Gelöschtes Profil muss wiederhergestellt werden, gelöschte Postings zur Corona-Impfung aber nicht. Der Berliner Unternehmer Jörg Kuttig ist gegen das soziale Netzwerk LinkedIn vor Gericht gezogen. Dabei geht es um sein gelöschtes Profil und kritische Postings im Zusammenhang mit der Corona-Impfung. Die NachDenkSeiten sprachen Anfang des Jahres mit Kuttig über das Verfahren. Nun hat das Gericht entschieden, Kuttig hat gewonnen – einerseits. LinkedIn muss sein Profil wiederherstellen. Andererseits hat er im Hinblick auf die gelöschten Beiträge verloren. Deshalb geht er nun in Berufung – warum genau, erklärt er im aktuellen Interview. Es geht unter anderem darum, ob die „Wahrheit“ der WHO in Bezug auf die Wirksamkeit einer Impfung auf LinkedIn in Frage gestellt werden darf oder nicht. Von Marcus Klöckner.

Marcus Klöckner: Herr Kuttig, Sie sind im Sinne der Meinungsfreiheit gegen das soziale Netzwerk LinkedIn vor Gericht gezogen. Es geht um Postings von Ihnen in Sachen Corona-Impfung und die Löschung Ihres Profils. Wir haben im Februar dieses Jahres über Ihren Prozess gesprochen. Nun hat das Berliner Gericht entschieden. Sehe ich das richtig? Sie haben gewonnen. Sie haben aber auch verloren, oder?

Jörg Kuttig: Ja, das sehen Sie richtig. Gemäß dem Urteil muss LinkedIn mein am 15. April 2022 gesperrtes Profil vollständig wiederherstellen, aber die drei schon zuvor gelöschten Beiträge muss LinkedIn nicht wieder freischalten. Von den Kosten des Rechtsstreits hat LinkedIn 65 Prozent zu tragen. Vor dem Hintergrund meint mein Anwalt, dass wir den Prozess zum überwiegenden Teil gewonnen haben.

Werden Sie in Berufung gehen?

Ja, ich werde in Berufung gehen. Meines Erachtens liegt das im Allgemeininteresse, deshalb fühle ich mich dazu verpflichtet.

Zum besseren Verständnis für die Leser, die unser erstes Interview nicht gelesen haben: Würden Sie bitte kurz skizzieren, welche Postings Gegenstand des Verfahrens sind?

Es sind drei. Ich hatte die im Vorfeld der am 7. April 2022 im deutschen Bundestag durchgeführten Abstimmung über eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht gepostet. In dem ersten Beitrag habe ich aus einem in der Berliner Zeitung veröffentlichten Artikel zitiert. Der Autor hat darin geschrieben, dass er seit seiner Impfung unter neurologischen Problemen leidet. Er hat eine Frage gestellt und die diskutiert. Die Frage lautet: „Wie reagieren wir also, wenn sich nun (…) herausstellt, dass die Impfstoffe nicht halten, was wir von ihnen erwartet haben?“ In dem zweiten Beitrag habe ich aus einem offenen Brief einer Gruppe von 81 Wissenschaftlern zitiert, in dem dritten aus einem offenen Brief des Netzwerks Kritischer Richter und Staatsanwälte. Beide Briefe waren an die Bundestagsabgeordneten gerichtet. In beiden Briefen wurde dargelegt, warum eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht nicht verfassungsgemäß gewesen wäre.

Zunächst erstmal zu der für Sie guten Nachricht. Das Gericht hat entschieden, dass Ihr Profil zu Unrecht gelöscht wurde. Und das Profil muss wiederhergestellt werden. Wie bewerten Sie das?

Mein Profil muss LinkedIn aus formalen Gründen wiederherstellen, die Inhalte meiner Beiträge haben diesbezüglich keine Rolle gespielt. Mit seinen Richtlinien hat LinkedIn gegen das Gebot von Treu und Glauben verstoßen und mich unangemessen benachteiligt. Die Richtlinien sind deshalb als Allgemeine Geschäftsbedingungen unwirksam. LinkedIn hat sich bei der Profilsperrung nicht an das gemäß Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes erforderliche Verfahren in der Kommunikation mit mir gehalten. Es geht also nur um Formalien – die könnte LinkedIn in einem eventuellen neuen Fall ganz einfach einhalten.

Jetzt lässt sich doch leicht sagen: Ihr Profil wird wiederhergestellt, Sie haben gesiegt. Und sind die drei gelöschten Posts wirklich so wichtig? Das wäre aber zu einfach gesprochen, oder?

