Kreuzberg Hohe Inflation bedroht ein Stück Populärkultur: Kebabläden am Görlitzer Bahnhof liefern sich erbitterte Preiskämpfe. Ein neuer Imbiss versucht, es anders zu schaffen


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Ausgabe 25/2024

Döner-Preiskampf: Ballons, Ex-Gangmitglieder und Kebab für 3,60 Euro am Görli

Illustration: der Freitag, Material: Imago Images

Als sie vergangenes Jahr Eröffnung feierten, gab ihnen niemand im Kiez eine Chance. Der Hähnchen-Döner-Laden am Görlitzer Bahnhof in Berlin-Kreuzberg startete mit einem unschlagbaren Eröffnungsangebot und bunten Ballons. Drei Euro für einen Döner, Soße und Salat, serviert im selbst gebackenen Brot. Es war zu schön, um wahr zu sein. Dann wurden die Ballons schrumpelig, der Preis stieg über Nacht auf sechs Euro. Die benachbarten Händler warteten halb mitleidig, halb schadenfroh darauf, dass der Laden schließt und der nächste Imbiss einzieht. So lief es hier noch immer.

Doch der Ladenbesitzer blieb hartnäckig. Die Entscheidung war einfach: den Preis senken oder einpacken. Nicht leicht in Zeiten hoher Mieten, hoher Strompreis

