Es scheint nach dem Attentat in den USA am Sonntag noch wahrscheinlicher, dass Donald Trump im November wieder US-Präsident wird. Doch ist das für Russland und seine Wirtschaft eher gut oder schlecht?
von Sergei Sawtschuk
Die Schüsse, die auf der Wahlkampfveranstaltung in Pennsylvania fielen, wurden zu einer Art Rubikon, der nicht nur die amerikanische Innenpolitik, sondern auch die Weltpolitik in ein Vorher und ein Nachher teilt. Weltweit sind führende Politikwissenschaftler und Experten für Wahlkampftechniken nahezu einhellig der Meinung, dass die Kugel, die das Ohr des vormaligen US-Präsidenten streifte, alle Zweifel bei noch schwankenden Wählermassen ausräumen wird und Donald Trump bereits jetzt zum nächsten Staatsoberhaupt machte.
So hat beispielsweise Bloomberg einen Artikel veröffentlicht, der eine sehr logische Analyse der Folgen der unvergesslichen Schüsse liefert. Auch diese Autoren gehen davon aus, dass Trump wieder die US-Präsidentschaft übernimmt und dies eine Reihe tektonischer Verschiebungen in der heimischen Wirtschaft auslösen wird. Auf der Basis der Reaktionen der Märkte und Börsen, die Trumps ersten Einzug ins Weiße Haus begleiteten, und angesichts ihres Rückzugs nach seiner Niederlage gegen Joe Biden sind die Autoren der Ansicht, dass dies garantiert zu einer umfassenden Umschichtung der Investitionsströme führen wird.
Es ist ein Rückgang des Investitionsvolumens in Technologiewerte zu erwarten, vor allem im Bereich der erneuerbaren Energien. Gleichzeitig werden Investitionen in US-Unternehmen stark zunehmen, die traditionelle Energieträger vertreten. Die Autoren, die viel besser als wir über die innenpolitische Agenda und die politisch-ökonomischen US-Interna Bescheid wissen, glauben, dass auf diese Weise Großinvestoren ihr Vermögen absichern werden, weil der traditionelle Energiesektor als eine Art Vorratskammer betrachtet wird. Investitionen dort bringen zwar keine astronomischen Dividenden oder schnelle Kursgewinne, aber sie sind zuverlässig und fast vollständig vor kritischen Kursschwankungen geschützt.
Einfach gesagt, kann man mit Investitionen in erneuerbare Energien, die durch enorme staatliche Subventionen und damit verbundene Beschränkungen für traditionelle Bereiche, etwa in Form von durch immer höheren Steuern, über Wasser gehalten werden, schnell viel Geld verdienen. Aber man kann auch pleitegehen, und wenn es dabei um viele Milliarden US-Dollar privater oder unternehmerischer Investitionen geht, ist das zweifellos ein sehr großes Risiko. Leider ist die genannte Prognose vernünftig und für Russland nicht sehr erfreulich. Lassen Sie mich erklären, warum.
Dank der Hollywood-Produktionen und der aggressiven staatlichen Propaganda, die in Washington seit Jahrzehnten ohne die geringste Scham betrieben wird, hat ein großer Teil der Menschheit auch außerhalb der USA das stabile Stereotyp entwickelt, die US-Amerikaner seien eine monolithische, durch patriotische Überzeugungen fest zusammengeschweißte Nation. Diese Ansicht ist grundfalsch, denn jenseits der Ozeane dort leben ebenso Menschen, die dazu neigen, miteinander zu streiten, ob über Politik oder sogar über den richtigen Belag für eine Pizza. US-Soziologen und Politikwissenschaftler beobachten seit langem mit Sorge eine sich vertiefende ideologische und politische Spaltung der Gesellschaft, die immer radikalere und intolerantere Formen annimmt. Der Versuch, einen Präsidentschaftskandidaten zu ermorden, ist ein deutlicher Beweis dafür.
Und diese Kandidaten für das höchste Amt des Landes werden nicht nur von verschiedenen politischen Parteien nominiert, sondern repräsentieren tatsächlich zwei unterschiedliche Welten innerer Werte (oder Weltanschauungen, wenn Sie so wollen), die zunehmend miteinander in Konflikt stehen. Nach seiner desaströsen TV-Debatte sagte Joe Biden, er habe keine Angst vor einer Niederlage, denn hinter ihm stehe “das tiefe Volk, das Salz der amerikanischen Erde”. Das ist entweder eine Lüge oder Unwissenheit oder blanke Selbstgefälligkeit. Denn Biden repräsentiert Leute der neoliberalen Schicht der Gesellschaft, die gemeinhin als “Träumer” bezeichnet werden, während Trump im Gegensatz dazu von “Hinterwäldlern” und Leuten mit bodenständigen Berufen unterstützt wird. Sie können auch konventionell als “Pragmatiker” bezeichnet werden. Natürlich ist diese Aufteilung etwas diffus: Auch einige Bergleute und Metallurgen wählen Biden, und für Trump stimmen auch einige Musiker und Theaterleute, aber die allgemeine Tendenz ist dennoch so. Die gleiche Unterteilung gilt für die Finanzwelt, die glücklicherweise nicht aus Robotern, sondern aus lebendigen Menschen besteht, die allerdings der Wunsch nach grenzenloser Bereicherung eint.