Ja, das wäre zu einfach gesprochen. Klar, diese drei Posts von mir sind nicht besonders wichtig. Aber es geht nicht nur um mich, sondern um alle Nutzer, und zwar nicht nur die von LinkedIn, sondern auch die von allen anderen Social-Media-Plattformen. Und es geht nicht nur um diese Beiträge, sondern um alle Beiträge – unabhängig davon, wer sie auf welcher Plattform veröffentlicht. Dabei ist das Besondere an meinen Beiträgen, dass es um Grundrechte geht, nämlich um die Frage, ob eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht mit unserem Grundgesetz vereinbar gewesen wäre. Bei den Beiträgen dreht sich der Streit also stärker um Inhaltliches, weniger um Formales. Deswegen wiegt für mich die Niederlage hinsichtlich der Beiträge schwerer als der Sieg hinsichtlich des Profils.

Wie ist denn die Position des Gerichts? Warum vertritt das Gericht die Auffassung, dass LinkedIn Ihre Postings mit Recht gelöscht hat?

Das Urteil besagt, dass LinkedIn auf Grundlage der Vorschriften des mittlerweile in Kraft getretenen Digital Services Act (DSA) die Positionen der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization – WHO) als Maßstab verwenden darf, wenn es um die Frage geht, ob ein Beitrag zu einem medizinischen Thema falsche oder irreführende Informationen enthält und dementsprechend gelöscht werden darf. Wenn also die WHO einen Impfstoff für wirksam und sicher hält, dann darf man das auf LinkedIn nicht in Frage stellen, auch nicht im Rahmen einer Diskussion über die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit einer allgemeinen gesetzlichen Pflicht zur Anwendung dieses Impfstoffes.

Was ist Ihre Position? Wie lautet Ihre Argumentation dagegen?

Meine Position ist, dass die Einschätzungen der WHO nicht als Löschungsmaßstab dienen dürfen. Mein wesentliches Argument lautet, dass das unwissenschaftlich wäre. Die WHO ist nicht allwissend oder unfehlbar, ihr unterlaufen Fehleinschätzungen, das ist ja auch ganz normal. Das Problem wird deutlicher, wenn man sich vor Augen führt, dass nicht nur medizinische Laien wie ich die Einschätzungen der WHO auf den entsprechend vorgehenden Social-Media-Plattformen nicht in Frage stellen dürften, sondern auch Fachleute.

Weitere Argumente?

Es gibt noch mehrere andere Argumente, die dagegensprechen, dass die Positionen der WHO als Bewertungsmaßstab geeignet sind. Ein solches Argument ist die fehlende demokratische Legitimation der WHO. In dem von Rechtsanwalt Steinhöfel verfassten Buch „Die digitale Bevormundung“ gibt es ein Kapitel, dass sich mit der Richtlinie von YouTube befasst, in der ebenfalls die WHO als Maßstab definiert ist.

Was steht da?

In dem Buch heißt es auf Seite 96:

„Die (wissenschaftlichen) Positionen einer Koordinationsbehörde der Vereinten Nationen, deren Mitgliedermehrheit nicht demokratisch legitimiert ist, kann nicht der Maßstab für die Reichweite der Grundrechte in einem (unserem) demokratischen Rechtsstaat sein. Dies würde nicht mehr und nicht weniger bedeuten, als dass autoritäre Regime jedenfalls mittelbar ein wesentliches Mitspracherecht bezüglich dessen haben, was in Deutschland erlaubt ist und was nicht.“

Wäre denn eine solche Festlegung überhaupt mit dem Grundgesetz zu vereinbaren?

Lassen Sie mich zu dieser Frage nochmal Steinhöfel zitieren. Der Anwalt schreibt auf Seite 98:

„Die gegen elementare verfassungsrechtliche Normen verstoßende Richtlinie berührt die Grundlagen unserer Werteordnung. Denn der Schutz der Meinungsfreiheit ist gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen und findet darin unverändert seine Bedeutung. Teil dieser Freiheit ist, dass Bürger von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträger – und dann erst recht die Institutionen oder deren Standpunkte – in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen können.“

Das heißt, bei dieser Richtlinie wird ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit sichtbar. Davon mal abgesehen: Die WHO ist doch keine Organisation, die frei von, sagen wir: Interessenkonflikten ist. Müsste ein Gericht nicht erkennen, dass die „Wahrheiten“ der WHO auch im Hinblick auf äußere Einwirkungen kritisch zu verstehen sind?

