Landarbeiterorganisation kämpft für bessere Arbeitsbedingungen und gegen Großprojekte. Im Sitz der Bewegung der Landarbeiter (MTC) in Tejutla im Hochland des Departamentos San Marcos versammelten sich Ende Mai die neu gewählten Vorstände der Organisation. Rund 30 Männer und Frauen aus sechs Landkreisen des Departamentos, die zum Altiplano gehören, diskutieren Themen der Organisation und die aktuelle politische Lage. Vor Kurzem hat der Staatspräsident Bernardo Arévalo die neuen Gouverneure ernannt, mehrere sind indigener Herkunft und Aktivisten aus sozialen Bewegungen – so auch der neue Gouverneur aus San Marcos, Rolando López. Er hat zugesagt, Programme zur Entwicklung kleinbäuerlicher Landwirtschaft voranzubringen, und will sich monatlich mit indigenen Autoritäten im Departamento treffen. Auch will er sich des Problems der nicht oder nur unzureichend gezahlten Renten auf den Fincas annehmen und eine Transparenzkommission einrichten. Von Thorben Austen.

Die Delegierten der Landarbeiterbewegung sehen die Versprechen positiv, ohne in Euphorie zu verfallen. „Veränderungen sind ein langer Prozess”, sagte Justo Jiménez, Koordinator der MTC für das Hochland. Vieles hänge nicht nur von der Person des Gouverneurs ab. Allerdings schätzt Jiménez ein, dass man auch „mit vier der sechs Bürgermeister hier im Hochland reden könne” – auch wenn diese, wie alle im Departamento, den alten Parteien angehören, die in Guatemala Teil des herrschenden „Pakts der Korrupten” sind. In den zur Boca Costa gehörenden Landkreisen schätzen Vertreter der MTC die Situation bezüglich der Bürgermeister kritischer ein. Einige Ortsvorsteher in der Grenzregion zu Mexiko sollen sogar mit der organisierten Kriminalität und den Drogenbanden verbunden sein.

Die Organisation entstand im Jahre 1997 aufrugnd der Arbeitsbedingungen auf den Kaffeefincas im Flachland. Neben den schlechten Arbeitsbedingungen vor Ort habe es immer wieder tödliche Unfälle gegeben, wenn Arbeiter aus dem Hochland in „überfüllten Lastwagen ohne Sicherheitsvorkehrungen” auf die Fincas gefahren wurden, erzählt Jiménez.

Heute arbeitet die Organisation in drei Bereichen. „Alles um Arbeitsrechte, juristische und politische Beratung ist ein Bereich, daneben haben wir Kurse zum Erlernen eines Handwerkes wie Töpferei und Nähkurse und eine Kooperative, über die Menschen Kleinkredite erhalten können”, erklärt Jiménez. Neben dem Sitz im Hochland verfügen sie über ein Zentrum an der Boca Costa, den Sitz der Kooperative und ein zentrales Büro in der Departamentoshauptstadt San Marcos.

Nähkurs an der Boca Costa – QUELLE: PRIVAT

Die Infrastruktur ist Schritt für Schritt dazugekommen, erklärt Juan José Monterroso, der der Organisation seit seiner Gründung angehört. „Das Zentrum im Hochland ist von internationalen Hilfsorganisationen mitfinanziert worden, es wurde 2017 in Betrieb genommen, und das Land haben wir von einem Compañero günstig gekauft. Das 2014 gegründete Zentrum an der Boca Costa haben wir mit Geld aus einem gewonnenen Arbeitsprozess finanziert und auch internationale Unterstützung erhalten”, erklärt er.

Bergbau im Hochland

Ein zentrales Thema im Hochland war jahrelang der Konflikt um die Mine Marlin, eine Gold- und Silbermine in den Landkreisen San Miguel Ixtahuacán und Sipacapa. Um die Mine hatte es jahrelang heftige Auseinandersetzungen gegeben. Sie wird vom Unternehmen Montana Exploradora de Guatemala S.A. betrieben, einer Tochterfirma des kanadischen Bergbauunternehmens Goldcorp mit Sitz in Vancouver. Mehrere Anwohner starben in dem Konflikt, teilweise gingen schwer bewaffnete Soldaten gegen Protestierende vor.

2017 schloss die Mine nach zwölf Jahren ihre Tore, die Ressourcen waren erschöpft. Allein im Jahre 2014, dem Höhepunkt der Bergbauaktivitäten in Guatemala, soll das Unternehmen Gold- und Silbervorkommen im Wert von knapp 5,96 Milliarden Quetzales (etwa 714 Millionen Euro) abgeschöpft haben. Die Steuereinnahmen des Staates betrugen ein Prozent, das Unternehmen will nach eigenen Angaben zusätzliche vier Prozent freiwillig abgeführt haben.

Geblieben sind starke Umweltschäden und eine Häufung von Krebsfällen und anderen Erkrankungen, die Ärzte und Anwohner auf die Kontamination durch die Mine zurückführen. „Leider hatten wir als Organisation nicht die Kraft und Ressourcen, uns hier stärker einzubringen und vom Unternehmen Entschädigungen zu fordern”, sagt Monterroso. Ein ihm persönlicher bekannter Arbeiter sei vor einigen Jahren an Krebs gestorben, ohne dass Ansprüche an das Unternehmen gestellt werden konnten.