Lobbyarbeit ist in den USA legal, und die in einen Wahlkampf eines bestimmten Kandidaten investierten Beträge werden ganz offen bekannt gegeben. Beispielsweise kündigte Elon Musk nach dem versuchten Attentat auf Trump seine Finanzierung für dessen Programm im Wahlkampf an. In der Zeit der vorletzten Wahlen, als Trump noch gegen Hillary Clinton antrat, kam der Löwenanteil seiner finanziellen Unterstützung von Unternehmen aus dem Kraftstoff- und Energiesektor, wobei die Kohle- und Gasproduzenten besonders großzügig spendeten – natürlich nicht aus Herzensgüte, sondern mit Weitblick und in der Hoffnung auf eine Gegenleistung. Und Trump hat tatsächlich nach seiner Wahl den Gönnern alles zurückgezahlt. Diese seine Dankbarkeit ist für Russland noch immer spürbar.
Von 2017 bis 2021 erteilte der US Geological Survey eine Rekordzahl von Lizenzen für Explorations- und Produktionsbohrungen, die Zahl der Standorte für Schieferöl- und Gasförderung stieg stark an, es gab grünes Licht für den Bau von drei LNG-Terminals, und China wurde gezwungen, seine Kohleimporte zu erhöhen, um die stagnierende US-Kohleindustrie zu retten. All dies hat zu einem explosionsartigen Anstieg der Inlandsproduktion im Kraftstoffsektor der US-Wirtschaft geführt. Ein klarer Indikator dafür ist der Zustand der strategischen Erdölreserven. Während der Trump-Administration ist ihr Volumen leicht von 665 Millionen (Januar 2018) auf 610 Millionen Barrel (Oktober 2021) gesunken. Nachdem Biden und sein Team aus “Träumern” an die Macht gekommen waren, begann ein rasanter Ausverkauf der Reserven, um unter anderem die Finanzierung endloser grüner Projekte sicherzustellen. Heute beträgt das Volumen der strategischen Reserven nur noch 366 Millionen Barrel, und wenn der erklärte Trend der Förderung anhält, wird es mindestens fünfzig Jahre dauern, bis die strategischen Reserven wieder gefüllt sind.
Einfach ausgedrückt: Unter Trump gab es in den USA Öl und Gas so reichlich auf den Binnenmarkt, dass eine aggressive Expansion nach außen eingeleitet wurde. Der Autor dieser Zeilen schrieb im Jahr 2017 an dieser Stelle, dass der Marktanteil von US-LNG am europäischen Markt damals weniger als ein Prozent betrug. Heute ist Russland aus diesem Markt verdrängt worden, während der Anteil von verflüssigtem Erdgas aus Übersee in Europa nun bei über vierzig Prozent liegt.
Die derzeitige Regierung in Washington, D.C. rühmt sich gerne dafür, doch der Grundstein für diesen Eintritt in die Exportmärkte und die Entwicklung der USA zu einem bedeutenden Ölförderland wurde bereits von Trump gelegt.
Ich meine, das ist zum Teil der Grund dafür, warum Wladimir Putin – dafür bekannt, nie etwas grundlos zu sagen – einmal auf die Frage, welcher US-Präsident besser für Russland sei, mit “Biden” geantwortet hatte. Sollte Trump gewählt werden – und die Wahrscheinlichkeit dafür ist heute höher denn je –, dann müssen wir mit Veränderungen in der US-Energiepolitik rechnen. Dies wird dazu führen, dass Investoren ihre neumodischen Spielzeuge für “Erneuerbare Energien” vergessen und wieder in die Förderung von Kohlenwasserstoffen sowie in die Entwicklung von Technologien für deren Lagerung, Transport und Verarbeitung investieren werden.
Und wo dann Flugzeugträger und Bombenteppiche nicht helfen, die “US-Demokratie” durchzusetzen, werden erzwungene langfristige Verträge über die Lieferung von Energieressourcen zum Einsatz kommen. Typisch “amerikanisch” eben.
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