Das ist ein wichtiger Punkt. Natürlich gibt es auf Seiten der WHO Interessenskonflikte. Die WHO ist personell und finanziell mit der Pharmaindustrie verquickt. Bei dem Thema muss man gut aufpassen, was man sagt. Ich bin zum Beispiel allein schon dafür angegangen worden, dass ich im ersten Interview Bill Gates erwähnt habe.

In gewissen Kreisen dürfen Sie den Namen Bill Gates zwar aussprechen, aber, bitte, nicht kritisieren. Meinen Sie das?

So kann man das sagen. Aber gerade Bill Gates ist ein gutes Beispiel für die genannte Verquickung. Er hat ein sehr großes Interesse daran, dass sehr viel von den Stoffen mit modifizierter Boten-RNS verwendet wird. Dieses Interesse gründet stark auf einem wesentlichen Teil seiner Finanzinvestitionen.

Können Sie das bitte etwas konkreter machen?

Seine Bill & Melinda Gates Foundation ist der zweitgrößte Geldgeber der WHO, trägt fast zehn Prozent des Gesamtetats der WHO, zudem ist die GAVI (Global Alliance for Vaccines and Immunisation), in der die Bill & Melinda Gates Foundation Mitglied ist, der viertgrößte Geldgeber der WHO, trägt knapp sechseinhalb Prozent des Gesamtetats der WHO. Und: Die Bill & Melinda Gates Foundation hatte sehr kurz vor Beginn der Corona-Krise 55 Millionen US-Dollar in BioNTech investiert (siehe die Presseerklärung von BioNTech vom 4. April 2019). In dem Zusammenhang schrieb er am 19. Dezember 2019 auf der Plattform X (damals Twitter): „Besonders gespannt bin ich darauf, was das nächste Jahr für eine der besten Anschaffungen im Bereich der globalen Gesundheit bedeuten könnte: Impfstoffe.“ Am 12 April 2020 sagte er dazu passend in einem Tagesthemen-Interview: „Wir werden den zu entwickelnden Impfstoff letztlich sieben Milliarden Menschen verabreichen.“

Naiv angemerkt: Gates ist Philanthrop. Er handelt zum Wohle der Menschheit.

Das wäre tatsächlich naiv. Es gibt zahlreiche Veröffentlichungen, in denen belegt ist, dass Bill Gates´ Aktivitäten oft fragwürdig sind, dass viele sogar alles andere als altruistisch sind, dass sie nicht selten rein eigennützigen Motiven dienen wie seinem Profit und der Befriedigung seines Geltungsbedürfnisses. Dazu gehört ein im letzten Jahr im Verlag S. Fischer in deutscher Übersetzung erschienenes Buch von Tim Schwab, der Titel lautet „Das Bill-Gates-Problem – Der Mythos vom wohltätigen Milliardär“. Besonders interessant im Hinblick auf mein Thema finde ich den am 17. September 2022 erschienenen Welt-Artikel „Globale Corona-Politik – Die Machtmaschine des Bill Gates“, in dessen Einleitung steht: „Der Kampf gegen Corona ist eine der größten Gemeinschaftsaufgaben der Welt. Wichtige Entscheidungen trafen nicht die Staatschefs und die Weltgesundheitsorganisation, sondern die Stiftung von Bill und Melinda Gates und deren Netzwerk.“ Ähnlich kommt das auch in einem am 20. Februar 2023 erschienenen FAZ-Artikel zum Ausdruck, er ist überschrieben mit „Die umstrittene Macht der Milliardäre“, in seiner Einleitung heißt es: „Multimilliardäre wie George Soros oder Bill Gates wurden so reich, auch weil sie alle Register zogen. Ihr Geld setzt die Elite oft für Zwecke ein, über die besser demokratisch entschieden werden sollte.“

Allein schon auf den Einfluss von sehr reichen Persönlichkeiten hinzuweisen, setzt einen heutzutage sehr schnell dem Vorwurf „Verschwörungstheoretiker“ aus.

Und dann ist man regelrecht gebrandmarkt. Vor der Corona-Krise hingegen war die Thematisierung dieser Sachverhalte allerdings noch hoffähig. Noch am 17. April 2017 überschrieb selbst die Zeit die Rezension eines kritischen Films des zum ÖRR gehörenden Senders ARTE: „Der heimliche WHO-Chef heißt Bill Gates“ und berichtete weiter: „Auch mit wenig kostenaufwendigen Maßnahmen, wie etwa Anti-Drogen-Kampagnen, hat die WHO im Laufe ihrer Geschichte viele Leben gerettet. Es scheint aber, als engagiere sie sich mittlerweile in solchen Bereichen weniger – etwas, das Gesundheitswissenschaftler seit Längerem kritisieren. Die Filmemacherinnen sagen klar: Das könnte an der Gates Foundation liegen, denn sie hat unter Umständen andere Interessen. Der Grund: Die Stiftung legt ihr Geld bei Konzernen an, deren Handeln die Gesundheit vieler Menschen gefährdet. Je mehr Gewinn diese Unternehmen machen, desto mehr Rendite springt heraus.