Strompreise, hoher Heizkosten. Er schluckte die bittere Pille und senkte den Preis wieder auf drei Euro. Noch mal drei Monate Eröffnungsangebot. Wieder Ballons. Doch das war ein Verlustgeschäft: Je mehr Döner er verkaufte, desto mehr Geld verlor er. Als die Kunden wieder kamen, erhöhte er den Preis allmählich auf vier Euro und landete schließlich bei fünf. Heute ist sein Laden so beliebt, dass die Kunden Nummern ziehen und bis zu 30 Minuten warten müssen. Arbeiter von den nahe gelegenen Baustellen kommen, ebenso die Ladenbesitzer der Geschäfte entlang der Straße. Sogar Polizisten der Wache am Kottbusser Tor, die eigentlich wegen brüllender Crack-Abhängiger gerufen werden, vergessen – abgelenkt vom schmackhaften Döner – ihren Einsatzgrund.Der Ladenbesitzer scheint es geschafft zu haben. Seine Konkurrenten, die Schawarma oder Falafel verkaufen, staunen über seinen Erfolg und malen sich aus, wie er bald im Mercedes vorfahren wird. Aber nur er weiß: Er verdient immer noch kaum Geld. „Wenn man alle Kosten abzieht, die Zutaten, die Miete, die Angestellten, die Steuer, verdiene ich etwa 20 Cent an einem Döner.“ Die Marge bei seinen anderen Produkten, bei Getränken oder Falafel, ist da höher. Aber die meisten Leute wollen eben Döner. Er hofft, dass die Kunden bleiben, wenn er den Preis irgendwann erhöht. Aber in der Welt der Döner, der unzähligen Eröffnungsangebote und Ballons, gibt es wenig Loyalität. Der Dönerladen auf der anderen Straßenseite zieht bereits Kunden an. Mit 3,60-Euro-Döner inklusive Ayran kann niemand mithalten: „Länger als ein paar Wochen hält man das nicht durch“, sagt der Hähnchen-Döner-Ladenbesitzer, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will.„Muci“ war Gangmitglied„36 Döner“, der neue Laden gegenüber, eröffnete Ende Mai mit schwarz-weißen Luftballons: 3,60 Euro für Döner plus Ayran. Direkt unter der Hochbahnstation Görlitzer Bahnhof, in einer winzigen Box, angemietet von den Berliner Verkehrsbetrieben. Vor wenigen Wochen noch pfiffen hier Dealer die Leute an, die die Treppen von der U-Bahn herunterkamen. Heute reiht sich eine endlose Schlange hungriger Kunden, die meisten wohl Studenten, aus den Lautsprechern des Ladens dröhnen Rap-Songs von Killa Hakan.Morgen wird der Preis um einen Euro steigen, ein Monat drauf sollen es 5,60 Euro für Döner mit Ayran sein. Schließlich soll sich der Preis bei 5,50 Euro nur für den Döner einpendeln. Laut der Dönervergleich-Erhebung von Lieferando im Jahr 2022 liegt das nah am durchschnittlichen Dönerpreis in Berlin von vor zwei Jahren. Damals argumentierte der Verein Türkischer Dönerhersteller in Europa (ATDID), dass ein Döner wegen all der steigenden Kosten 7,30 Euro kosten sollte. Eine Studie, die auf Daten von Google-Bewertungen basiert, zeigt, dass der Preis für Döner bis 2019 stagnierte und dann bis 2024 um 75 Prozent stieg. Heute liegt der durchschnittliche Dönerpreis in Berlin nach Schätzungen bei 7,08 Euro. Das ist ein Problem. Denn: „Döner hat den Ruf, billig zu sein. Er wird nicht als Fast Food wahrgenommen, sondern als Grundnahrungsmittel“, sagt Onur Başaltın, 31, Mitinhaber des neu eröffneten „36 Döner“. Başaltın hat sich mit Muzaffer „Muci“ Tosun zusammengetan, einem ehemaligen Kickbox-Weltmeister und prominenten Ex-Mitglied der 36 Boys, einer Kreuzberger Straßengang, die sich Anfang der 1990er Jahre Revierkämpfe mit der wachsenden Neonazi-Szene lieferte.Başaltın und Tosun sagen, sie wollen mit dem Dönerladen „Raum für die Kreuzberger Jugend zurückerobern“. Außerdem, sagt Başaltın, der in einem Späti gleich gegenüber von seinem Laden auf der Skalitzer Straße sitzt, sollen ein Jugendzentrum und ein Boxclub folgen. Die Leute im Kiez kennen ihn. Der Besitzer eines anderen Ladens, der Kumpir, türkische Ofenkartoffeln, verkauft, kommt vorbei, um zur Eröffnung zu gratulieren. Es scheint, als würden sich die Menschen im Kiez über das sich wandelnde Gesicht Kreuzbergs freuen. Normalerweise schließen alte Läden, um hippen Cafés und teuren Weinbars Platz zu machen. Hier ist ein Drogenumschlagplatz voller Glasscherben und Taubendreck einem Ort gewichen, an dem man günstig essen kann.Noch macht Başaltın mit jedem Döner Verlust„Aus einem Kilo Fleisch muss man mindestens sieben Döner machen“, sagt der Besitzer des Spätis, der selbst jahrelang in einer Dönerbude am Spieß stand: „Man muss es richtig dünn schneiden. Sonst verliert man Geld.“ „Im Moment sind wir bei fünf Dönern pro Kilo“, antwortet Başaltın.Mit Dönern Geld zu verdienen, ist in Berlin keine leichte Sache mehr. Es gibt fast 18 Dönerläden pro 100.000 Einwohner, so viele wie in keiner anderen deutschen Stadt. Das drückt die Preise, obwohl sie eigentlich steigen müssten, manche sagen, auf zehn Euro. Doch abgesehen von einigen wenigen Gourmet-Dönerläden mit ganz anderer Klientel sind zehn Euro undenkbar. Warum? Erwartet man, dass ein Döner billig ist, weil er türkisch ist? Warum spricht niemand vom Preisanstieg bei Hamburgern, Pizzen oder Currywürsten?„Vielleicht“, antwortet Başaltın. Seit der Eröffnung verkauft „36 Döner“ etwa 1.000 Döner am Tag, das klingt nach viel. Aber in Wirklichkeit, sagt Başaltın, kostet jeder Döner 4,50 Euro, wenn man alle Kosten berücksichtigt. 3,50 Euro für Zutaten und Löhne. Und ein Euro für Miete und Steuern. Başaltın sagt, im Moment gehe es ihm nicht um Gewinn. Er will bezahlbare Döner für die Nachbarschaft anbieten und hofft, dass der kleine Laden mit der Zeit zu einem Ort wird, an dem die Jugend des Viertels abhängen kann: „Wir wollen nicht an der Jugend verdienen. In Zukunft müssen sie nur ihren Studentenausweis vorzeigen und bekommen einen Döner für 4,50 Euro.“Başaltın will eine Marke aufbauen. Er sagt: Wenn die Marke gut ist, stehen die Leute auch für einen Acht-Euro-Döner Schlange. Ohne Marke kaufen sie ihn nicht mal für fünf Euro. „In der Gastronomie versucht man normalerweise, Dinge für das Doppelte der Kosten zu verkaufen, um gesund zu wachsen. Aber in Kreuzberg können wir das nicht. Die Leute hier haben ein geringeres Einkommen.“ Von der Dönerpreisbremse hält er nichts. Aber: „Eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Döner wäre eine bessere Lösung. Das würde sofort zu einer Preissenkung führen.“Başaltın scherzt, dass in seinen Online-Bewertungen einige Leute geschrieben haben, „dass sie ein paar Döner gekauft haben, um sie für schlechte Tage in der Tiefkühltruhe aufzubewahren“. Am nächsten Tag ist das Transparent unter dem Bahnhof schon überarbeitet. Statt 3,60 stehen nun 4,60 Euro drauf. Erste Bewährungsprobe bestanden, eine Woche später schwindet die Schlange schon. Mal sehen, wie es weitergeht.



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Von Veritatis

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