Auch organisatorisch hatte der Konflikt um die Mine Folgen für die MTC. „Unsere Organisation wurde als Teil der Diözese der katholischen Kirche hier in San Marcos gegründet. 2004 erfolgte die organisatorische Trennung von der Diözese. Neben internen Umstrukturierungen waren der Hauptgrund die Morddrohungen, die es im Zusammenhang mit dem Konflikt um die Mine gegen den Bischoff Álvaro Ramazzini gegeben hat. Ramazzini ist ein prominenter Kämpfer für die Rechte der armen Bevölkerung in Guatemala”, erklärt Keyla Pérez, Koordinatorin der MTC für die Küstenregion.

Kaffeefincas an der Küste

Der Sitz der Organisation an der Boca Costa, dem Übergang vom Hochland zum tropischen Tiefland, liegt im Landkreis El Rodeo. Es ist ein langgezogenes Gebäude mit Büro- und Versammlungsräumlichkeiten sowie einem Raum, der mit mehreren Nähmaschinen bestückt ist und in dem Frauen Nähkurse absolvieren können.

Einige Kilometer vom Sitz der Organisation entfernt liegt die Kaffeefinca „Las Delicias”. Am Rande der Straße liegen die Unterkünfte der Arbeiter, es sind einfache Baracken. Gegenüber noch einfacheren Holzbaracken, die halb abgerissen im Hintergrund liegen, sind die neuen Unterkünfte ein Fortschritt. Vor ein paar Jahren wurden die Unterkünfte neu gebaut, erklärt Pérez. Auch die Löhne wurden für ein gepflücktes Quintal Kaffee (rund 46 Kilogramm) von 40 (circa 4,70 Euro) auf 60 Quetzales (circa 7,10 Euro) erhöht. Der Grund dafür ist, dass den Gutsbesitzern gerade in der Erntezeit Arbeitskräfte fehlen. Viele junge Menschen gingen lieber ohne Papiere in die USA, sagt Pérez, die als junges Mädchen selbst auf einer Kaffeefinca gearbeitet hatte.

Das frühere vom Gutsbesitzer betriebene Gefängnis auf der Finca „Las Delicias” – QUELLE: PRIVAT

Am Ende der Barackensiedlung liegt ein fensterloses Steinhaus, laut einem Hinweisschild 1943 errichtet. Dies diente dem Gutsbesitzer als Gefängnis, ist aber schon einige Jahrzehnte nicht mehr in Betrieb, sagt Pérez.

Am Ende der Straße liegt die Gemeinde Nueva Primavera (Neuer Frühling). Ihre Geschichte spielt eine wichtige Rolle in der MTC. 52 Arbeiter der Finca hatten im Jahr 2000 begonnen, nicht gezahlte Mindestlöhne und Sozialleistungen einzuklagen. Damals wurden Männern nur 30 bis 40 Quetzales täglich gezahlt (damals drei bis vier Euro), Frauen sogar nur 20 bis 30 Quetzales (zwei bis drei Euro), erklärt Rechtsanwalt Mario Juarez, der die Arbeiter juristisch vertrat, gegenüber amerika21. Der gesetzliche Mindestlohn pro Tag habe aber bei 90,16 Quetzales (neun Euro) gelegen. Der Arbeitskampf zog sich fast 20 Jahre hin, der Gutsbesitzer setzte immer wieder auf Verzögerungen. Erst im Jahre 2019 konnten sich Arbeiter und Gutsbesitzer in einem außergerichtlichen Mediationsverfahren einigen. Weil der Besitzer nicht zahlen konnte oder wollte, erhielten die Arbeiter Land – je nach Arbeitsjahren zwischen 0,3 und 0,4 Hektar, manche auch mehr. Arbeiter, die das Rentenalter erreicht hatten, erhielten 0,15 Hektar.

Während des Arbeitskampfes begannen auch Frauen, sich politisch zu engagieren. „Während des Bürgerkrieges (1960 bis 1996) war es für Frauen zumindest hier in der Gegend unvorstellbar, sich politisch zu beteiligen”, erklärt Benda Yudith Algiular Giron, heute Vorsitzende des Frauenkomitees in Nueva Primavera. Trotz des gewachsenen Bewusstseins wurden in dem Arbeitskampf nur Männer berücksichtigt und erhielten Land, obwohl viele Frauen auf der Finca gearbeitet hatten. Auch heute, erzählen die Frauen des 2020 gegründeten Komitees, müssten sie immer wieder kämpfen. Viele Männer in der Gemeinde „sind Sexisten und finden es unmöglich, wenn Frauen öffentlich auftreten oder sich politisch betätigen”.

Trotz des eigenen Landes müssen immer noch viele Gemeindemitglieder auf den umliegenden Fincas arbeiten. Frauen in der Gemeinde Nueva Primavera klagen über Fälle sexuellen Missbrauchs auf den Fincas, teilweise seien dabei die Verwalter und die Besitzer selbst involviert.

