Ein Teil der Attraktivität auf Mücken ist genetisch angelegt. Anderes, zum Beispiel das Hautmikrobiom, verändert sich im Laufe des Lebens. Auch Viruserkrankungen verändern, wie attraktiv ein Mensch auf Stechmücken wirkt. An der Tsinghua University in Peking stieß eine Arbeitsgruppe darauf, dass eine Infektion mit den von Mücken übertragenen Krankheiten Zika und Dengue-Fieber, das Risiko erhöht, von weiteren Mücken gestochen zu werden. Die Viren sorgen also dafür, dass mehr von Ihnen in Umlauf kommen. Beeinflussbar ist beim Risiko für Mückenstiche, wann man sich im Freien aufhält, ob man Alkohol trinkt und welche Kleidung man zur Mückenhauptflugzeit trägt. Sie stechen eher bei dunkler Kleidung zu, als bei Träger:innen heller Farben.

Social Media Challenge: Mückenstiche

„We are midge free“ ist ein Argument, wenn Urlaub auf dem Bauernhof in Schottland beworben wird. Midges sind Kriebelmücken und davon gibt es in Schottland mehrere Dutzend Arten und jeden Sommer entwickeln sich in der Saison Millionen von Individuen. Sie setzen sich auf jedes freie Stück Haut, dass sie erreichen können, beißen die Oberfläche an und lecken Blut. Ohne Abwehrmittel, Mütze, Schal, Handschuhe oder über dem Kopf zu tragendes Moskitonetz ist es für Viele kaum auszuhalten. Doch während die einen mit der Mückenfreiheit ihrer Region werben, nutzen andere die Saison der Midges für ein kleines bisschen Social Media Aufmerksamkeit: Bei der One-minute-midge-challenge ist das Ziel 60 Sekunden Angriff der Midges durchzuhalten, ohne zu kratzen oder nach den Mücken zu schlagen. Da wird Juckreiz sichtbar.

Für wen sind Mückenstiche gefährlich?

Meist ist nicht der Mückenstich selbst das Problem. Gefährlich wird er, wenn die Mücke beim Blut saugen Krankheitserreger überträgt oder sich die Einstichstelle entzündet. Verunreinigungen, die durch intensives Kratzen in die Wunde geraten, können gelegentlich sogar Blutvergiftungen auslösen. Wenn Katzen gegen Mückenstiche allergisch sind, hilft nur: Einsperren, wenn die Mücken fliegen. Das Tier kratzt sich sonst Nase und Ohren wund. Auch Menschen können allergische Reaktionen auf Mückenstiche zeigen. „Die Stärke der Reaktionen reicht von lokalisierten Schwellungen und Rötungen mit begleitendem Juckreiz zu seltenen, systemischen Reaktionen und anaphylaktischen Reaktionen“, beschreibt Prof. Karl-Christian Bergmann, Klinischer Direktor am ECARF, der Europäischen Stiftung für Allergieforschung. Schuld ist der Moskitospeichel in der Haut. Was genau abläuft, ist bisher nicht vollständig geklärt. Histamin als körpereigener Spieler und Speichelproteine der Mücke können die Reaktion auslösen. „Einige Individuen scheinen eine genetische Präposition für Moskitomückenstiche zu haben. Die Vorbeugung von Mückenstichen bleibt weiterhin die physikalische Barriere oder chemische Duftstoffe gegen Mücken. Die Behandlung besteht in Antihistaminika der zweiten Generation und der lokalen Gabe von Kortikosteroiden“ erläutert Bergmann.

Welche Krankheiten könnten sie hier bald verbreiten?

Malaria, West-Nil-Fieber, Dengue-Fieber, Zika-Fieber, Chikungunya-Fieber: Krankheiten, die in feucht-warmem, tropischem Klima von Mücken auf Menschen übertragen werden. Saisonal kommen einige davon auch in den Sommermonaten in Europa vor. Das Wechselfieber alias Malaria löste bis ins 19. Jahrhundert regelmäßig in Europa Erkrankungswellen in einzelnen Regionen aus. Die Malaria verschwand, als es für die Anopheles-Mücke, ihren Überträger, keine Lebensräume mehr gab. Seit den 1950er Jahren kamen Malaria und Co. in Deutschland meist nur bei Rückkehrern aus Reisen in tropische Länder vor: Infektion als Urlaubsmitbringsel.

Wenn geeignete Mücken eine infizierte Person gestochen und dabei mit dessen Blut die Erreger aufgenommen haben, werden sie zu potenziellen Überträgern. Seit 2018 gibt es vereinzelt im Inland erworbene Ansteckungen mit dem West-Nil-Fieber. Das Virus wurde mehrfach in überwinternden Mückenpopulationen nachgewiesen, darum betrachtet es die Nationale Expertenkommission für Stechmücken als endemisch, was bedeutet: Es ist gekommen, um zu bleiben.

Überträger von Zika-, Dengue- und Chikungunya-Viren sind Aedes-Mücken, zu denen die asiatische Tigermücke gehört. Eine Übertragung dieser Krankheiten gilt als saisonal in Deutschland vorstellbar, ist aber bisher nicht nachgewiesen.

Eingeschleppte Mückenarten

Heißere Sommer, eine längere Vegetationsperiode, nur noch selten späte oder frühe Kälteeinbrüche, gänzlich frostfreie Winter: Für Mücken hat der Klimawandel in Mitteleuropa einiges zu bieten, das ihre Saison verlängert und die Überlebenschancen im Winter erhöht. Mücken, die sich im Gepäck von Reisenden oder mit Warenlieferungen auf Weltreise befanden, konnten oft nur kurzzeitig hier existieren. Inzwischen sind Arten, die früher nur vereinzelt als entkommene Blinde Passagiere in der Nähe von Häfen oder Flughäfen auftraten, so richtig angekommen. Sie vermehren sich, überwintern und existieren von Generation zu Generation weiter. Damit gelten sie als eingeschleppte Art. Berühmtester Vertreter bei den Mücken – bestimmt wegen der hübsch-gestreiften Beine und des klangvollen Namens: die Asiatische Tigermücke. Seit 2007 wurde sie erst vereinzelt, dann immer häufiger in Deutschland nachgewiesen. Die Asiatische Buschmücke kommt seit 2009 in Süddeutschland vor. Ohne deutschen Namen ist die Mücke Culiseta longiareolata. Auch sie ist in Teilen von Deutschland und in Belgien neu. Sie sticht ausschließlich Vögel.

Mehrere Stellen betreiben wissenschaftliches Mücken-Monitoring, um einen Überblick über die in Deutschland vorkommenden Stechmücken-Arten zu gewinnen. Für den Mückenatlas, ein Citizen Science Projekt des Leibniz Zentrum für Agrarlandschaftsforschung gemeinsam mit dem Friedrich-Löffler-Institut, sammeln seit 2012 Freiwillige in ganz Deutschland Mücken. Damit lässt sich die Verbreitung der einzelnen Arten und die Veränderung dieser Verbreitung über die Jahre zu beobachten. Jeder kann mitmachen.

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Von Veritatis

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