Am 1. Oktober tritt Claudia Sheinbaum die Präsidentschaft an. Sie wird dann ein Land regieren, das in der Klimapolitik zum Nachzügler geworden ist – teilweise wegen der Politik ihres Vorgängers Andrés López Obrador. Der scheidende Staatschef – er stammt aus dem ölreichen Bundesstaat Tabasco – legte Wert auf „Energiesouveränität“, er stärkte staatliche Energieversorger und strebte nach Selbstversorgung. Dies zeigte sich in kolossalen Finanzspritzen und Steuernachlässen für Pemex, das am höchsten verschuldete staatliche Ölunternehmen weltweit und einer der größten Umweltverschmutzer. Damit wurde eine Energiematrix verfestigt, die noch zu 80 Prozent auf fossilen Brennstoffen beruht. Folglich kamen die Klimaverpflichtungen Mexikos ins Wanken, das einer von zwei G20-Staaten ohne klar umrissenen Zeitpunkt für eine weitgehende Klimaneutralität ist.
Das Land ist weit davon entfernt, die Emissionen gemäß dem 2015 geschlossenen Pariser Klimaschutzabkommen bis 2030 um 35 Prozent zu senken. „Wir haben bisher keine spezifischen und detaillierten Pläne, dies zu erreichen, und verfügen erst recht nicht über die dafür notwendige Finanzierung“, sagt Diego Rivera Rivota, Forscher am Center on Global Energy Policy der Columbia University. Es gibt dieses Manko, obwohl Mexiko anfällig ist für den Klimawandel, was nicht zuletzt durch einen außergewöhnlich starken Hurrikan deutlich wurde, der im Oktober 2023 die Bucht von Acapulco traf, Dutzende Menschen tötete und schwere Schäden verursachte.
„Acapulco hat uns eine Lektion erteilt. Darauf waren wir nicht vorbereitet“, sagt Gustavo Alanís, Generaldirektor von CEMDA, einer mexikanischen Umwelt-NGO. „Die Überschwemmungen, Dürren, Hurrikans und Hitzewellen werden nicht nur anhalten, sondern womöglich schlimmer und häufiger auftreten.“
Viele hoffen, dass sich Claudia Sheinbaums Hintergrund als Physikerin und ihr Engagement für den mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Weltklimarat nach ihrem Amtsantritt bemerkbar machen.
Schneisen für den Maya-Zug
Als sie Mexiko-Stadt regierte, trieb sie die Versorgung der Hauptstadt mit Solarenergie voran, förderte öffentliche Verkehrsmittel und ließ eine Seilbahnlinie bauen. Freilich blieben der Stadt eine hohe Luftverschmutzung und akute Wasserknappheit erhalten. Im Wahlkampf neigte Sheinbaum dazu, allen alles zu versprechen. Es hieß dann, sie werde sowohl die Politik von López Obrador fortsetzen als auch mehr für Klimaschutz und Umwelt tun. Demzufolge wird der Maya-Zug – das Flaggschiff bei den Infrastrukturprojekten von López Obrador zur Erschließung historisch benachteiligter Regionen – weiter seine Schneisen durch den zweitgrößten Tropenwald Lateinamerikas schlagen. Sheinbaum hat angeregt, die Trasse auf die Nachbarländer Belize und Guatemala auszudehnen. Unter ihr wird es auch mehr Unterstützung für das Vorhaben „Sembrando Vida“ geben, López Obradors Initiative für Forstwirtschaft und ländliche Entwicklung, in die auch dann noch Geld geflossen ist, als das Budget für die staatlichen Umweltbehörden schrumpfte. Was erreicht wurde, ist unklar. Berichten zufolge schritt die Abholzung weiter voran.
Sheinbaum wird Pemex die öffentlichen Gelder nicht kappen können, solange das Unternehmen unter seiner Schuldenlast dahintaumelt. Sie hat vorgeschlagen, dass Pemex sich auf den Abbau von Lithium konzentriert, ein Grundstoff für die Batterieherstellung. Es gab im Wahlkampf das Versprechen, 14 Milliarden Dollar für „saubere“ Energieprojekte auszugeben. Das wäre eine Zäsur, sofern sich das Augenmerk auf die Elektrifizierung des öffentlichen Nahverkehrs richtet und Anreize für Solarpanels in Privathaushalten geschaffen werden. „Ein Land mit mehr als 300 Sonnentagen im Jahr hat dafür ein enormes Potenzial“, sagt Rivera Rivota. „Sich in dieser Hinsicht einer langfristigen Planung zu verschreiben, war mit der derzeitigen Regierung nicht möglich. Stattdessen kam es wegen einiger Vorhaben immer wieder zu Auseinandersetzungen vor Gericht. Wenn jedoch künftig die Spielregeln und der rechtliche Rahmen klar sind, denke ich, kann Mexiko sein Potenzial an erneuerbaren Energien besser ausschöpfen.“
Der Wahlsieg von Sheinbaums Morena-Partei hat dieser fast schon eine Supermehrheit im Kongress sowie Gouverneursämter in 24 der 32 Bundesstaaten gebracht. Ein überzeugenderes Mandat ist kaum denkbar und könnte Sheinbaum darin bestärken, von der Politik ihres Vorgängers abzurücken. Ob sie das will und kann, ist vorerst offen. López Obrador wird eine einflussreiche Persönlichkeit bleiben – und seine Unterstützung wird erforderlich sein, um Morena zusammenzuhalten. Eine Partei, die er gegründet hat, die aber inzwischen höchst unterschiedliche Ideologien und zerstrittene Gruppen beherbergt. „Sheinbaum hat sich im Wahlkampf nie vom Präsidenten distanziert oder gar widersprochen“, so Rivera Rivota. „Aber wer weiß, was passiert, wenn sie erst im Palacio Nacional sitzt und selbst telefoniert?“