Sie haben jetzt einiges zu Gates gesagt. Ihnen geht es also darum, zu verdeutlichen, dass ein Gericht es sich zu einfach macht, wenn es, wie jetzt in Ihrem Fall, die WHO unkritisch betrachtet.

Richtig. Wobei das zugrunde liegende Problem deutlich über Gerichtsprozesse hinausreicht, nämlich in unser aller Alltag. Die WHO hat sich einen unangemessenen Einfluss verschafft. Diese Entwicklung setzt sich fort, das zeigt sich aktuell bei den Verhandlungen über den Pandemievertrag sowie die Revision der internationalen Gesundheitsvorschriften. Viele Fachleute warnen vor dieser Entwicklung, zum Beispiel zwei Juristinnen: Dr. Beate Pfeil und Laura Kölsch.

Bei Klagen im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen und der Impfung war und ist das ja bis heute so, dass Gerichte sich auf Institutionen wie das RKI etc. stützen, ohne selbst genauer in die Prüfung zu gehen. Was bedeutet das für uns als Gesellschaft und für den einzelnen Bürger, der vor Gericht Recht sucht?

Das RKI ist eine Behörde, es ist also an Weisungen der Regierung gebunden. Diese Weisungsgebundenheit ist zum Beispiel in den entschwärzten Protokollen zu den Sitzungen des Krisenstabes deutlich geworden. Wenn also die Judikative bei der Rechtsfindung die Position der Exekutive absolut setzt, dann gibt es an dieser Stelle keine Gewaltenteilung mehr. Das ist nicht nur für den einzelnen betroffenen Bürger frustrierend, sondern für die gesamte Gesellschaft, es untergräbt das Vertrauen in den Rechtsstaat, führt zu Politikverdrossenheit und befördert Extremismus.

Was würden Sie jemandem entgegen, der sagt: Das Thema Corona ist doch im Wesentlichen durch. Warum lassen Sie es jetzt nicht einfach „gut“ sein?

Ja, das Thema Corona ist im Wesentlichen durch, aber es geht nicht nur um die Vergangenheit, sondern auch und vor allem um die Zukunft. Biotechnologische Forschung lässt sich nicht global unterbinden, Laborunfälle lassen sich nicht vollständig verhindern, Viren halten sich nicht an Staatsgrenzen und kein Mensch ist allwissend, schon deshalb werden wir wieder in eine Situation geraten, in der wir uns als Zivilgesellschaft darüber verständigen müssen, ob eine Impfpflicht zu unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung passt. Dabei werden wir als Staatsvolk uns nicht wieder spalten lassen dürfen. Es gab auf jeder Seite des politischen Spektrums Gegner der unverhältnismäßigen Impfpflicht, nicht nur auf der rechten Seite. Auch wird sich die Seite der Impfpflichtgegner nicht wieder durch nebensächliche Themen atomisieren lassen dürfen. Dass zum Beispiel einige aus dieser Gruppe Tessa Ganserer hart dafür angehen, welche Kleidung sie im Bundestag trägt, halte ich für völlig unangemessen angesichts der Tatsache, dass sie aus Gewissensgründen gegen die Impfpflicht gestimmt hat.

Wir Bürger dürfen auch nicht wieder in Panik geraten und uns einreden lassen, es gehe um eine sehr einfache Abwägung zwischen Gesundheit und Freiheit. Schädliche Nebenwirkungen von Maßnahmen wie Schulschließungen und Behandlungen mit neuartigen Pharmazeutika werden sehr viel genauer erfasst werden müssen. Und der Wert der Freiheit darf nicht wieder leichtfertig unterschätzt werden. Guido Westerwelle hat einmal gesagt: „Freiheit stirbt nicht durch Politiker, stirbt nicht dadurch, dass man Bürgerrechte und Freiheitsrechte von Politik wegen einschränken will, sondern dann wird es gefährlich für die Freiheit, wenn die Bürgerinnen und Bürger ihr eigenes Immunsystem vergessen, das sie wappnen muss gegen jede Freiheitsbedrohung.“ Das sollten wir sehr ernst nehmen!

Titelbild: IB Photography/shutterstock.com



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Von Veri

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