Auch Pérez bestätigt, dass viele Mädchen und Frauen sexualisierte Gewalt auf den Fincas erleben. Die Fälle, in denen die Besitzer selbst beteiligt waren und ihre wirtschaftliche Macht ausnutzen, seien aber „deutlich zurückgegangen”, häufig gebe es aber Übergriffe von den Verwaltern und Vorarbeitern.

Auch das Thema der familiären Gewalt sei ein großes Problem, vor allem in Familien, wo die Eltern in die USA gegangen seien und die Kinder und Jugendlichen bei Verwandten zurückgelassen hätten. Von 2012 bis 2021 konnte die MTC eine professionelle Psychologin bezahlen, die sich um Jugendliche und junge Erwachsene gekümmert hatte, die Opfer von Gewalt und Missbrauch geworden waren. Diese Stelle sei heute nicht mehr finanzierbar, es gäbe aber drei Compañeras, die sich weiter um entsprechende Fälle kümmern.

Der amerikanische Traum

Die schlechte wirtschaftliche Lage und die hohe Armuts- und Kriminalitätsrate bewegen seit Jahrzehnten viele Guatemalteken dazu, das Land zu verlassen. Die meisten gehen in die USA, eine Minderheit auch nach Mexiko, Kanada oder Europa. Das Internetportal No Ficcion schätzt, dass 2020 rund 2,9 Millionen Guatemalteken in den USA lebten – ein Sechstel der damals 17,97 Millionen Einwohner. Die offizielle Volkszählung hatte im Jahr zuvor 1,7 Millionen Auswanderer angegeben. Die Remesas genannten Rücküberweisungen von Migranten an Familienangehörige in Guatemala machen seit Jahren den größten Einzelposten im Bruttoinlandsprodukt aus. 2023 beliefen sie sich auf die vorläufige Rekordsumme von 19,8 Milliarden US-Dollar, eine Steigerung von 9,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

San Marcos zählt zu den fünf Departamentos mit der höchsten Auswanderung. Rund 15 Kilometer östlich der Departamentoshauptstadt liegt der kleine Landkreis San Christóbal Cucho, etwa 18.000 Menschen leben hier. Der Ort hat sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr verändert, Einwohner führen das vor allem auf die Migration zurück.

Das Frauenkomitee in Nueva Primavera

„In meiner Kindheit gab es weder Strom noch fließendes Wasser”, erzählt eine ältere Einwohnerin und fährt fort:

„Vor 40 Jahren begannen die ersten Einwohner, in die USA zu gehen, heute hat nahezu jede Familie Verwandte dort. Heute gibt es Restaurants, Hotels und Sportanlagen. Noch vor einigen Jahren gab es im Landkreis keinen Arzt. Im öffentlichen Gesundheitszentrum arbeitet nur Pflegepersonal. Seit mehr Geld in den Ort kam, haben sich mehrere private Ärzte hier niedergelassen.”

Im Ort leben mehrere Personen, von denen allgemein bekannt ist, dass sie als „Coyoten” genannte Schlepper ihr Geld verdienen. Sie residieren in luxuriösen dreistöckigen Villen. Auch mehrere Bürgermeister aus vergangenen Legislaturperioden sollen in dieses Geschäft verwickelt gewesen sein.

Für die MTC wirkt sich die hohe Migration auch auf ihre Organisationsfähigkeit aus. Viele leitende Compañeros, geschulte Gemeindeaktivisten verschwinden über Nacht, erzählt Pérez. Die meisten würden ohne Papiere in den USA leben, im Laufe der Jahre gebe es aber auch Möglichkeiten, den Aufenthaltsstatus zu legalisieren. Manche beantragten auch „politisches Asyl, dieses wird aber meist nur für zwei Jahre gewährt,” sagt Pérez.

Auch die Frauen in Nueva Primavera diskutieren das Thema Migration. 140.000 Quetzales (circa 17.000 Euro) seien an die „Coyoten” zu zahlen, 40.000 sofort, der Rest könnte in Raten abgestottert werden. Dafür würden die Schlepper eine relativ einfache und sichere Route anbieten, innerhalb Mexikos sogar streckenweise mit dem Flugzeug. Billigere Routen seien sehr gefährlich, tagelang in Lastwagen eingepfercht, die Kinder mit Medikamenten ruhiggestellt, erzählt eine Aktivistin aus dem Frauenkomitee.

Auch für ihre Kinder ist das Thema Auswanderung sehr präsent, sagt sie. Sie stehe dem zwiegespalten gegenüber. Einerseits würde sie sich wünschen, dass ihre Kinder hierbleiben, „hier haben wir jetzt eigenes Land”. Sie wisse aber auch, dass dies „zum Leben kaum reicht”. Und gerade die jüngere Generation habe Wünsche, die das Leben hier nicht erfüllen könne.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Amerika21.

Titelbild: Aktivisten der MTC auf einer Versammlung im Hochland, Quelle: Autor



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Von Veritatis

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